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Gesundheit

Schweiz: Wie Ärzte gegen Medikamentenengpässe kämpfen

Wie Ärzte gegen Medikamentenengpässe kämpfen – aber bei Pharmafirmen kaum Chancen haben

Ärzte und Verbände appellieren, Pharmafirmen beklagen die Kosten, und der Bund kann nichts tun. Das Resultat: Die Medikamente gehen aus - wie zum Beispiel ein wichtiges Kinder-Antibiotikum gegen Harnweginfekte.
03.08.2023, 18:36
Rahel Künzler / ch media
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Es war ein Schock für Suchtkranke: Anfang Jahr drohte eines der wichtigsten Heroinersatzmittel, Methadon, auszugehen. Dies, weil das Schweizer Heilmittelinstitut Swissmedic der einzigen Herstellerin, der Firma Amino, wegen Sicherheitsmängeln die Betriebsbewilligung entzog - nach einem jahrelangen Rechtsstreit.

Eine Apothekerin sortiert Medikamente in Schubladen im Lager-Regalsystem ein, aufgenommen am 24. Februar 2020 in der Amavita Apotheke im Wynecenter in Buchs, Kanton Aargau. (KEYSTONE/Christian Beutler ...
Die Versorgungslage ist «problematisch»: Eine Pharmaassistentin sortiert Medikamente im Lager ein.Bild: KEYSTONE

Zwar bestand für das Medikament ein Pflichtlager. Doch ironischerweise war dieses ebenfalls gesperrt, da die Vorräte bei der sanktionierten Firma lagen. Die bevorstehende Katastrophe konnte vor allem dank der Pharmafirma Streuli gerade noch abgewendet werden. Sie sprang ein und produzierte innert weniger Wochen hoch dosierte Methadon-Kapseln im grossen Stil.

Für das Präparat besass Streuli zwar keine reguläre Zulassung. Im Falle einer Mangellage dürfen Pharmaunternehmen jedoch im Auftrag von Apotheken gewisse Präparate herstellen, in begrenzten Mengen. Da wegen der Monopolsituation bei den Methadon-Tabletten gleich der ganze Markt wegbrach, musste Swissmedic die Mengenbeschränkung von 3000 Packungen ausnahmsweise aufheben. Zum ersten Mal.

Zulassung für Methadon-Tabletten zu teuer

Seit Mai darf die Firma Amino die Tabletten für die Suchttherapie wieder produzieren. Hat sich die Lage damit beruhigt? Mitnichten, sagt Thilo Beck, Chefarzt Psychiatrie und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin. Neben der Verfügbarkeit des Medikaments beschäftigt die Fachgesellschaft schon länger ein weiteres Problem: die Finanzierung.

Thilo Beck, Chefarzt Psychiatrie.
Bild: zvg/aargauerzeitung

Eigentlich sind die Methadon-Tabletten für langfristige Drogenersatzprogramme nämlich gar nicht zugelassen, sondern nur für den (kurzfristigen) Entzug. «Die Krankenkassen könnten deshalb jederzeit sagen: Wir zahlen die Tabletten für diese Anwendung nicht mehr», sagt Beck. Als der Preis des Methadons wegen der Notlösung mit Streuli kurzfristig anstieg, war die Situation laut dem Suchtmediziner besonders angespannt.

Die Fachgesellschaft habe die Firma Amino mit Sitz in Gebenstorf AG schon vor dem Engpass mehrmals angefragt, die nötige Zulassung für die Langzeit-Suchttherapie bei Swissmedic zu beantragen, sagt Beck. «Zu aufwendig und zu teuer», lautete die Antwort. Denn für die neue Anwendung (die schon seit Jahrzehnten besteht) müsste Amino ein komplett neues Dossier einreichen, inklusive Wirksamkeitsstudien.

Nach der Notlage im Frühjahr habe die Fachgesellschaft beschlossen, die Suche nach alternativen Methadon-Herstellern selbst in die Hand zu nehmen, sagt Beck. Eine Aufgabe, die viel Zeit und Energie gekostet habe. «Wir sind frustriert, dass wir uns überhaupt mit solchen Fragen herumschlagen müssen», sagt er. Die positive Nachricht: Eine deutsche Firma hat mittlerweile die Zulassung für Methadon-Tabletten für die Langzeittherapie beantragt. Der Entscheid von Swissmedic ist noch ausstehend.

Antibiotikum der ersten Wahl für Kinder fehlt

Ein weniger gutes Ende nahm die Versorgungssituation bei Podomexef, einem Flüssigantibiotikum für Kinder: Die japanische Herstellerfirma Daiichi Sankyo gab den Vertrieb des Präparates in der Schweiz vor knapp einem Jahr auf. Bei Nierenbeckenentzündungen mit Fieber - einer täglichen Diagnose in Kinderpraxen - fehle seither das Mittel der Wahl, sagt Christoph Aebi, Kinderarzt und Infektiologe am Berner Inselspital.

