In Gedanken versunken, wirft Jourj Unkraut in die verrostete Schubkarre. Dahinter kniet Mariana. Die junge Frau rupft mit Handschuhen das widerborstige Kraut aus der Erde und reicht es Jourj. Die beiden reden kaum. Es weht ein frischer Wind an diesen Nachmittag, der sanft die T-Shirts an der Wäscheleine im Garten daneben streichelt. Irgendwo bimmeln Kuhglocken.
Wer beim «Huus uf dr Weid» am nördlichen Ende von Beinwil am See vorfährt, trifft auf eine Idylle über dem Hallwilersee. Eine getrübte Idylle. Jourj ist Asylbewerber aus Syrien, Mariana floh vom Bürgerkrieg in der Ukraine. Im «Huus uf dr Weid» wohnen die beiden mit 35 weiteren Asylbewerbern. Die kantonale Unterkunft wurde vor einem Monat wegen rekordhoher Asylzahlen eröffnet. Bald werden alle 39 Plätze belegt sein – mit Familien und einzelnen Männern, vorwiegend aus Eritrea, Syrien und Sri Lanka. Das frühere Armenhaus von Beinwil am See ist wieder eine Stätte für Hilfesuchende.
Asylsuchende, die Unkraut jäten und Wäsche aufhängen: Dieser erste Eindruck vom Leben in der Beinwiler Unterkunft entspreche ziemlich gut dem Alltag im «Huus uf dr Weid», sagt Ronald Lorenz, der Betreuer vor Ort. «Die meisten Asylsuchenden engagieren sich stark und packen mit an.» Sie hätten angeboten, den Garten auf Vordermann zu bringen – zusätzlich zu den Aufgaben, welche die Asylsuchenden in der Gemeinschaft erledigen müssen: Sie kochen selber, waschen und putzen Gemeinschaftsräume, die alten WCs sowie die 15 Zimmer. Letztere sind spartanisch mit Bett, Kühlschrank, Tisch und Schrank eingerichtet.
Ist die Pflicht getan, zieht es viele Bewohner weg; etwa nach Reinach oder Menziken, wo viele Asylbewerber anzutreffen sind. Diese können sich frei bewegen, solange sie ihre Pflichten im Haushalt und gegenüber den Ämtern erfüllen. Wer das nicht tut, dem wird das Geld reduziert – eine der wenigen Möglichkeiten für Sanktionen. Asylbewerber erhalten 10 Franken pro Tag.
9 sind fürs Essen vorgesehen, 1 Franken ist Sackgeld. Gemeinsam gekocht wird im «Huus uf dr Weid» kaum. Die Familien und Gruppen sind gerne unter sich. Für Kleider erhalten die Asylsuchenden 20 Franken pro Monat, ausbezahlt quartalweise. Für Einkäufe nutzen die Asylbewerber den Bus. Selbstständig gehen sie auch zum Arzt. «Wir geben eine Wegbeschreibung ab», sagt Ronald Lorenz. «Bei Schwierigkeiten werden sie beim ersten Mal gefahren, genauso im Notfall». Das war vor einem Monat der Fall, als eine Frau – die Asylunterkunft war kaum geöffnet – in den Wehen lag.
Trotz unterschiedlicher Sprachen und Kulturen funktionieren der Betrieb sowie die Verständigung untereinander. «Meistens klappt es mit Englisch oder Französisch, wenn nicht mit Händen und Füssen», sagt Lorenz. Oft würden andere Asylbewerber helfen und übersetzen. Alle Bewohner waren bereits in anderen Unterkünften und wissen, wie es läuft. Zum Teil kennt man sich. «Wenn alle Stricke reissen, können wir auf Dolmetscher zurückgreifen oder in ausserordentlichen Situationen auf Kulturvermittler.» Dies sei hier bislang nicht nötig gewesen.
Zwischen den Abend- und Morgenstunden führt der Nachtdienst unangekündigte Kontrollen durch. Dieser patrouilliert zwischen den Asylunterkünften und prüft, wer anwesend ist. Regelmässig stoppen auch Regional- und Kantonspolizei beim «Huus uf dr Weid». Eine 24-Stunden-Überwachung gibt es nicht. «Wir erwarten keine Probleme in der Beinwiler Unterkunft», erklärt Denise Werren, Gruppenleiterin Betreuung beim Kantonalen Sozialdienst. «Dies, weil alle Bewohner im laufenden Asylverfahren sind und auf einen Entscheid warten.»
Anders sei dies in kantonalen Unterkünften mit Asylbewerbern, die das Land verlassen müssen, sowie in Oftringen. «Dort setzen wir rund um die Uhr Securitas ein. Zu grossen Problemen kam es bislang aber nicht», so Werren. Der richtige Mix von ethnischen Gruppen sei entscheidend. «Wo Leute eng zusammen wohnen, gibt es Knatsch. Das ist normal. Wenn es aber grössere Reibereien gibt, haben wir die Möglichkeit, Asylsuchende umzuplatzieren.»
In den Strassen von Beinwil am See fielen die Asylbewerber bislang wenig auf. «Es gibt keine einzige Beschwerde aus der Bevölkerung», sagt Gemeindeammann Peter Lenzin. Im Gegenteil: Die wenigen Rückmeldungen seien positiv. «Einige Bürger sind überrascht, dass die Asylbewerber nicht im Dorf herumhängen und Ängste sich als unbegründet herausgestellt haben.»
Ronald Lorenz und Denise Werren haben die Bevölkerung als wohlwollend erlebt. «Es kommen Leute vorbei und bieten Hilfe oder Kleider an», sagt Lorenz. Ein Pensionär sei mit Asylsuchenden zum Einkaufen nach Reinach gefahren. Andere würden sich für Rundgänge durch die Unterkunft interessieren. Das ist jedoch nicht möglich. «Wir legen Wert auf die Privatsphäre der Bewohner.»
An diesem Nachmittag klingelt es einmal mehr an der Tür. Eine Frau aus dem Dorf erkundigt sich, wie sie helfen kann. Ronald Lorenz notiert ihre Nummer, falls eine schwangere Frau zum Arzt muss. Für die Nachbarin ist diese Hilfe eine Selbstverständlichkeit. «Ich habe viel Verständnis für Flüchtlinge.»
Tag der offenen Tür: Am Samstag, 15. November, informiert der Kantonale Sozialdienst vor Ort über die Asylunterkunft im «Huus uf dr Weid». Detailliertere Informationen folgen später.