In schwarzen Jeans und schwarzem T-Shirt erscheint Sulogika zum Termin mit CH Media. Das Treffen findet in Zürich statt, im Kreis 5, im Büro von Solidarnetz, einem Verein, der sich für Flüchtlinge einsetzt.
Sulogika ist 32-jährig, Tamilin und stammt aus Kilinochchi, einer Stadt im Norden Sri Lankas. Sie hat einen grossen Traum: Sie möchte ihren 12-jährigen Sohn, einen Buben mit Fussball als Hobby, zu sich nach Zürich holen. Er lebt bei seiner Grossmutter und fragt am Telefon immer wieder, wann er endlich zu seiner Mutter kommen dürfe.
Vor sechs Jahren flüchtete Sulogika mit dem Flugzeug in die Schweiz; von ihrem Mann hat sie sich getrennt. Freundinnen finanzierten die Reise, doch ein Ticket für den Sohn lag nicht drin. Seither haben sie einander nie mehr gesehen. Sulogika erhielt kein Asyl, aber eine vorläufige Aufnahme. Reisen zurück in die Heimat sind nur in Ausnahmefällen gestattet.
Vorläufig aufgenommen werden Personen, die wegen Unzumutbarkeiten wie Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt oder medizinischen Notlagen nicht in ihre Heimat weggewiesen werden können. Der Bürgerkrieg zwischen der Regierung und den tamilischen Rebellen wurde zwar 2009 beendet. Laut Amnesty International sind die Rechte der tamilischen Minderheit aber noch immer nicht gesichert. Frontal will sich Sulogika nicht fotografieren lassen.
Sulogika lebt mit ihrer sechsjährigen Tochter in einer Wohngemeinschaft. Das Mädchen gebar sie in der Schweiz. Viel Freizeit bleibt der alleinerziehenden Mutter nicht. Mit Sorgen blickt sie auf die Traktandenliste des Ständerats. Am nächsten Mittwoch wird er über eine Motion von Esther Friedli (SVP, SG) abstimmen, von der Sulogika unmittelbar betroffen ist: einem Verbot des Familiennachzugs für vorläufig Aufgenommene.
In der Herbstsession hiess die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat einen gleichlautenden Vorstoss gut. Vergeblich mahnte Justizminister Beat Jans: «Sie würden Familien auseinanderreissen von Menschen, die gut integriert sind, arbeiten und ihr Geld selber verdienen.»
Rund 43'000 Personen leben derzeit mit einer vorläufigen Aufnahme in der Schweiz. Die Hürden für den Familiennachzug sind hoch. Die Gesuchsteller müssen mindestens drei Jahre lang in der Schweiz leben, wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen, eine ausreichend grosse Wohnung haben und sich in der Ortssprache verständigen können. Entsprechend gering wirkt sich der Familiennachzug für vorläufig Aufgenommene auf die Migrationsbilanz aus. In den letzten vier Jahren kamen auf diesem Weg jährlich im Durchschnitt 108 Personen in die Schweiz.
Sulogika arbeitet im Stundenlohn als Reinigungskraft. Noch erfüllt sie nicht alle Bedingungen. Ihr Einkommen reicht nicht aus, um ohne Sozialhilfe über die Runden zu kommen. Sie zeigt sich aber zuversichtlich, dass sie bald keine staatliche Unterstützung mehr benötigt. Dann hätte sie gute Chancen auf ein Wiedersehen mit ihrem Sohn – es sei denn, der Ständerat schlägt die Tür zu.
Ob es so weit kommt, hängt nicht zuletzt von den Vertretern der Mitte ab. Im Nationalrat votierte eine deutliche Mehrheit der früheren CVP für das Verbot, im Einklang mit SVP und FDP. Die staatspolitische Kommission (SPK) des Ständerats empfahl den Vorstoss aber knapp mit 6:5 Stimmen zur Ablehnung, auch mit Mitte-Stimmen. Daniel Fässler, SPK-Präsident und Mitte-Ständerat aus dem Kanton Appenzell Innerrhoden, sagt, eine offizielle Position gebe es nicht: «Es wird zustimmende und ablehnende Stimmen geben.»
Klar gegen die SVP-Forderung spricht sich die Flüchtlingshilfe aus. Es handle sich um einen eklatanten Verstoss gegen rechtsstaatliche Grundsätze, Verfassung und Völkerrecht, sagt Sprecherin Eliane Engeler. Sie meint damit etwa das Recht auf Achtung des Familienlebens, das sowohl in der Bundesverfassung als auch in mehreren von der Schweiz unterzeichneten internationalen Abkommen verankert ist. Diesen Punkt betont auch Justizminister Beat Jans. Aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat der Bund die Wartefrist in der Praxis sogar bereits von drei auf zwei Jahre verkürzt.
Die SVP hingegen argumentiert, ein Familiennachzug ergebe nur Sinn bei einem längeren Aufenthalt in der Schweiz. Eine vorläufige Aufnahme müsse aber von kurzer Dauer sei. Dass dies in der Realität nicht geschehe – vorläufige Aufnahmen führen fast immer zu Aufenthalt – deute auf Missbrauch hin. Die FDP hält derweil in ihrem neuen Migrationspapier fest, vorläufige Aufgenommene seien in der Schweiz nur geduldet, ihr Aufenthalt sei grundsätzlich temporär. «Daher muss der Familiennachzug bei ihnen auf das absolute Minimum eingeschränkt werden.»
Es sind Positionsbezüge, die Sulogika zum Verzweifeln bringen. Im Verlauf des Gesprächs bricht sie mehrmals in Tränen aus und richtet einen Appell an den Ständerat: «Ich wünsche mir Menschlichkeit.» (aargauerzeitung.ch)