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Gewerbeverband: Der abberufene Direktor soll nun doch ins Amt

Machtkampf im Gewerbeverband: Der abberufene Direktor soll nun doch ins Amt

Henrique Schneider war als Direktor des Gewerbeverbandes vorgesehen - bis ihm serienmässiges Plagiieren nachgewiesen wurde. Einflussreiche Kräfte im Verband arbeiten darauf hin, dass Schneider nun trotzdem Chef wird. Dem Präsidenten Fabio Regazzi bliebe nur der Rücktritt. Am nächsten Mittwoch kommt es zum Showdown.
25.06.2023, 16:31
Francesco Benini, Kari Kälin / ch media
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Von der Öffentlichkeit bisher unbemerkt, ist im Schweizerischen Gewerbeverband ein Machtkampf ausgebrochen. Der Konflikt steuert auf eine Eskalation zu: Am kommenden Mittwoch kommt es in Bern zum Showdown zwischen zwei gegnerischen Lagern.

Der Chef
Der Vorstand um Präsident Fabio Regazzi widerrief die Wahl von Henrique Schneider (Mitte) zum Verbandsdirektor. Nun kommt der Gegenschlag.Bild: sda

Der Gewerbeverband ist die Dachorganisation der kleinen und mittleren Unternehmen. Er ist riesig - vertritt er doch 230 Verbände und rund 600'000 Betriebe. Nun geht es um die Frage: Wer führt den Verband?

Präsident sah Glaubwürdigkeit des Verbandes gefährdet

Im vergangenen Februar wählte die Gewerbekammer - das Parlament des Verbandes - Henrique Schneider zum neuen Direktor. Der bisherige stellvertretende Direktor hätte am 1. Juli Hans-Ulrich Bigler ablösen sollen.

Dann hielt die «NZZ am Sonntag» Henrique Schneider Plagiate und Titelschwindelei vor: Er soll in seinen Publikationen ganze Passagen aus Texten anderer Autoren verwendet und sich mit akademischen Titeln geschmückt haben, die er nicht führe.

Der Vorstand des Gewerbeverbandes gab ein externes Gutachten in Auftrag, bei der Juraprofessorin Isabelle Häner. Sie arbeitet als Rechtsanwältin bei der Anwaltskanzlei Bratschi und kam zum Schluss: Der Vorwurf des «serienmässigen Plagiierens» ist berechtigt. Das Plagiieren entspreche einem klaren Fehlverhalten und sei als «Treuepflichtverletzung» zu werten.

Das Gutachten hielt ausserdem fest, dass Henrique Schneider in seinem Lebenslauf keine falschen Angaben gemacht habe. Die Untersuchung ging nicht auf die Frage ein, wieso Schneider als Autor von Texten und als Redner bei öffentlichen Auftritten akademische Titel trug, die ihm nicht zustehen. Als er zum Beispiel 2021 vor der AFD in Deutschland sprach, lautete das Namenschild vor ihm: «Prof. Dr. Schneider.» Nach eigenen Angaben führt er aber keinen akademischen Titel.

Vor zwei Wochen entschied der Vorstand des Gewerbeverbandes, die Wahl Schneiders zum Direktor zu widerrufen. Präsident und Mitte-Nationalrat Fabio Regazzi äusserte sein Bedauern, betonte aber, die Glaubwürdigkeit des Verbandes dürfe nicht gefährdet werden.

Jetzt wird der Gegenschlag vorbereitet. Ziel: Henrique Schneider soll trotz seines wissenschaftlichen Fehlverhaltens zum Verbandsdirektor aufsteigen.

Delikate Zusammenkunft im Hotel Schweizerhof

Am kommenden Mittwoch ist im Hotel Schweizerhof in Bern eine ausserordentliche Sitzung der Gewerbekammer anberaumt. Auf der Traktandenliste findet man einen Antrag von Robert Gubler. Er ist PR-Berater in Zürich und war vor kurzem involviert in den Wahlkampf von Peter Grünenfelder: Der Direktor des Thinktanks Avenir Suisse kandidierte Anfang Jahr für den Zürcher Regierungsrat. Und scheiterte.

Was fordert Gubler nun in seinem Antrag? Erstens: Hans-Ulrich Bigler soll mindestens sechs Monate über den 1.Juli hinaus Verbandsdirektor bleiben. Zweitens: «Gutachten, Prozesse und Kommunikation» zum Fall Schneider seien sauber aufzuarbeiten und der Gewerbekammer darzulegen. Drittens: «Der Amtsantritt des gewählten Direktors, Henrique Schneider, wird bis zum Ausscheiden Hans-Ulrich Bigler verschoben.»

