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Die Geschichte von Elvia Lefèvre Wirz, der jüngsten Diplomatin der

Die unglaubliche Geschichte von Elvia Lefèvre Wirz, der jüngsten Diplomatin der Welt

Sie wurde mit 24 Jahren in der Schweiz die jüngste Diplomatin der Welt. Doch Diplomatie war nicht ihre Berufung: Später kämpfte sie für die Rechte der Menschen gegen die Militärdiktatur in Panama und landete mehrmals im Gefängnis. Wir haben die 94-jährige Elvia Lefèvre Wirz zuhause in Fribourg getroffen.
07.09.2025, 20:3607.09.2025, 20:36
René Fuchs / ch media
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Elvia Lefèvre (93) in ihrer Wohnung in Fribourg.
Elvia Lefèvre (93) in ihrer Wohnung in Fribourg.Bild: René Fuchs

Elegant gekleidet und mit lebhaften Augen sitzt die 94-Jährige in ihrem Fauteuil im Fribourger Bahnhofsquartier. Umringt von Bildern, Fotos, Büchern und Erinnerungsstücken aus ihrem langen Leben. Gekleidet in ihrer Lieblingsfarbe Weiss, denn Weiss ist die Farbe des Schutzes und der Ermutigung. Ereignisreicher und berührender als ihre kann eine Lebensgeschichte fast nicht sein. Mit Inbrunst beginnt sie uns daraus zu erzählen: «Mein Vater, José Edgardo Lefèvre de la Ossa hat 1903 mitgeholfen, den von Kolumbien unabhängigen Staat Panama zu gründen.» Er arbeitete später als Arbeitsminister und in der Schweiz als Diplomat für Panama.

Derweil wurde Elvia als Einzelkind von einer Tante aufgezogen, einer liebenswürdigen ehemaligen Königin des Karnevals. Denn ihre ledige Mutter entschwand nach der Niederkunft nach Kolumbien und lebte ihr eigenes Leben.

Oft krank, blieb Elvia Lefèvre der Schule fern. Das Schreiben und Lesen lernte sie später von ihrem Vater. «Ich durfte Bücher lesen, die ich in der Schule nie erhalten hätte», erzählt die Seniorin mit Inbrunst. Im Alter von zwölf Jahren begann sie Gedichte zu schreiben. Ihr inneres Feuer für die Poesie ist seither nie mehr erloschen. Nach dem Besuch einer Handelsschule 1951 holte sie ihr Vater in die Schweiz. Im Institut Sainte-Croix in Bulle liess er seine Tochter weiter ausbilden. «Schon als 15-Jährige war ich die Privatsekretärin meines Vaters», lacht sie verschmitzt. Drei Jahre darauf studierte sie Kunstgeschichte an der Universität Bern.

Mit 24 Jahren trat sie an die Stelle ihres Vaters

1955, nach einem Staatsstreich, musste ihr Vater nach Panama zurückkehren. Die Botschaft blieb leer. Doch das Auswärtige Amt in Bern drängte, die Stelle neu zu besetzen. «Mit 24 Jahren wurde ich in Bern so die jüngste Diplomatin der Welt», sagt Elvia Lefèvre. Die illustrierte Zeitung «Die Woche» schrieb nach einem Neujahrsempfang im Bundeshaus auf der Titelseite über sie: «Das schönste Lächeln in der Parade.» Und doppelte nach: «Die reizende Mittelamerikanerin gilt seither als eine Zierde des Diplomatischen Korps in der Bundesstadt.»

Die jüngste Diplomatin der Welt im Nationalkostüm von Panama, Elvia Lefèvre (24), Schweizer Illustrierte Zeitung vom 5. März 1956, zVg von E. Lefèvre
Die jüngste Diplomatin der Welt im Nationalkostüm von Panama, Elvia Lefèvre (24), Schweizer Illustrierte Zeitung vom 5. März 1956, zVg von E. LefèvreBild: zvg

«Für die Gegner des Frauenstimmrechts in der Schweiz war die junge Diplomatin in ihrer Nationaltracht ein Skandal», erinnert sich die heutige Doppelbürgerin. Einen Affront leistete sich der Botschafter des Vatikans: «Ich habe nicht die Gewohnheit, einer Frau die Hand zu reichen», entgegnete er ihr und verweigerte den Handschlag.

1958 heiratete Elvia Lefèvre ihren Mann Paul Wirz in der St. Ursen-Kathedrale in Solothurn. Nach einer Blinddarmoperation hatte sie den versierten 24 Jahre älteren Arzt aus Fribourg im Spital kennengelernt. «Er war stolz auf mich, obwohl es eine Extravaganz war, eine Frau wie mich zu heiraten», sagt Elvia Lefèvre mit einem Augenzwinkern. «Ich war keine Frau wie die anderen, die kochten, strickten und putzten.» Zwei Töchter und zwei Söhne wurden ihnen in den kommenden Jahren geschenkt.

