Schweiz
Migration

Die Schweizer Politik ist ein hartes Pflaster mit Migranten

Mandy Abou Shoak fotografiert anlaesslich eines oeffentlichen Hearings der Kandidaten der Sozialdemokratischen Partei fuer den Stadtrat und Stadtpraesidium Zuerich, am Samstag, den 7. Juni 2025, in de ...
Mandy Abou Shoak wollte Zürcher Stadtpräsidentin werden. Die SP nominierte sie nicht einmal für den Stadtrat.Bild: keystone

Migranten haben es in der Schweizer Politik (immer noch) schwer

In der Schweiz stossen Menschen mit Migrationshintergrund in der Politik auf viele Hürden. Exemplarisch zeigt sich dies bei den Nominationen für die Zürcher Stadtregierung.
05.07.2025, 10:1107.07.2025, 09:21
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In Zürich ist die SP die Machtpartei schlechthin. Vor 30 Jahren hat letztmals ein SP-Mitglied die Wahl in den Stadtrat verpasst. Während die SVP im gleichen Zeitraum stets scheiterte. Entsprechend begehrt sind die Plätze auf dem Ticket. Es ist fast eine Binsenweisheit, dass bei den Sozis die Nomination eine höhere Hürde ist als die eigentliche Wahl.

Letzte Woche war es wieder so weit, und die Ausgangslage war aus mehreren Gründen spannend. So treten bei der Wahl am 8. März 2026 zwei der vier bisherigen SP-Stadträte nicht mehr an: Stadtpräsidentin Corine Mauch und Hochbauvorsteher André Odermatt. Und mit Mandy Abou Shoak mischte eine Muslima sudanesischer Herkunft das Prozedere auf.

Nationalraetin Celine Widmer, links, nimmt Gratulationen entgegen von Kantonsraetin Mandy Abou Shoak, rechts, .nach ihrer Nomination fuer die Kandidatur.in den Stadtrat an den Delegiertenversammlung d ...
Faire Verliererin: Mandy Abou Shoak gratuliert Nationalrätin und Stadtratskandidatin Céline Widmer.Bild: keystone

Die 36-Jährige bewarb sich nicht nur für den Stadtrat, sondern für das Präsidium und konkurrenzierte damit den bisherigen Sozialvorsteher Raphael Golta. Am Ende einer langen und heissen Versammlung stand Abou Shoak mit leeren Händen da. Die SP nominierte Golta als Stadtpräsident sowie Céline Widmer und Tobias Langenegger für den Stadtrat.

Chance verpasst

Für die Ausbootung der Flüchtlingstochter gibt es objektive Gründe. Die Zürcher SP ist nicht bekannt für einen Hang zum «Königsmord». Mandy Abou Shoaks «Angriff» auf den verdienten Genossen Raphael Golta wurde nicht goutiert, zumal sie in der Politik bislang keine grossen Spuren hinterlassen hat. Auch das Lobbying ihrer Bubble wurde als aufdringlich empfunden.

Abou Shoak erwies sich als faire Verliererin. Sie scheint erkannt zu haben, dass sie vielleicht zu schnell zu viel wollte. Der Stadtzürcher SP aber wurde mit dem Vorwurf konfrontiert, sie habe eine Chance verpasst. Mit einer Person mit lupenreinem Migrationshintergrund hätte sie im Multikulti-Zürich ein Zeichen für Diversität setzen können.

Wahl-Listen «bunter» machen

Ein offener Brief mit dem Titel «Es isch gnueg!», lanciert von 20 Persönlichkeiten (darunter Prominente wie Samir, Melinda Nadj Abonji und Pedro Lenz), geht mit den «linken Parteien der Schweiz» hart ins Gericht: «Wir sind für euch gut genug, um die Wahl-Listen bunter zu machen, aber wenn es um echte Entscheidungsmacht geht, bleibt der Zugang verwehrt.»

