Das Klimaschutzgesetz, über welches die Schweizer Stimmbevölkerung im Juni abstimmt, wird wegweisend sein für die zukünftige Energiepolitik der Schweiz.
Die Fronten sind verhärtet. Die Diskussion rund um das Gesetz hat sich in den vergangenen Tagen zugespitzt und gipfelt in harschen Vorwürfen: Die SP bezichtigt die SVP der Verbreitung von Fake News und bezeichnet das SVP-Extrablatt zur Abstimmung als Propaganda-«Zeitung». watson hat mit beiden Seiten gesprochen und weitere Stimmen aus der Politik eingeholt.
Der SP-Nationalrat Jon Pult sagt gegenüber watson: «Die SVP spricht jetzt schon davon, dass Benzinautos und Ölheizungen in Zukunft verboten werden – doch das stimmt so einfach nicht.» Er ergänzt: «Wenn die SVP gegen diese Verbote ist, hätte sie sich den Aufwand des Referendums ersparen können – im Klimaschutzgesetz gibt es keine solchen Verbote.»
In diesem Gesetz ginge es um Ziele und Förderungen. Dank dieses Gesetzes würden es sich auch nicht so vermögende Hausbesitzerinnen und -besitzer leisten können, eine Wärmepumpe zu installieren, wenn ihre alten Öl- oder Gasheizungen den Geist aufgeben, erklärt Pult. Er schlussfolgert: «Ohne dieses Gesetz sind diese Leute auf sich allein gestellt. Die SVP verrät also die eigenen Wählerinnen und Wähler mit dem Kampf gegen dieses Gesetz.»
Ein anderes Argument der SVP ist, dass die Schweiz enorm viel mehr Strom brauche, wenn das Gesetz angenommen würde. Pult entgegnet diesem Argument: «Wenn man der SVP folgt, braucht man in der Schweiz sehr viel Erdöl und -gas, davon haben wir in der Schweiz gar keins. Beim Strom haben wir zumindest die Möglichkeit, diesen selbst zu produzieren. Das Gesetz erhöht damit die Stromsicherheit und -unabhängigkeit.»
Doch er muss der SVP gewissermassen doch zustimmen: «Es stimmt, dass wir mehr Strom brauchen werden als heute. Aber das stimmt unabhängig davon, ob es das Klimaschutzgesetz gibt oder nicht. Darum zimmern wir zusammen mit SVP-Bundesrat Rösti auch eine Offensive für Solar-, Wind- und Wasserstrom.» Diese Offensive sei aber noch nicht geregelt im Klimaschutzgesetz, sondern das genaue Vorgehen würde dann in weiteren Gesetzen bestimmt, erklärt Pult.
Der SVP-Nationalrat Christian Imark ist gänzlich anderer Meinung als sein Nationalratskollege Pult. Er sagt: «Dieses Gesetz ist eine Mogelpackung. Wir werden das Netto-Null-Ziel 2050 so oder so nicht erreichen und schon gar nicht mit den im Gesetz enthaltenen Massnahmen.»
Gegenüber dem Vorwurf, dass die SVP in ihrem Extrablatt Fake News verbreiten würde, entgegnet Imark: «Was vor allem nicht der Wahrheit entspricht, ist, dass man mit diesem Gesetz das Netto-Null-Ziel 2050 erreicht. Es ist richtig, dass im Stromfresser-Gesetz nicht steht, dass Benziner verboten werden oder Öl- und Gasheizungen. Es ist aber die logische Folge, wenn solch radikale Ziele verfolgt werden sollen. Anders wird es gar nicht funktionieren.»
Imark geht also davon aus, dass die Verbote noch folgen werden. Was hält er also von den Anreizen, welche mit dem Klimaschutzgesetz geschaffen werden? «Diese Anreize sind eine Farce. Was bringt es, eine Branche zu pushen, die schon heute am Anschlag ist? Ich habe grundsätzlich kein Problem damit, die Dekarbonisierung voranzutreiben, aber dafür brauchen wir zunächst mal eine massive Stärkung der Stromversorgung», erklärt er.
