Balthasar Glättli gab Gas. «Das ist pure Arbeitsverweigerung», rief der Grünen-Präsident in den Nationalrat. Wenn Kommissionen Aufträge aus dem Parlament nicht umsetzten, habe man eine «Diktatur von Kommissionsmehrheiten», kritisierte er – was wiederum FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen auf die Palme trieb: Das sei Unsinn, konterte er und mahnte, das Wort Diktatur sorgfältig zu nutzen.
Der Streit entbrannte in der Debatte über eine Frage, die schon lange auf dem Tisch liegt: Sollen Jugendliche bereits mit 16 Jahren stimmen und wählen dürfen? 2019 reichte Nationalrätin Sibel Arslan (Grüne/BS) eine parlamentarische Initiative dazu ein. Junge Menschen sollten die Entscheide mitbeeinflussen können, welche ihre Zukunft betreffen, argumentierte sie.
Zunächst konnten die Befürworter Erfolge feiern: Das Parlament gab 2021 im Grundsatz grünes Licht. Doch dann folgte ein längeres Seilziehen zwischen dem Nationalrat und seiner vorberatenden Kommission. Der Nationalrat sprach sich insgesamt drei Mal für das Stimmrechtsalter 16 aus, während die Kommission das Geschäft stets beerdigen wollte – ein ungewöhnlicher Vorgang. Die linke Seite sprach von Arbeitsverweigerung.
Am Mittwoch befand der Nationalrat nun erneut darüber und machte kurzen Prozess: Er versenkte den Vorstoss mit 106 zu 84 Stimmen definitiv. Wie zuvor sprachen sich SVP, FDP und Teile der Mitte gegen eine Senkung des Stimmrechtsalters aus. Diesmal erreichten sie aber eine Mehrheit, weil die SVP bei den nationalen Wahlen im Herbst gewachsen ist.
Den Vorwurf der Arbeitsverweigerung wischte Kommissionssprecher Christian Wasserfallen (FDP/BE) vom Tisch. Nach Ansicht der Gegner des Stimmrechtsalters ergibt es schlicht keinen Sinn, eine Vorlage auszuarbeiten, da diese chancenlos wäre. In der Vernehmlassung sprachen sich eine Mehrheit der Kantone sowie SVP, FDP und Mitte dagegen aus. Zudem wurde das Stimmrechtsalter 16 in mehreren Kantonen deutlich an der Urne verworfen. Einzig in Glarus sagte die Landsgemeinde Ja.
Der Hauptkritikpunkt der Gegner: Das politische und das zivilrechtliche Mündigkeitsalter sollen dasselbe bleiben. Oder einfacher gesagt: Weil ein 16-Jähriger beispielsweise noch keine Steuererklärung ausfüllen muss, soll er auch noch nicht abstimmen dürfen.
Mit dem Entscheid des Nationalrats ist der Vorstoss definitiv versenkt. Entsprechend enttäuscht zeigten sich die Befürworter und Befürworterinnen. Sibel Arslan sprach angesichts der Vorgeschichte von einem «Trauerspiel». SP-Nationalrätin Nadine Masshardt sagte, sie bedauere den Entscheid – inhaltlich und demokratiepolitisch. «Es wäre an der Zeit, dass die Stimmbevölkerung über das Stimmrechtsalter 16 entscheiden kann», so Masshardt.
«Es ist sehr frustrierend», sagte Vanessa Bieri von der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände. «Das Stimmrechtsalter 16 ist wichtig, es wäre auch ein Gewinn für die Demokratie.» Man werde nun prüfen, welche Optionen es gebe, auch eine Volksinitiative sei nicht ausgeschlossen. «Wir werden nicht lockerlassen.» (aargauerzeitung.ch)
Noch mehr unbedarfte Stimmbürger:innen? Solange die Schule dem staatsbürgerlichen Unterricht einen so niedrigen Stellenwert beimisst wie bis heute, kann nicht erwartet werden, dass Schüler:innen mit Null-Berufserfahrung kompetent politisch mitreden können. Zudem kann man erst mit zunehmendem Alter schleichende, erst langfristig erkennbare negative Entwicklungen der Wirtschaft und Gesellschaft angemessen beurteilen. Das wissen viele Junge selbst. Ein weiterer Grund für die tiefe Stimmbeteiligung der Jungen.
Ein jugendlicher kann zB weder seinen Lehrvertrag oder Handyvertrag ohne seine Erziehungsberechtigten (rechtsgültig) unterschreiben, soll aber über Mio oder gar Mia Budgets auf Kommunaler oder gar Bundesebene entscheiden?
Liebe Befürworter, wenn das Stimm- und Wahlrecht auf 16 fallen soll, dann muss auch das Mündigkeitsalter auf 16 fallen.