Endlich ein Durchbruch: Nach rund dreijährigen Diskussionen, zwölf Sitzungen, noch mehr Abklärungen und Aufschüben hat die Gesundheitskommission des Ständerats entschieden, wer die Gesundheitskosten in Zukunft finanzieren soll. Eine Verschiebung zeichnet sich seit Jahren ab: Nicht nur in Praxen, auch in Spitälern wird häufiger ambulant behandelt, Patienten werden seltener über Nacht stationär versorgt. Das hat direkte Folgen auf die Prämien: Während die ambulanten Kosten von den Krankenkassen finanziert werden, beteiligt sich der Kanton an den stationären Kosten mit 55 Prozent.
Das bedeutet: Das Volumen bei den Prämien wächst, während die Kosten der Kantone stagnieren. Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel hat das exemplarisch an ihrem Heimatkanton Aargau aufgezeigt: Als das Krankenversicherungsgesetz 1996 in Kraft trat, zahlten die Krankenkassen ein Jahr später 748 Millionen Franken, der Kanton 545 Millionen Franken für Gesundheitsleistungen. 2019 wurden im Aargau über Krankenkassenprämien insgesamt 2.53 Milliarden Franken finanziert. Der Kanton beteiligte sich mit 809 Millionen Franken an den Kosten und mit 106 Millionen an Prämienverbilligung.
Das Parlament diskutiert seit 2009 einen Vorstoss von Humbel, der einen neuen Finanzierungsschlüssel verlangt und mehr Effizienz ermöglicht: Die Art der Behandlung soll nicht vom Financier, sondern von der Qualität, von der besten Versorgung für die Patientin abhängen. Die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (Efas) soll dies sicherstellen, und zwar über eine einzige, gemeinsame Kasse. Je nach Studie könnten dank erhöhter Effizienz zwischen 1 und 3 Milliarden Franken pro Jahr gespart werden.
Was einleuchtend klingt, ist in der Umsetzung schwierig: Die Kantone sperrten sich lange gegen den Wechsel, denn sie würden wieder verstärkt in die Finanzierungspflicht genommen. Sie verlangten darum, nebst ambulanten und stationären Leistungen auch die Pflege aufzunehmen. Aus Sicht der Effizienz macht das Sinn, alle Leistungen sollen aus demselben Topf finanziert werden. Für die Prämienzahler könnte das aber heissen, dass die steigenden Pflegekosten vermehrt auch auf die Prämien schlagen.
Das grosse Problem ist aber die Umsetzung: Es scheitert bereits an der Berechnung der tatsächlichen Kosten, die anfallen. Denn jeder Kanton kennt in der Pflege eigene Finanzierungsregimes, manchmal teilen sich die Gemeinden und der Kanton die Ausgaben, manchmal sind diese sehr einseitig verteilt.
Trotz diesen Schwierigkeiten hat die Gesundheitskommission einen Pflock eingeschlagen und ein Modell für die Pflegekosten entwickelt. Da die Kantone zwischen 2016 und 2019 im Mittel rund 7 Milliarden für ambulante Spitalleistungen und etwa 3 Milliarden für Pflegeleistungen ausgegeben haben, soll nun jährlich ein fixer Beitrag à 10 Milliarden Franken von Seiten der Kantone an die Versicherer fliessen, um die Leistungen zu finanzieren. Sie decken etwa einen Viertel der 39 Milliarden Franken Gesamtkosten in der Grundversicherung. Allerdings ist dieser Betrag eine statische Betrachtung: Beide Ausgabenposten entwickeln sich dynamisch: Sie wachsen. Die Gesundheitskommission will sich aber noch Zeit lassen, um ein ausgeklügeltes Modell zu entwickeln, das alle Pflegekosten berücksichtigt.
Nebst Mehrausgaben besteht für die Kantone bei Efas ein zweites Problem: Die Kantone müssen Rechnungen begleichen, die sie nicht kontrollieren können. Darum fordern sie Einsicht in alle Rechnungsdaten, um zu wissen, was sie genau mitfinanzieren.
So könnte die Frage der Rechnungskontrolle plötzlich die ganze Vorlage gefährden. Denn die Versicherer stellen sich gegen dieses Anliegen. Die beiden Dachverbände Curafutura und Santésuisse sprechen in seltener Minne von einer «unnötigen Doppelspurigkeit». Und sie verweisen darauf, dass die Krankenversicherer zuletzt gemeinsam über 3.5 Milliarden Franken Minderausgaben erzielen konnten - dank Rechnungskontrolle. Das entspricht rund 10 Prozent Einsparungen auf den Prämien. Die Verbände signalisieren: Die Arbeit wird seriös erledigt. Eine doppelte Kontrolle sei hingegen ineffizient - und widerspreche deshalb dem Geist der Vorlage.
Die Gesundheitskommission sieht das ähnlich, mahnt auch, es gebe Probleme mit dem Datenschutz - und will nur bei den stationären Leistungen volle Einsicht gewähren, bei rund 1.3 Millionen Rechnungen. Für die Kontrolle der ambulanten Rechnungen müssten hingegen aggregierte Daten reichen. Die Krankenversicherer prüfen jährlich über 130 Millionen Rechnungen. Der Aufwand alleine für die Rechnungskontrolle in der Grundversicherung beträgt rund 400 Millionen Franken pro Jahr. Gemäss Angaben von Santésuisse arbeitet von etwa 12'000 Mitarbeitenden die Hälfte im Bereich Leistungen.
Wollten die Kantone mit derselben Akribie die Rechnungen prüfen, müssten sie also 6000 Stellen ausbauen. Doch die Kantone winken ab. Es gehe um Nachvollziehbarkeit der Rechnungen und Stichproben. Zur Kontrolle der Kontrolle. (aargauerzeitung.ch)