Hat er oder hat er nicht? Sich wegen Amtsmissbrauch strafbar gemacht, weil er 2015 als Vizepräsident der Gemeinde Walenstadt eine fragwürdige Verfügung unterschrieb, auf die sich der Gemeinderat geschlossen geeinigt hatte? Dieser Frage ging an diesem Dienstag das Kreisgericht Sarganserland-Werdenberg nach.
Der Beschuldigte: Christof Hartmann, St.Galler Kantonsrat und potenziell nächster Regierungsrat. Im Dezember hat ihn seine Partei, die SVP St.Gallen, für das Amt nominiert. Am 4. März könnte er gewählt werden. Sofern der Prozess gegen ihn, den watson im Dezember 2023 publik machte, nicht zum Verhängnis wird.
Die Ankläger: die Anwaltsfamilie Ghaemmaghami aus Walenstadt. Seit 25 Jahren kämpft sie darum, dass eine Mauer angepasst wird, die ihre Nachbarn 1998 widerrechtlich teilweise auf ihrem Grundstück und zu hoch erbauen liessen.
Sowohl das Verwaltungsgericht als auch das Bundesgericht gaben den Ghaemmaghamis in der Vergangenheit bereits mehrfach Recht und hielten fest: Die Mauer müsse zurückgebaut werden. Den Auftrag, diese Anpassungen durchzusetzen, gaben die Gerichte an die Gemeinde Walenstadt zurück.
Diese verfasste im Januar 2015 zunächst einen Verfügungsentwurf, der den vorangehenden Gerichtsurteilen, wie die Ghaemmaghamis vor Gericht sagten, «grösstenteils entsprach». Diesen Entwurf liess die Gemeinde den Ghaemmaghamis und den Mauereigentümern zukommen. Beide Parteien konnten so ihr Feedback zur bevorstehenden Verfügung abgeben.
Im Frühling 2015 beriet schliesslich der Gemeinderat Walenstadt über die Mauer. Im Juni verschickte die Gemeinde die definitive Verfügung an beide Parteien. Darin stand aber plötzlich beinahe das Gegenteil von dem, was im vorangehenden Entwurf noch festgehalten war: Auf die Rückversetzung der Mauer könne verzichtet werden und die Höhenabweichung liege im Toleranzbereich. Unterschrieben von Christof Hartmann und einem weiteren ehemaligen Gemeinderat, der sich an diesem Tag ebenfalls vor Gericht verantworten musste.
«Was ist laut ihrer Erinnerung der Grund, weshalb der Gemeinderat etwas anderes entschieden hat, als der Entwurf sagte?», wollte die Richterin von Hartmann wissen. Dieser antwortete:
Als Vizepräsident habe er die Verfügung unterschreiben müssen, denn der Gemeindepräsident sei in den Ausstand getreten.
Hartmanns Verteidiger berief sich in seinem Plädoyer auf das Kollegialitätsprinzip: Beschlüsse, die eine Mehrheit des Gemeinderats befürworte, müssten alle Mitglieder tragen. Selbst wenn sie anderer Meinung seien. Ob Hartmann für den fragwürdigen Beschluss gestimmt hatte, wisse man nicht. Das Stimmverhalten der Gemeinderäte obliege dem Amtsgeheimnis.
Die Richterin bohrte dennoch bei den Beschuldigten nach. Versuchte zu ergründen, was hinter verschlossenen Türen des Gemeinderats Walenstadt in der besagten Sitzung vor sich ging. Die beiden Beschuldigten antworteten jedoch stets: «Das weiss ich nicht mehr, das ist schon fast zehn Jahre her.» Oder: «Das kann ich nicht mehr sagen.»
Payam Ghaemmaghami, der seine Familie als Anwalt vertritt, überzeugte das nicht. Die Verfügung sei «krass willkürlich» und zugunsten der Mauereigentümer verfasst worden. Zumindest als Mittäter hätten sich Hartmann und der Mitbeschuldigte schuldig gemacht:
Dabei hätten die Beschuldigten sich auch weigern können, die Verfügung zu unterschreiben.
Beide Verteidiger forderten einen Freispruch für ihre Mandanten. Hartmanns Anwalt hielt fest, dass eine Person eine gewisse Macht innehaben müsse, um überhaupt Amtsmissbrauch begehen zu können. Hartmann habe allerdings als Teil des Gremiums nie über eine solch grosse Macht verfügt.
Wenn überhaupt könne in diesem Fall nur von einem Fehler der Kollegialbehörde gesprochen werden. Eine Kollegialbehörde, die nichts anderes versucht habe, als alles richtig zu machen. Er fügte an:
Die Stimmung im Gerichtssaal war während des gesamten Prozesses angespannt. Wenn nicht gar gehässig. Der Anwalt des zweiten Beschuldigten warf den Ghaemmaghamis etwa vor, Polemik zu betreiben. Und:
Hartmanns Verteidiger tat die Argumente der Ghaemmaghamis indes mehrfach als «Blödsinn» ab. Und Payam Ghaemmaghami verglich die beiden Beschuldigten in seinem Plädoyer durch die Blume mit Mafiabossen.
Zum Schluss erhielten die Beschuldigten ihr letztes Wort. Hartmann hielt fest:
Er habe mit dem Unterzeichnen des Beschlusses weder sich selbst noch jemand anderem einen unrechtmässigen Vorteil oder einen Nachteil zugefügt. «Ich habe mein Amt mit Demut ausgeführt und immer nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt.»
Am Prozesstag fällte die Richterin noch kein Urteil. Dieses wird sie voraussichtlich am Montag, 22. Januar, verkünden. Für die beiden Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung.
Währenddessen ragt die Mauer nach wie vor unverändert auf dem Grundstück der Familie Ghaemmaghami empor.