Perparim Avdili, Gemeinderat FDP Stadt Zuerich, spricht mit Medien, nach dem dem Alba-Festival vom kommenden Wochenende in Zuerich die Bewilligung wieder entzogen wurde, am Freitag, 3. September 2021, ...
Die Zürcher FDP nominiert Përparim Avdili für das Stadtpräsidium.Bild: KEYSTONE

Die Konkurrenz nahm diesen «Steilpass» gerne auf, allen voran die FDP, die ihre einstige Vormachtstellung an die SP abtreten musste und im rotgrünen Zürich marginalisiert ist. Sie stellte ihren albanischstämmigen Parteipräsidenten Përparim Avdili für das Stadtpräsidium und Marita Verbali, eine Tochter italienisch-argentinischer Eltern, für den Stadtrat auf.

SP ist auch ein Vorbild

Die Grünliberalen hatten bereits zuvor Serap Kahriman, eine Gemeinderätin türkischer Abstammung, für den Stadtrat nominiert. Womit FDP und GLP die SP und auch die Grünen bezüglich Diversität ausmanövriert haben. Es ist ein PR-Coup, doch letztlich bleiben ihre Erfolgschancen angesichts der linksgrünen Dominanz in Zürich überschaubar.

Die Vorwürfe an die Sozialdemokratie wirken zudem überzogen. Zumindest in der Deutschschweiz hat sie die beste Bilanz aller Parteien bei der Förderung migrantischer Personen. Beispiele sind die Luzerner Regierungsrätin und gebürtige Kosovarin Ylfete Fanaj, der Basler Regierungsrat Mustafa Atici oder der Zürcher Nationalrat Islam Alijaj.

Vom Flüchtling zum Bürgermeister

Das Problem ist, dass man sie immer noch als Einzelfälle bezeichnen kann. Im nationalen Parlament findet man kaum Menschen mit einer Migrationsgeschichte. Anderswo ist man weiter. In Baden-Württemberg wurde 2023 Ryyan Alshebl zum Bürgermeister eines kleinen Ortes gewählt. Er war erst 2015 als syrischer Flüchtling nach Deutschland gelangt.

epa11422078 Ryyan Alshebl, mayor of Ostelsheim, poses for a portrait at the town hall in Ostelsheim, Germany, 15 May 2024 (issued 19 June 2024). Ryyan Alshebl, 30, was born in southern Syria, in the t ...
Ryyan Alshebl kam 2015 als Flüchtling nach Deutschland und war schon acht Jahre später Bürgermeister der Ortschaft Ostelsheim.Bild: keystone

Die Vorstellung, dass ein Asylbewerber bei uns nach acht Jahren zum Gemeinde- oder gar Stadtpräsidenten gewählt wird, wirkt abenteuerlich. Möglich wäre es vielleicht in der Romandie, die auch beim Ausländerstimmrecht offener ist als die Deutschschweiz. Dabei haben fast 40 Prozent der in der Schweiz lebenden Menschen einen Migrationshintergrund.

Strukturelle Diskriminierung

Man kann einige Gründe nennen für ihre geringe politische Partizipation. An erster Stelle stehen die Einbürgerungshürden. Hinzu kommt das Milizsystem. Wer aus dem Ausland – wie auch immer – in die Schweiz kommt, legt den Fokus in erster Linie auf die berufliche Karriere. Für eine politische Tätigkeit bleibt neben der Familie oft kaum Zeit.

Doch das allein erklärt nicht, warum der Anteil der politisch aktiven Personen mit Migrationshintergrund in der Schweiz nur bei 16 Prozent liegt, wie eine im Frühjahr veröffentlichte Studie der Universität Neuenburg und der Stiftung Mercator Schweiz zeigt. Sie sieht in der Unterrepräsentation einen Indikator für strukturelle Diskriminierung.

