Der Chirurg setzt das Skalpell am Hals der Patientin an, setzt den ersten Schnitt. Normalerweise wird eine Schilddrüsenoperation unter Vollnarkose durchgeführt. Doch nicht in diesem Fall: Die Frau, die in dem Spital im belgischen Lüttich auf dem Schragen liegt, befindet sich in Trance. Ihr Hals wurde lediglich lokal betäubt.
Die Szene stammt aus einem Dokumentarfilm, der vergangenes Jahr auf dem Sender Arte ausgestrahlt wurde. Sie könnte sich aber in ähnlicher Art auch in einem Schweizer Operationssaal abspielen. Immer mehr Krankenhäuser setzen auch hierzulande auf die Kraft der Hypnose.
Als Vorreiter auf dem Gebiet gilt das Universitätsspital Genf. Im Januar gab die Spitalleitung bekannt, dass sie den Bereich stark ausbauen will. In den nächsten zwei Jahren sollen zehn Prozent der Angestellten eine Hypnose-Ausbildung durchlaufen. Im Pressedossier zum Thema listet das Spital 30 Eingriffe und Behandlungen auf, bei denen die Methode heute schon zum Zug kommt.
So etwa bei Schmerzen während der Geburt, gegen Ängste vor Blutentnahmen oder bei Knochenmark-Punktionen. Oder eben bei operativen Eingriffen, bei denen dank Hypnose teilweise auf eine Vollnarkose verzichtet werden könne.
Auch an den Universitätsspitalern Basel und Zürich werden Patienten auf Wunsch in Trance versetzt. Rainer Schäfert, Chefarzt Psychosomatik in Basel, nennt etwa das Beispiel von Krebspatienten, die vor operativen Eingriffen oder bei Nebenwirkungen von Chemotherapien in Hypnose versetzt werden. Weitere Einsatzgebiete seien die Schmerztherapie oder Störungen des Verdauungstrakts wie das Reizdarmsyndrom.
Derzeit prüfen die Verantwortlichen in Basel, ob die Anwendung auf weitere Bereiche ausgedehnt werden soll. Denn eine Behandlung unter Hypnose vermeidet laut Schäfert die Nebenwirkungen medikamentöser Therapien. Oft würden bereits nach kurzer Zeit Verbesserungen sichtbar, zudem träten kaum unerwünschte Nebenwirkungen auf. Aufgrund dieser Vorteile könne «Hypnose dabei helfen, Kosten einzusparen».
Einer, der die Entwicklung mit Argusaugen beobachtet, ist Ex-Nationalrat Roland Wiederkehr. 16 Jahre lang sass der Zürcher im Bundesparlament, von 1987 bis 2003, zuerst für den Landesring der Unabhängigen, dann als Parteiloser. Davor kämpfte er als langjähriger Chef von WWF Schweiz für den Erhalt der Natur. Danach gründete er zusammen mit dem früheren sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow die Stiftung Green Cross International. Und kämpfte als Gründer von Road Cross für weniger Verkehrstote.
Nun hat er eine neue Mission: Er will den Gesundheitskosten an den Kragen. Hypnose hält Wiederkehr für das geeignete Mittel dafür. Er ist überzeugt, dass im Gesundheitswesen «im grossen Stil gespart» werden könnte, wenn die Patienten konsequenter von Hypnosetherapeuten begleitet und die Kosten von der Krankenkasse übernommen würden.
Heute kommt die obligatorische Krankenkasse nur dann für eine Hypnosebehandlung auf, wenn sie von einem Arzt durchgeführt wird, der eine entsprechende Weiterbildung abgeschlossen hat. Sitzungen bei ausgebildeten Therapeuten ohne Medizinstudium vergütet die Versicherung hingegen nicht – «auch wenn sie, dank reicher Erfahrung, grosse Erfolge erzielen», so Wiederkehr.
Der 75-Jährige hat sich selbst zum Hypnosetherapeuten ausbilden lassen, letztes Jahr hat er den Schweizerischen Berufsverband für Hypnosetherapie SBVH mitgegründet. Wiederkehr sagt: «Die moderne aufdeckende Hypnose schafft in drei oder vier Sitzungen, was die Psychotherapie auch nach 20 Sessionen nicht hinbringt.» Auch bei körperlichen Beschwerden zeige sie «stupende Erfolge».
«Eine Anerkennung der Methode wäre deshalb finanziell nicht bloss ein Tropfen auf den heissen Stein, sondern könnte die Prämienexplosion stoppen», ist Wiederkehr überzeugt.
Immunologe Beda Stadler, ein pointierter Kritiker der Alternativmedizin, warnt vor überhöhten Erwartungen. «Es ist naiv zu glauben, dass eine einzige Therapie die Kostenfrage im Gesundheitswesen lösen wird.» Allerdings gebe es durchaus Hinweise darauf, dass die Hypnose medizinisch noch viel Potenzial habe. «Vermutlich handelt es sich im weitesten Sinn um einen Placebo-Effekt – allerdings spricht nichts dagegen, diesen gezielt auszunutzen.»
Stadler verweist auf Fälle, in denen schwere Allergiker dank Hypnose eine allergische Reaktion unterdrücken konnten. «Es ist richtig, wenn sich die moderne Forschung mit diesen Phänomenen befasst.» Bereits liegen verschiedene wissenschaftliche Studien vor, die eine Wirkung von Hypnose im medizinischen Bereich belegen. Was dabei neurobiologisch passiert, verstehen aber selbst die Wissenschaftler noch nicht genau. Dies wollen Forscher der Universität und ETH Zürich ändern. Aktuell versuchen sie mit bildgebenden Verfahren wie der Magnetresonanztomographie herauszufinden, was sich während einer Hypnose im Gehirn abspielt.
Wie es beim Bundesamt für Gesundheit heisst, ist bislang noch kein Antrag eingegangen, der eine Aufnahme der Hypnosetherapeuten als Leistungserbringer in der Grundversicherung verlangt. Entsprechend seien auch die finanziellen Auswirkungen noch nicht geprüft worden.
Roland Wiederkehr machte schon in der Vergangenheit mit unkonventionellen Vorschlägen zur Dämpfung der Gesundheitskosten auf sich aufmerksam. So propagierte er vor einigen Jahren eine Zelltherapie gegen Krebs, die auf Naturstoffen aus Gelbwurz-Präparaten basiert.