Blick von Muttenz Richtung Basel, gut sichtbar ist der St. Jakob-Turm, der bereits ennet der Kantonsgrenze liegt. Vor uns ein 150 Meter breiter Korridor. Mit Bahntrassen für den Fernverkehr, den Regionalverkehr, den Güterverkehr. Und rechts davon die Osttangente, die Autobahn, die mitten durch die Stadt Basel führt. Und die oft derart überlastet ist, dass sich der Verkehr seinen Weg durch die Stadt-Quartiere, durch Muttenz oder Birsfelden sucht. «Manchmal richtiggehend überschwemmt» würden sie, sagt Isaac Reber.
Er ist Baudirektor des Kantons Baselland. Ein Grüner, der für den Ausbau der Autobahnen wirbt, über die am 24. November abgestimmt wird. Ausgerechnet!
Reber ist sich der Konstellation bewusst. Er hat den Treffpunkt mit Bedacht ausgewählt; auf dem Foto sollen nicht nur Strassen sichtbar sein, sondern auch Schienen. Und während des Gesprächs kurven Velos um uns herum. «Gesamtverkehrsystem», lautet Rebers Stichwort. Es fällt immer wieder.
Wir stehen auf der Passarelle Hagnau. Hinter uns liegt der Güterbahnhof Muttenz. Wäre der Blick nicht verstellt, würden wir bis zu den schweizerischen Rheinhäfen in Birsfelden sehen. Der einzige Schweizer Ort mit Meeranschluss.
Den 150-Meter-Korridor vor uns nennt Reber das «Tor zur Schweiz». Strassen und Gleise aus Frankreich und Deutschland kommend führen hier hindurch. Das ist die positive Formulierung. Man kann es auch den Flaschenhals der Schweiz nennen. «Die Realität ist: Unsere Netze – Bahn und Strasse – sind voll, randvoll», redete Reber ein paar Tage zuvor der kantonalen- und nationalen Politikprominenz am Pfeffinger Forum ins Gewissen.
Auf der Passarelle sieht man die Strassen nicht nur, man hört auch das Rauschen der Autos. Reber:
Spätestens ab 16 Uhr fliesst der Verkehr nicht mehr. Und selbst an den Wochenenden häufen sich die Staus. Während der Ferienzeiten fährt gefühlt ganz Holland auf dem Weg zum Campen nach Italien über die Osttangente zur Abzweigung Augst. Im Durchschnitt werden bei der Zählstelle Hagnau pro Tag 130'000 Autos registriert. Es ist eine der meistbefahrenen Strassen der Schweiz.
Abhilfe schaffen soll der Rheintunnel. Es ist eines der sechs Projekte im Ausbauschritt 2023 für die Nationalstrassen, über den am 24. November abgestimmt wird. Mit Kosten von 2,6 Milliarden Franken ist es das teuerste. Kernstück sind zwei neue zweispurige, 3,6 beziehungsweise 3,8 Kilometer lange Tunnels, die den Rhein unterqueren. Ziel ist, die chronisch überlastete Osttangente zu entlasten und den Ausweichverkehr von den Stadtquartieren und Dörfern zurück auf die Autobahn zu bringen. Der übergeordnete Verkehr soll wieder dorthin, wo er hingehört, heisst das im Fachjargon. Kantons- und Gemeindestrassen in der Agglomeration sollen davon befreit werden. Sodass Raum entsteht für die Förderung des ÖV und des Langsamverkehrs.
Die Regierungen beider Basel stehen zwar hinter dem Projekt. Doch in diesen beiden Kantonen verläuft auch die Konfliktlinie zwischen Befürwortern und Gegnern entlang des klassischen Links-rechts-Schemas.
Reber, der Grüne, sagt, er habe ein «unverkrampftes Verhältnis» zum Auto. Regelmäss bildet er am Gempen-Memorial, einem Oldtimer-Rennen, mit Finanzdirektor Anton Lauber das «Team BL » – Lauber fährt, Reber weist als ehemaliger Pfadfinder den Weg. Mit seiner Schirmmütze aus Tweed gibt er den englischen Dandy. Die Liebe zu Oldtimern nimmt man ihm sofort ab. Ein Auto aber, das hat er nicht. Kurz hat er mal eines besessen. Es war keine Jugendsünde des Grünen, sondern seiner Frau geschuldet, die auch noch Autofahren lernen wollte. Mittlerweile ist der Alfa wieder verkauft. Reber nimmt meist den ÖV und für den Notfall ist er Mitglied bei Mobility.
Reber ist der amtsälteste Regierungsrat im Baselbiet. Lange Sicherheitsdirektor, seit fünf Jahren verantwortlich für Bau- und Umweltschutz. Reber kommt aus Sissach, wie die Grüne Ständerätin Maya Graf. Sissach ist eine Hochburg der Grünen. Und wenn Grüne Parteistrategen damit kokettieren, dass sie trotzt ihres urbanen Images auch auf dem Land erfolgreich seien, dann fehlt der Hinweis auf das Baselbiet nie.
Reber, der auch schon als Bundesratskandidat gehandelt wurde, wird oft als bürgerlichster Grüner im Lande bezeichnet. Und diese Bezeichnung hört man auch im Abstimmungskampf um den Autobahnausbau immer wieder.
Denn die Grünen kämpfen vehement dagegen. Kurzerhand haben sie auch noch das Präsidium des VCS gekapert und einen SP-Mann von der Spitze gepusht. Der VCS hat das Referendum gegen die Vorlage ergriffen und setzt alleine 1,6 Millionen Franken im Abstimmungskampf ein. Es geht dabei um mehr als um die sechs Ausbauprojekte. Es geht um eine Grundsatzabstimmung für oder gegen die Strasse. Für oder gegen den Klimaschutz.
