Gleiches Produkt, gleiche Menge, gleiche Spezifikationen. Und der gleiche weisse Schriftzug auf blauem Hintergrund. Doch beim Preis ist Nivea nicht gleich Nivea. Ob Duschmittel, Tagescreme oder Deo, die Schönheitsprodukte kosten hierzulande im orangen Supermarktregal mindestens 40 Prozent mehr als bei der Konkurrenz in Deutschland.
Der Nivea-Deostick etwa mit der vielversprechenden «Schweiss-Schutz-Formel» für 72 Stunden ist bei der Migros für 3.95 Franken zu haben, im grenznahen Drogeriemarkt DM für 2.25 Euro – und damit für nur gut halb so viel. Der Hauptgrund für die happigen Preisdifferenzen liegt bei den unterschiedlichen Einkaufspreisen. Das jedenfalls geht aus einer Migros-internen Präsentation hervor, die der «Schweiz am Wochenende» vorliegt.
Darin wird mit Zahlen untermauert, wie «massiv» der «Schweiz-Zuschlag» ist. Die Migros beziffert diesen je nach Schönheitsprodukt mit Werten von 60 bis 80 Prozent. Das führt zur absurden Situation, dass der Schweizer Detailhandelskonzern für die Anschaffung der Nivea-Produkte mehr bezahlt, als die deutschen Endkonsumenten inklusive Mehrwertsteuer ausgeben müssen. Beim besagten Deostick fordert der Nivea-Hersteller Beiersdorf von der Migros stolze 2.62 Euro – und damit 37 Euro-Cents mehr als der DM- oder Rewe-Regalpreis.
Die Migros hat sich laut Angaben aus dem vorliegenden Papier um «bessere Offerten» von Beiersdorf bemüht, aber vergeblich. «Die Verhandlungen scheitern im Herbst 2024 endgültig», wie der Präsentation zu entnehmen ist, welche die Walder Wyss Rechtsanwälte für die Migros erstellt haben – und die den Weg ebnen sollte für eine Anzeige bei der Wettbewerbskommission (Weko) gegen den deutschen Beiersdorf-Konzern.
Und eine solche hat die Migros nun auch tatsächlich erstattet, wie die Unternehmenssprecherin Prisca Huguenin-dit-Lenoir auf Anfrage bestätigt. «Die Migros hat Ende Januar bei der Weko eine Anzeige gegen Beiersdorf eingereicht.» Der Detailhändler habe «mehrmals» das Gespräch mit Beiersdorf gesucht, um die «enorme Differenz zu den deutschen Preisen» zu reduzieren. «Leider ohne Erfolg.» Beiersdorf habe die Preise im Gegenteil erneut erhöht. «Daher sehen wir den Weg nur via Weko.»
Die Wettbewerbsbehörde bestätigt den Eingang. «Die Anzeige wird nun geprüft», sagt Weko-Sprecher Frank Stüssi. Erst danach entscheidet sich, ob ein Verfahren eröffnet wird oder nicht.
Das angriffige Vorgehen passt zum Stil des neuen Migros-Chefs Mario Irminger, der mit Preissenkungen verlorene Marktanteile zurückgewinnen will. Und der an seiner früheren Position an der Spitze von Denner schon manchen Kampf mit Lieferanten ausgetragen hat. Als Basis für die Anzeige dienen der Migros nun die neuen Kartellgesetzbestimmungen zum Missbrauch der relativen Marktmacht, die seit Anfang 2022 in Kraft sind und mit denen «Hochpreisinsel Schweiz» geschleift werden soll.
Konkret sollen die neuen Paragrafen unter anderem sicherstellen, dass Unternehmen aus der Schweiz im Ausland zu den dort von den Anbietern selbst festgelegten Marktpreisen einkaufen können, also «zu den dortigen Marktpreisen und den dortigen branchenüblichen Bedingungen», wie es im Gesetz heisst. Damit soll nach dem Willen des Gesetzgebers verhindert werden, dass internationale Konzerne gegenüber Schweizer Firmen ihre «relative Marktmacht» ausspielen und einen «Schweizer Preisaufschlag» verrechnen – und damit die hiesigen Konsumenten mit zu hohen Preisen schröpfen können. «Die Migros kämpft gegen diese überhöhten Einkaufspreise, damit die Kunden in Zukunft weniger zahlen» müssten, sagt Huguenin-dit-Lenoir.