Hans-Ulrich Bigler, Direktor Schweizerischer Gewerbeverband, spricht waehrend einer Medienkonferenz des Komitees "Mediengesetz Nein", am Mittwoch, 5. Januar 2022, in Bern. (KEYSTONE/Peter Kl ...
Geht er in die Verlängerung? Verbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler.Bild: keystone

Gubler will also, dass die hundertköpfige Gewerbekammer den Entscheid des fünfzehnköpfigen Vorstandes umstösst. Er betont in seiner schriftlichen Begründung, dass die Ernennung des Direktors in die Kompetenz der Gewerbekammer falle. Im Umkehrschluss falle auch eine Abberufung in die Kompetenz der Gewerbekammer.

Nach Ansicht Gublers ist mit der Wahl Schneiders am 8. Februar 2023 ein gültiger Arbeitsvertrag zustande gekommen. Nun drohe eine Klage auf missbräuchliche Kündigung. Gubler deckt den Vorstand des Gewerbeverbandes mit weiteren Vorwürfen ein: Mit der Medienmitteilung vom 9. Juni - dem Tag der Abberufung - sei der Ruf des gewählten Direktors in der Öffentlichkeit massiv in Mitleidenschaft gezogen worden.

Der Vorstand hatte hingegen argumentiert: Der Fall einer Abberufung des Direktors sei in den Statuten des Verbandes nicht geregelt. Wegen der «hohen zeitlichen Dringlichkeit» habe der Vorstand in dieser Frage entschieden und dann die Gewerbekammer informiert.

Ein Mitglied der Gewerbekammer, das nicht nicht genannt werden will, sagt nun: «Wenn Gublers Antrag durchkommt, bedeutet das: Präsident Regazzi und weiteren Mitgliedern des Vorstandes bleibt nur der Rücktritt.» Der Gewerbeverband sei dann nicht mehr führbar.

Im Verband gilt es als ausgemacht, dass Direktor Bigler nicht auf der Seite des Präsidenten steht. Man erzählt sich: Bigler wäre gerne noch länger Verbandschef geblieben, aber Fabio Regazzi habe das verhindert. Im vergangenen Januar publizierte der Gewerbeverband ein KMU-Rating: Es zeigte «die Gewerbefreundlichkeit» der National- und Ständeräte. Regazzi landete auf Rang 85. Ein Mitglied der Gewerbekammer sagt: Die Kriterien, die man beim Erstellen der Rangliste angewandt habe, seien nicht über alle Zweifel erhaben gewesen. «Dem eigenen Präsidenten eins auszuwischen, hat aber einigen im Verband Freude bereitet.»

Einige finden, der Verband stehe zu weit rechts

Wird Robert Gubler erfolgreich sein mit seinem Vorstoss gegen den Präsidenten? «Der Antrag hat Chancen», sagt Thomas Hurter. Es sei wichtig, dass die Gewerbekammer beide Seiten anhöre, meint der Schaffhauser SVP-Nationalrat. Henrique Schneider habe für den Verband sehr gute Arbeit geleistet. Hurter spricht von einer medialen Vorverurteilung und erinnert daran, «dass die Gewerbekammer Schneider im letzten Februar einstimmig zum neuen Direktor gewählt hat».

Nicht alle im Verband waren aber glücklich mit der Wahl. Sie befürchten, dass Schneider den konfrontativen Kurs Biglers fortsetzen könnte. Bigler gehörte der FDP an und wechselte zur SVP. Von Schneider sei nicht zu erwarten, dass er den Verband wieder ein wenig mehr zur politischen Mitte führe, meinen einige.

Für Irritationen sorgte der 45-jährige Schneider vor der zweiten Abstimmung über das Covid-Gesetz: Er erklärte die Ja-Parole des Verbandes vor der Gewerbekammer - als Staatsbürger lehnte er die Vorlage ab, gut sichtbar mit Bild auf Nein-Inseraten. Präsident Regazzi nahm Schneider kurz vor dessen Wahl zum Direktor aber in Schutz: Er habe zwei Jahre eng mit ihm zusammengearbeitet, sagte er der NZZ. «Er ist ein Schnelldenker, wie man ihn kaum irgendwo findet. Und er ist sehr loyal.»

Nach aussen treten der Gewerbeverband, Economiesuisse, der Arbeitgeberverband und der Bauernverband zwar als Allianz im Hinblick auf die Eidgenössischen Wahlen auf. Hinter vorgehaltener Hand hadern aber andere Gremien mit dem Gewerbeverband und bezeichnen die Zusammenarbeit als mühsam - auch wegen dem Personal im Direktorium.

Fabio Regazzi und Hans-Ulrich Bigler waren für eine Stellungnahme nicht zur erreichen. Henrique Schneider und Robert Gubler wollten den Machtkampf im Gewerbeverband nicht kommentieren. (aargauerzeitung.ch)

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