Doch Ideologie langweilt Reber: «Als Exekutivpolitiker muss ich Lösungen für konkrete Probleme finden.»
Der Rheintunnel ist so ein Beispiel für ihn. Er kann die Argumente der Gegner zwar nachvollziehen, die Mehrverkehr befürchten. Doch der Rheintunnel sei eine Engpassbeseitigung: «Einen Kapazitätsausbau würde ich nicht befürworten», sagt Reber. Er verstehe Parteikollegen, welche das Geld lieber in den ÖV investieren würden statt in die Strassen.
130'000 Autos passieren Hagnau, man bringe sie nicht auf die Velos und auch nicht auf die Bahn. «Die heutigen Verkehrsprobleme können wir nicht allein mit dem Ausbau des ÖV lösen», sagt Reber.
Einerseits weil es die Strassen für die Feinverteilung genauso wie für Busverkehr brauche. Andererseits weil der laufende Betrieb bei der Bahn oberste Priorität habe und darum der Bau von neuer, grosser Infrastruktur schon deswegen limitiert sei. Vor allem aber: «Der heutige Anteil der Bahn ist dafür einfach zu gering.»
«Absolut ungenügend» sei etwa der Modalsplit Richtung Frankreich. Modalsplit nennen die Experten den Anteil der verschiedenen Verkehrsträger am Personenverkehr. Aktuell haben in der Schweiz die Personenwagen einen Anteil von 73 Prozent und der ÖV einen von 21,9 Prozent. Der Rest entfällt auf den Langsamverkehr mit Velo (2,2 Prozent) und Fussgänger (3,9 Prozent). Der Bund strebt an, den Anteil der Personenwagen bis 2050 auf 67,5 Prozent zu senken und den ÖV-Anteil auf knapp einen Viertel zu steigern.
Bei den Personen, die täglich aus Frankreich in die Region Basel pendeln, nehme aber nur jede zehnte die Bahn. Das Gros der 70'000 Grenzgänger komme mit dem Auto – mit entsprechenden Folgen für die Strassen, sagt Reber. Der Ausbau der S-Bahn nach Frankreich ist zwar ein grosses Thema, und das Bundesparlament hat bereits 200 Millionen Franken für grenzüberschreitende Projekte nach Deutschland und Frankreich gesprochen. Doch das Vorhaben bleibt aufgrund der vielen Beteiligten komplex. Das Problem lässt sich also auch mit viel Schweizer Manna nicht schnell beheben.
Das Netz sei nicht nur bei der Strasse am Limit, sondern auch bei der Bahn. Der Bahnhof in Basel hat seine Kapazitätsgrenzen längst erreicht. Reber setzt darauf, dass das Bundesparlament beim nächsten Bahnausbau die nötigen Gelder für das 3-Milliarden-Projekt in Basel spricht. Denn ohne Tiefbahnhof sei eine S-Bahn, die ihren Namen verdient, in der Region Basel nicht möglich.
Die S-Bahn und der neue Tiefbahnhof sind auch für Florence Brenzikofer Schlüsselprojekte für die künftige Mobilität in der Region. Doch die Grünen-Nationalrätin und Verkehrspolitikerin kommt zu einem andern Schluss als Reber. «Dank des neuen S-Bahn-Netzes wird auf der Schiene Platz frei für den Güterverkehr, deshalb braucht es den Rheintunnel nicht», sagt Brenzikofer. Dieser führe langfristig zu mehr Stau und schade dem Klima. Die Baselbieter Grünen haben sich einstimmig gegen den Rheintunnel ausgesprochen.
Reber studierte einst Geografie und hängte später noch ein Nachdiplomstudium in Raumplanung an. Er hat eine klare Vorstellung davon, wie das Gesamtverkehrssystem weiterentwickelt und die Mobilität neu gedacht werden muss. Wie bei der Strasse gehe es auch bei der Bahn darum, Engpässe zu beseitigen. «Doch einfach nur Ausbauen geht nicht», sagt Reber.
«In den Agglomerationen und in den Grenzregionen kann man am meisten herausholen», sagt Reber und meint damit, dass der Franken dort am besten investiert ist, um den grössten (Umsteige-)Effekt zu erzielen. 21 Städte mit mehr als 10'000 Einwohnerinnen und Einwohner hätten keinen Anschluss an das nationale Bahnnetz, sagt Reber mehr als einmal. Und von diesen liegen vierzehn in den Regionen Genf und Basel – von Bundesbern sträflich vernachlässigt.
Im Birstal – mit seinen rund 100'000 Einwohnern etwa so gross wie die Stadt Winterthur – gibt es weder einen Stopp für Schnellzüge noch eine S-Bahn im Viertelstundentakt. «Hier zum Beispiel gibt es viel zu holen. Wegen seiner Dichte, und weil viele Fahrten kurz sind», sagt Reber. Viel Potenzial sieht er deshalb auch beim Ausbau des Langsamverkehrs. «Dank dem E-Bike ist das Velo massentauglich, schnell und damit konkurrenzfähig geworden.» Deshalb brauche es Velo-Autobahnen in den Agglomerationen.
Reber selbst hat drei solcher Velovorzugsrouten auf den Weg gebracht – sie werden mitfinanziert durch den Bund. Der bürgerlichste Grüne des Landes? Er tickt trotz Autobahnausbau recht grün. Und sagt dem Fotografen noch einmal: (aargauerzeitung.ch)