Eigentlich neigt sich die Karriere von Filippo Leutenegger dem Ende zu. Der einstige Chefredaktor des Schweizer Fernsehens, der als Quereinsteiger für die FDP in den Nationalrat gewählt wurde, verliess 2014 die nationale Politbühne. Dies, nachdem er im linken Zürich den Einzug in die Exekutive, den Stadtrat, geschafft hatte. Auch damit ist bald Schluss: Leutenegger tritt nicht zur Wiederwahl an.
Doch an Ruhestand denkt der 72-Jährige noch lange nicht. Vor knapp zwei Jahren stieg er in die Kantonspolitik ein. Die freisinnigen Delegierten wählten ihn in einer emotionalen Kampfwahl gegen Peter Grünenfelder als Parteipräsident. Dieses Amt behält Leutenegger auch nach seinem Rückzug aus der Stadtzürcher Exekutive. Mit pointierten Interviews und Forderungen hält er sich und seine Partei im Gespräch, und kantonale Parteiversammlungen werden plötzlich national wahrgenommen. Etwa wenn er UBS-Chef Sergio Ermotti auftreten lässt. Und vor allem: Seit Leutenegger das Präsidium übernommen hat, sind die davor öffentlich ausgetragenen Grabenkämpfe im Zürcher Freisinn beendet.
Jetzt wälzen einige Parteiangehörige die Idee, Filippo Leutenegger wieder auf die nationale Ebene zu hieven – als Nachfolger von Parteipräsident Thierry Burkart. Es wagt sich niemand aus der Deckung, denn Leutenegger könnte als Misstrauensvotum gegen die potenziellen Kandidierenden verstanden werden. Diesen Eindruck will man vermeiden.
Nach mehreren Absagen stehen noch vier Namen im Raum, wobei unsicher ist, ob sie wirklich wollen: Susanne Vincenz-Stauffacher (SG), Marcel Dobler (SG), Damien Cottier (NE) – und Benjamin Mühlemann, Ständerat aus Glarus. Er hatte jüngst Auftrieb, aber ausserhalb seines Kantons tendiert sein Bekanntheitsgrad gegen null.
Soll Leutenegger jetzt als «Notnagel» einspringen? Er wäre kein «Notnagel», heisst es, sondern ein «Übergangspapst». Die Logik ist folgende: Aufstrebende, landesweit bekannte Politiker wie Andri Silberschmidt (31, ZH) oder Damian Müller (40, LU) schrecken vor einer Kandidatur zurück, obwohl sie beste Wahlchancen hätten. Sie wollen sich nicht verheizen lassen.
Denn nach dem unerwarteten Rücktritt von Thierry Burkart muss der oder die Neue einen Kaltstart hinlegen: Schon in zwei Jahren sind eidgenössische Wahlen. Wenn in dieser kurzen Zeit keine Trendwende erfolgt ist, besteht ein erhebliches Risiko, dass die FDP hinter die Mitte-Partei zurückfällt und deshalb ihren zweiten Bundesratssitz verliert. Die FDP erstmals seit Staatsgründung 1848 mit nur einem Bundesrat: Damit will man nicht unbedingt in die Geschichte eingehen.
Leutenegger aber würde dadurch nicht beschädigt. Er hat nichts zu verlieren und könnte befreit aufspielen. Sein Mandat, so die Überlegungen, wäre befristet bis zu den Wahlen 2027. Ein Freisinniger vergleicht es mit einem Fussballtrainer, der ein Team mitten in der Saison übernimmt und zu einem guten Ende führt.
Angesprochen auf diese Überlegungen, sagt Politologe Michael Hermann: «Das Amt des FDP-Präsidenten ist zurzeit undankbar, darum spricht vieles für die Option Leutenegger, falls es diese gibt.» Sein Profil wäre «nahezu ideal». Leutenegger habe die Kantonalpartei «aus dem Stand heraus» für sich gewonnen und die Lage beruhigt. Auch, weil er menschlich fassbar und ein sehr guter Kommunikator sei – «und das ist in der jetzigen Lage fast das Wichtigste».
Ist es ein Handicap, dass Leutenegger nicht im Parlament sitzt, wie dies normalerweise der Fall ist? Eine Ausnahme bilden zurzeit nur die Grünen, bei denen Lisa Mazzone trotz Abwahl aus dem Ständerat Parteichefin wurde. Michael Hermann sagt: «Leutenegger würde dieses Manko mit seiner Bekanntheit und Vernetzung wettmachen.» Alle kennen ihn, und er gilt als zugänglich und erreichbar. Als Chef der grössten Kantonssektion hat er zudem eine breite Heimbasis.
Hermann sieht aber einen anderen Knackpunkt: Die Europapolitik. «Die FDP wird wahrscheinlich für die Bilateralen III eintreten, und Leutenegger gehört zu den Gegnern. Das ist ein Schlüsselthema. Da reicht es nicht, wenn er sich zurückhält und moderiert, er muss in der ‹Arena› die Verträge mit Überzeugung vertreten können.»
Leutenegger sagt bloss, dass er in der Partei wiederholt auf das Präsidialamt angesprochen werde. Auf sein Europa-Handicap angesprochen, antwortet er: «Ich finde wichtig, dass die Haltung der FDP in den Kantonalparteien und an der Basis intensiv diskutiert wird. Das ist die Lehre aus dem EWR. Wenn es – was ich erwarte – auf ein Ja herauslaufen könnte, gilt es diesen Willen zu respektieren.»
Ein «Arena»-taugliches Statement. An der Kommunikation würde es ohnehin kaum scheitern, zumal sich Leutenegger (Arena-Moderator von 1991 bis 1997) von FDP-Generalsekretär Jonas Projer (Arena-Moderator von 2014 bis 2020) briefen lassen könnte. Die Bewerbungsfrist für die Burkart-Nachfolge läuft morgen Mittwoch ab.
Genau das ist der Plan, damit diese unsägliche Übervertretung von Rechts-Bürgerlich endlich endet. Die Mitte ist zwar auch Bürgerlich, aber zuindest kompromissfähig.