Elvia Lefèvre Wirz mit ihren beiden Söhnen Paul (l) und Henry (r).
Elvia Lefèvre Wirz mit ihren beiden Söhnen Paul (l) und Henry (r).Bild: René Fuchs

Eine Frauenrechtlerin war sie auch in der Schweiz

Von 1959 bis 1963 leitete Elvia Lefèvre das panamaische Generalkonsulat in Bern. Vielseitig waren auch ihre Einsätze an Konferenzen der Vereinten Nationen zu den Themen Gesundheit, Bildung und Handel in Genf. 1969 studierte sie an der Ecole Agricole Grangeneuve in Posieux FR. «So konnte ich mich mit der Lebensmittelproduktion vertraut machen und als Delegierte bei den Vereinten Nationen in Genf mitreden. Denn die Basis der Menschlichkeit ist die Ernährung», sagt sie im Rückblick.  Zusammen mit der Schweizer Frauenrechtlerin und späteren Nationalrätin Liselotte Spreng setzte sich auch vehement für das Stimm- und Wahlrecht der Frauen in der Schweiz ein.

Die politischen Entwicklungen in ihrem Heimatland Panama behielt sie immer im Auge. Als Koordinatorin des dortigen Menschenrechtskomitees war sie ein aktives Mitglied der «Alianza Democrativa de Oposicion Civil Party». In den Medien des mittelamerikanischen Staates war sie mit ihren Kommentaren und Aufrufen gegen die Militärdiktatur präsent. Erste Verhaftungen folgten.

Mehrere Male musste sie deswegen monatelang ihrer Familie in Fribourg fernbleiben. Eine Kinderbetreuerin sprang ein, allerdings waren die Kinder damals schon Jugendliche. «Meine Mutter weilte als Aktivistin oft über längere Zeit in Panama», sagt Henry, ihr jüngster Sohn. «Als Jugendliche haben wir den Ernst der Lage nicht erkannt. Wir konnten uns die reale politische Situation in Panama nicht vorstellen. Zudem waren die Kontaktmöglichkeiten nach Mittelamerika spärlich.»

Zeitungstitel in Panama vom 26. 09. 1984: «Sie wollen Chaos säen» mit dem Foto von Elvia.
Zeitungstitel in Panama vom 26. 09. 1984: «Sie wollen Chaos säen» mit dem Foto von Elvia.Bild: zvg

1982, mitten in dieser aufwühlenden Zeit, als Elvia Lefèvre in die Schweiz zurückgekehrt war, starb ihr Ehemann 75-jährig an einem Schlaganfall.

Als Oppositionsführerin setzte sie sich weiter lautstark gegen den Führer der Militärjunta Manuel Noriega ein, als er 1983 nach einem Staatsstreich die Kontrolle über die Streitkräfte und die Zivilregierung übernahm. Sie kämpfte unentwegt für die Demokratie. Bald fielen ihre Artikel in der Zeitung «Estrella de Panama» der Zensur zum Opfer. Mit dem Verteilen von Flugblättern auf der Strasse, Aufrufen zum Widerstand und Demonstrationsreden sorgte sie weiterhin für grosses Aufsehen. «QUIEREN SEMBAR EL CAOS – Sie wollen Chaos säen», titelte 1984 ein regierungstreues Blatt über sie und ihre Mitstreitenden.

Zeitungsausschnitt von 1987: «Die panamaische Anführerin Elvia Lefèvre wurde festgenommen.»
Zeitungsausschnitt von 1987: «Die panamaische Anführerin Elvia Lefèvre wurde festgenommen.»Bild: zvg

Gefoltert, aber nicht gebrochen

Mehrmals wurde sie festgenommen. 1987 wurde sie zu 60 Tagen Haft verurteilt. Ihr rechter Arm leidet noch heute unter der erlittenen Folter. Eingesperrt in einer zwei auf drei Meter grossen Zelle wurde sie mit Wasser begossen, Exkremente wurden ins Essen geleert und Schläge folgten. Eine widerliche Zeit, über die sie nicht gerne spricht. Zu schnell steigen bei ihr die Emotionen hoch.

Dank vieler Proteste der Bevölkerung vor dem Gefängnis fand sie ihre Freiheit wieder. Und selbst an diesem tiefsten Punkt ihres Lebens schrieb sie Gedichtverse auf einen kleinen Zettel. Symbolhaft, als Jeanne d’Arc in Panama, konnte man ihr Inneres nicht brechen. «Gott danke ich, dass ich überlebt habe», sagt sie und reibt sich ihre Augen.

Dreizehn Jahre darauf erhielt sie als Wiedergutmachung von der demokratisch gewählten Regierung eine Entschädigung für ihr Auto, das mutwillig von den Paramilitärs zerstört worden war.

Ein Vierteljahr war sie dort gewesen, ihre Kinder, damals zwischen 23 und 29 Jahren alt, hatten sich grosse Sorgen um ihre Mutter gemacht. Zurück in der Schweiz, galt es erst wieder gesund zu werden.

Als Mitglied der «Union Women Journalists Central America», des «Union Club Panama», der «Indiana Group Writers of Panama» lebt sie seither weiter verbunden mit ihrem Land. In diesem Jahr wurde sie für ihre Gedichtsammlung «Trenta Y Tres Poemas» zweifach in Panama ausgezeichnet.

«Ich würde heute wieder als junge Frau für die Demokratie kämpfen», sagt sie mit unerschütterlicher Stimme. Stolz ist sie, dass Panama nun eine der wenigen stabilen Demokratien in Lateinamerika ist. Wohl ist die Korruption nicht verschwunden, aber die Freiheit hat mehr Platz gewonnen. «Doch, wenn ich in Fribourg lebe, bin ich ganz und gar Schweizerin», sagt sie zum Abschied. «Ich schätze das Privileg, vor Abstimmungen mitdiskutieren und frei wählen zu können. Und so die Verantwortung gegenüber der Schweiz wahrnehmen zu dürfen.»

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