Im Gesetzgebungsprozess haben die Befürworter der besagten Kartellrechtsverschärfung immer wieder mit dem Beispiel Nivea argumentiert, sodass die Reform den Übernamen «Lex Nivea» erhielt. Nun soll also die Lex Nivea mit dem Fall Nivea getestet werden.
Es wäre erst der dritte Anwendungsfall, aber wohl der gewichtigste. Beim ersten Versuch ging es um die für die künstliche Ernährung nötige Trink- und Sondennahrung des deutschen Gesundheitskonzerns Fresenius. Dieser verweigerte dem Schweizer Medikamentengrossisten Galenica den Bezug im Ausland zu den dortigen Konditionen. Die Weko jedoch kam zum Schluss, dass Fresenius gegenüber Galenica nicht relativ marktmächtig sei. Folglich könne es hier auch keinen Missbrauch geben. Galenica hat das Verdikt akzeptiert.
Beim zweiten Fall hingegen wurde die Weko fündig: Sie kam zum Schluss, dass die französische Verlagsgruppe Madrigall ihre relative Marktmacht gegenüber Payot missbrauche, weil sie der Westschweizer Buchhändlerin den Bezug der Bücher zu den in Frankreich üblichen Konditionen verweigerte. Madrigall hat mittlerweile gegen den Entscheid der Weko beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erhoben.
Und nun folgt die Migros-Anzeige gegen Nivea. Zum Fall selbst will sich Weko-Sprecher Stüssi nicht äussern. Die Behörde hat aber eine Art Leitfaden entwickelt, wie sie mit den neuen Kartellrechtsvorgaben vorgeht. Demnach müssten die Wettbewerbshüter zuerst prüfen, ob überhaupt Indizien für eine relative Marktmacht existieren, also von Beiersdorf gegenüber der Migros. Um diese Frage zu beantworten, klärt die Weko einige Fragen: Hat die Migros Ausweichmöglichkeiten zu Nivea, etwa indem sie Deosticks, Cremes und Duschmittel anderer Marken verkaufen würde? Was wären die Folgen respektive Umsatzeinbussen solcher Massnahmen? Und: Sind diese zumutbar?
Eine Frage, welche die Migros klar verneinen dürfte, wie aus der Präsentation hervorgeht. Nivea ist demnach nicht nur die bekannteste, sondern auch die populärste Beauty- und Pflegemarke in der Schweiz. Das zeigt sich auch beim Migros-Absatz: Bei den Duschmitteln gehen 32 Prozent aufs Konto von Nivea, bei den Deodorants gar gut 34 Prozent. Die Bekanntheit und Beliebtheit der Marke seien zu stark, die Migros könne nicht auf Nivea-Produkte verzichten.
Nivea ist gemäss Migros-Angaben ein sogenanntes «Must in Stock»-Produkt. Das heisst: Auslisten kommt hier nicht infrage, so wie es die Migros etwa 2022 mit Artikeln aus dem Tiersortiment des US-Konsumgüterkonzerns Mars gemacht hat. Oder wie es Coop mit Reis «Ben's Original» vormacht, ebenfalls aus der Küche von Mars. Doch genau diese Beispiele zeigen auch: Die hierzulande oft als übermächtig taxierten orangen Detailhandelsriesen können sich gegen internationale Konzerne wie Mars oft nicht durchsetzen. Diese können auf die Absätze bei Migros und Coop verzichten.
Beiersdorf etwa erzielt mit der Migros gerade mal 0,5 Prozent seines Umsatzes von rund 9,5 Milliarden Euro. Der «Verlust der Migros kann von Beiersdorf problemlos in Kauf genommen werden», heisst es im Papier. Umgekehrt scheint es aber nicht so zu sein.
Sollte die Weko die relative Marktmacht von Beiersdorf bestätigen, sucht sie gemäss ihrem Leitfaden in einem zweiten Schritt nach Indizien für den Missbrauch. Dazu gehören etwa massive, nicht erklärbare Preisunterschiede. Auch bei Deosticks. (aargauerzeitung.ch)
Die Marke Lebt von der Werbung und Kocht auch nur mit Wasser.
Solange natürlich Menschen meinen nur diese eine Marke wäre für sie Gut wird der Konzern sie weiterhin Melken und die Kaufkraft abschöpfen.
Die Produkte sind nicht Lebenswichtig und es gäbe genug Alternativen.
Ich traue denen nicht mehr.