Ein Vorwurf der SP gegenüber der SVP ist, dass sie in ihrem Extrablatt falsche Zahlen verwende und so von viel zu hohen Kosten ausginge. Imark sagt dazu: «Es sind Prognosen von der Wissenschaft, die sich mit der Umsetzung des Gesetzes befassen. Wie genau diese sind, muss sich zeigen. Die Kernaussage bleibt aber, dass die Energie für Herr und Frau Schweizer sehr viel teurer wird und hunderte Milliarden an Investitionen nötig sind. Jede Prognose ist schlussendlich ein Blick in die Glaskugel. Die Prognosen der SVP haben sich leider schon bei der Energiestrategie als viel präziser entpuppt als diejenigen von Links/Grün. Bereits heute spürt das jeder in seinem Portemonnaie.»
Es stellt sich die Frage, welche Energiestrategie für Imark ideal wäre. Er sagt: «Ich bin für die Dekarbonisierung und den Ausbau der Erneuerbaren und es braucht zwingend den Ausbau der Winter-Stromversorgung. Das Ganze darf aber nicht auf Kosten des Schweizer Wohlstandes gehen. Ich habe selbst eine Fotovoltaikanlage bauen lassen und für die Familie ein Elektroauto gekauft. Aber mich stört einerseits der staatliche Zwang und andererseits der leichtfertige Umgang mit der Schweizer Energieversorgung. Die Bezahlbarkeit von Energie ist entscheidend für unseren Werkplatz und den sozialen Frieden in der Schweiz.»
Unter den SVP-Mitgliedern im Referendumskomitee findet sich nur ein Politiker einer anderen Partei: der FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen. Er erklärt watson, weshalb er gegen das Klimaschutzgesetz ist: «Die Anfrage nach Wärmepumpen hat sich seit 2018 mehr als verdoppelt. Bis die Anlage dann installiert wird, müssen die Kundinnen und Kunden sehr lange warten, denn wir haben aktuell weder genug Fachkräfte noch Material für die Installation. Der Markt ist also übersättigt. Es ist nicht sinnvoll, dass der Bund noch Subventionen von 200 Millionen pro Jahr spricht, denn die Leute investieren offensichtlich ohnehin schon in Wärmepumpen.»
Ein weiterer Punkt ist für ihn entscheidend: «Mit diesem Gesetz brauchen wir schlussendlich mehr Strom. So wird die Stromversorgungssicherheit nochmals strapaziert. Die Heizungen werden vor allem im Winter laufen. Wo nehmen wir da den Strom her, aus deutschen Kohlekraftwerken? Solche Fragen gilt es zuerst zu klären. Das Ganze wurde schlicht nicht fertig gedacht.»
Wasserfallen ist sich jedoch mit den anderen Komitee-Mitgliedern in gewissen Punkten nicht ganz einig: «Das Extrablatt der SVP ist ihre Parteizeitung. Ich habe von Anfang an kommuniziert, dass ich darin nicht erscheinen möchte, denn ich stehe nicht hinter allen Aussagen, die in diesem Extrablatt geschrieben wurden. Ebenso habe ich darauf verzichtet, an der Pressekonferenz aufzutreten.»
Am Donnerstag hat auch die Operation Libero das Klimaschutzgesetz-Parkett betreten, startete eine Kampagne und artikulierte in einer Pressekonferenz ihren Standpunkt.
Die Co-Präsidentin Sanija Ameti sagte: «Wollen wir eine Schweiz, die innovative Taktgeberin auf diesem Kontinent ist, oder eine Schweiz, die ihr Reduit mit Autokraten-Öl heizt? Wollen wir eine Schweiz, die weiterhin auf fossile Energien baut und sich abhängig von Autokraten macht, oder eine Schweiz, welche die Chancen der erneuerbaren Energien nutzt und unabhängig bleibt? Wollen wir eine Schweiz, die ihre Verfassung tatsächlich lebt? Ich meine: Ja.»
Ameti sagt nach der Pressekonferenz zu watson: «Die SVP verbreitet Desinformation. Mit dem Klimaschutzgesetz wird überhaupt nichts verboten, weder Benziner noch Ölheizungen. Und gegen die Massnahmen, die auf das Klimaschutzgesetz folgen, kann man das Referendum ergreifen. Die SVP kann sich also freuen, demokratischer geht es gar nicht.»
Sie erklärt weiter: «Es geht nicht nur um dieses Gesetz oder die Anreize, die geschaffen werden. Es geht darum, dass wir mit diesem Gesetz leben, was unsere Verfassung gebietet. Nämlich eine unabhängige Demokratie zu sein, die nicht vom Gas und Öl der Autokraten abhängig ist.»