Sichtbarkeit schadet

«Je sichtbarer der Migrationshintergrund – etwa durch Namen, Akzent oder physische Merkmale – ist, desto zahlreicher sind die Hindernisse im Laufe der politischen Karriere», lautete das Fazit der Studie. Oder weniger nett formuliert: Selbst in vermeintlich aufgeklärten Kreisen sind solche Menschen mit Vorurteilen konfrontiert.

Regierungsrat Mustafa Atici, Vorsteher Erziehungsdepartement Basel-Stadt, spricht zum Auftakt ins neue Schuljahr und begruesst die Schuelerinnen und Schueler der ersten Klassen an der Primarschule Vol ...
Mustafa Atici erlebte selbst im weltoffenen Basel Anfeindungen. Regierungsrat wurde er trotzdem.Bild: keystone

Das gilt sogar für das weltoffene Basel, wo sich Mustafa Atici im Wahlkampf mehr oder weniger offen mit dem Vorwurf konfrontiert sah, er spreche kein Baseldytsch, sondern nur ein holpriges Hochdeutsch. Es werde «langsam unangenehm», sagte Atici dem Portal Bajour: «Herkunft, Basel-Deutsch, Döner, Englisch. Was kommt als Nächstes?»

Legitimität infrage gestellt

Immerhin schaffte der erfolgreiche Kebab-Unternehmer die Wahl in die Regierung, bei der Gesamterneuerung im letzten Oktober sogar im ersten Durchgang. Damit es nicht bei Einzelfällen bleibt, braucht es für die Autorinnen und Autoren der Studie mit dem Namen repchance.ch eine gezielte Ansprache und Förderung von solchen Personen.

Eine Rekrutierung nur, um eine Partei «zeitgemäss» wirken zu lassen, führt demnach «nicht unbedingt zu einer nachhaltigen Integration in Parteistrukturen». Denn oft würden Menschen mit Migrationshintergrund mit Stereotypen und Diskriminierungen konfrontiert, die ihre Legitimität als politische Akteure infrage stellten, heisst es. Man frage nur Sibel Arslan.

Die Studie liefert keine abschliessenden Antworten. Vielmehr ergeben sich weitere Fragen, etwa warum Politikerinnen und Politiker migrantischer Herkunft «im Vergleich zu den anderen untersuchten europäischen Ländern mehr Anfeindungen» erfahren. Nicht nur in Zürich gibt es somit auf dem Weg zu ihrer politischen «Integration» einiges zu tun.

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124 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Hierundjetzt
05.07.2025 15:08registriert Mai 2015
Herkunft. Ist. Keine. Kompetenz

Da kann die Zürcher Medienlandschaft noch so im Dreieck springen

Würde Sie ein Unternehmen führen wie Badran wär das kein Thema.

Sie ist Sozialarbeiterin und hat nicht mal die volle Legislatur geschaft

Warum man mit diesem sehr sehr dürftigen Lebensausweis eine 450’000 Stadt regieren will, erschliesst sich mir nicht.

Das ist kompletter bluff und selbstüberschätzung
25413
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Hans Hampelmann
05.07.2025 15:03registriert Februar 2024
Liegt es evtl eher daran, dass „sie in der Politik bislang keine grossen Spuren hinterlassen hat“? Wenige 36 jährige ohne viel Erfahrung werden zu CEOs nur weil sie sudanesische Muslimas sind. Ich bin ganz klar der Meinung, dass einzig der Leistungsauweis zählen sollte und keine anderen Kriterien.
2014
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Borki
05.07.2025 15:07registriert Mai 2018
Auch Herr Müller und Frau Meier müssen in der Schweiz meistens die berühmt-berüchtigte Ochsentour machen, bevor sie in ein wirklich wichtiges Amt gewählt werden...

Ich will nicht behaupten, das Problem sei inexistent, aber Frau Mandy Abou Shoak eignet sich eigentlich nicht als Aufhänger dieses Artikels.
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