Der Nationalrat hat am Mittwoch nicht einfach das Bankgeheimnis für Ausländer abgeschafft, er hat gleichzeitig auch einen Strafschutz für Steuersünder bewilligt. Schweizer, die ihr Geld im Ausland parkiert haben, sollen eine Steueramnestie erhalten. Zwar gibt es bereits seit 2010 die Möglichkeit der straflosen Selbstanzeige. Mit der neuen Regel würden reuige Steuersünder aber nicht nur von Strafe befreit, sie müssten auch weniger Nachsteuern bezahlen. Kurz: Wer betrogen hat, soll seine Haut relativ günstig retten können.
Eigentlich galt der kurzfristig eingereichte Vorstoss als chancenlos: Die Kommission hatte ihn nicht vorbesprechen können, der Bundesrat lehnte ihn ab. Trotzdem nahm ihn der Nationalrat mit 85:80 Stimmen bei einer Enthaltung an. Das knappe Resultat liefert die Begründung gleich mit: 34 Nationalräte fehlten bei der Abstimmung. Ausser bei der BDP verzeichneten alle Parteien Absenzen.
Ausschlaggebend für die Annahme waren 12 SP-Nationalräte, welche bei der Abstimmung fehlten. Fraktionschef Andy Tschümperlin sagt, er teile diese Einschätzung. Aber: «Es gibt kein einziges Parlament auf der Welt, das vier Wochen vor den Wahlen bis Abends um sieben noch wichtige Geschäfte wälzt.»
Tschümperlin wirft die Frage auf, ob die langen Sitzungen während dieser intensiven Zeit überhaupt Sinn machten. «Den Kandidaten muss es möglich sein, zurück in die Kantone zu reisen, und um die Gunst der Wähler werben.» So hat just am Abend des besagten Entscheids in Zürich ein Podium der NZZ und der SRG stattgefunden. Die Ständratskandidaten Daniel Jositsch (SP), Bastien Girod (Grüne), Martin Bäumle (GLP), Ruedi Noser (FDP), Barbara Schmid-Federer (CVP) und Maja Ingold (EVP) traten gegeneinander an. Alle sechs sind bereits Nationalräte, alle sechs mussten die Abstimmung schwänzen.
Nicht alle Parlamentarier setzen dieselben Prioritäten. Die grüne Nationalrätin Aline Trede (BE) sagt, sie habe letzte Woche ein Podium abgesagt. «Ich wollte sicher gehen, dass die Abstimmung über das Asylmoratorium abgelehnt wird.»
Zwar sind die Politiker innerhalb der Fraktionen relativ frei. Tschümperlin sagt, er sei zwar streng, wenn es um die Präsenz bei Abstimmungen gehe. Gleichwohl will er die Genossen nicht zwingen, während des Wahlkampfs immer anwesend zu sein. «In meiner Brust schlagen zwei Herzen – eines für die politischen Geschäfte und das andere für die Wiederwahl der SP-Kollegen.»
Strenger hält es die SVP, die beim Entscheid über die Steueramnestie auf fünf Stimmen aus den eigenen Reihen verzichten musste. Fraktionschef Adrian Amstutz: «Es ist normal, dass ab und zu jemand ausfällt, weil er krank ist oder weil er einen wichtigen Geschäftstermin hat. Wir sind Milizpolitiker. Aber es darf nicht sein, dass die Session wegen Wahlkampfveranstaltungen geschwänzt wird.» Dafür brauche die SVP-Fraktion keine Regeln. Das sei allen klar.
Ebenfalls ohne Regeln klappt die Anwesenheit im Ständerat nachweislich besser: Am Montag erschrak zwar der eine oder andere, als es hiess, dass die Sitzung bis 22 Uhr dauere. Doch wie fast immer arbeitete die kleine Kammer effizient und beendete die Debatte früher als erwartet. Effizienz und Präsenz. Nicht zuletzt deshalb setzt Andy Tschümperlin darauf, dass die Frage der Steueramnestie im Ständerat nochmals korrigiert wird.