Christoph Aebi, Kinderarzt
Bild: Insel Gruppe

Stattdessen wird nun ein Breitbandantibiotikum eingesetzt. Gegen dieses sind die Bakterien, die den Infekt verursachen, jedoch häufiger resistent. Die Folge: Mehr Kinder müssen im Spital mit einer Infusion behandelt werden. Das Antibiotikum sei am Markt noch verfügbar, doch lohne sich der Vertrieb des Präparates nicht mehr, sagt Aebi. Schuld daran sind laut dem Chefarzt Zulassungsschranken zwischen der Schweiz und der EU sowie die Preispolitik des Bundesamtes für Gesundheit (BAG).

Das BAG berücksichtige die vergleichsweise aufwendige Produktion von Kinderpräparaten wie Sirupen oder Zäpfchen für den winzigen Markt der Kindermedizin in der Schweiz viel zu wenig, sagt Aebi. Wenn ein Hersteller ankündigt, ein wichtiges Präparat vom Markt zu nehmen, versuchen Pädiatrieverbände, ihn noch umzustimmen. «Meistens sind diese Gespräche erfolglos.» Nur dank persönlicher Kontakte hätten Firmen in ein paar wenigen Fällen überzeugt werden können, ein Medikament beizubehalten.

Kaum Handlungsspielraum bei Marktrückzügen

Monika Schäublin ist Programmleiterin Versorgungssicherheit Heilmittel bei der wirtschaftlichen Landesversorgung (BWL). Bei Präparaten mit Wirkstoffen, die auf der Liste der «lebenswichtigen Medikamente» stehen, müssen Hersteller Lieferengpässe seit 2015 beim BWL melden. Zudem prüft die Amtsstelle regelmässig das Versorgungsrisiko bei allen Wirkstoffen auf der Liste.

Monika Schäublin, Wirtschaftliche Landesversorgung
Bild: zvg/aargauerzeitung

Dabei schaue man an, wie häufig der Wirkstoff in der Therapie gebraucht wird, wie viele Produzenten es gibt und ob Ersatzprodukte in der Schweiz zugelassen sind, wie Schäublin sagt. Auch für das eingestellte Antibiotika wurde eine solche Risikoeinschätzung erstellt. Doch während das BWL bei temporären Versorgungsengpässen nach alternativen Herstellern sucht oder die Freigabe für die Medikamenten-Pflichtlager erteilt, sind dem Amt bei Marktrückzügen die Hände gebunden.

«Es gibt keine gesetzliche Grundlage, mit der wir eine Pharmafirma verpflichten könnten, ein Produkt weiterzuverkaufen», sagt Schäublin. Dennoch sucht das BWL bei Marktrückzügen von versorgungsrelevanten Medikamenten das Gespräch mit den Herstellern. Weil jedoch die meisten Präparate von grossen Firmen im Ausland stammten, sei der Entscheid meist längst besiegelt, bis man von der vertreibenden Firma in der Schweiz davon erfahre, so Schäublin.

Wenig Aussichten für bessere Marktanreize

Das BWL stuft die Versorgungslage bei den Medikamenten noch immer als «problematisch» ein. Schäublin ist Teil einer interdisziplinären Arbeitsgruppe, die dem Bundesrat bis Mitte 2024 Vorschläge inklusive Kostenschätzung machen soll, wie die Situation stabilisiert werden kann. Nebst BAG und BWL sind auch Vertreterinnen und Vertreter aus der Pharmaindustrie sowie der Medizin involviert.

Die Arbeitsgruppe stützt ihre Arbeit auf einen Bericht des BAG aus dem Jahr 2022, der bereits diverse Massnahmen skizziert hat. Die «Verbesserung der Anreize für Hersteller von lebenswichtigen Arzneimitteln» wird im Bericht zwar als ein grosses Handlungsfeld genannt. Wie genau die Marktsituation vor allem auch für Schweizer Hersteller von Grundversorgungsmedikamenten verbessert werden soll, bleibt jedoch vage.

Dies, obschon dringender Handlungsbedarf besteht: So steht etwa die Firma Streuli bei der Produktion von sterilen Schmerzmittelampullen wegen der massiv steigenden Energiekosten stark unter Druck, wie Geschäftsleitungsmitglied André Vecellio kürzlich gegenüber CH Media sagte.

Kapazitäten von Schweizer Firmen sind wichtig

Das BAG teilt zwar mit, es berücksichtige die Versorgungssicherheit bei der Preisfestsetzung. Eine Preiserhöhung sei jedoch ausgeschlossen, wenn es Therapiealternativen gebe. Genau wegen dieser Einstellung stösst das System laut Spitalapotheker Enea Martinelli an seine Grenzen. Er kämpft seit Jahren gegen Lieferengpässe und hat die private Online-Plattform Drugshortage aufgebaut, welche Arzneimittelengpässe auflistet.

Spitalapotheker Enea Martinelli
Bild: zvg/aargauerzeitung

Nur solange es in der Schweiz noch Firmen mit der nötigen Produktionskapazität für verschiedene Arzneimittelformen gebe, könne genug schnell auf Versorgungslücken bei kritischen Medikamenten reagiert werden. «Je grösser der Marktanteil eines Medikamentes, desto schwieriger ist dies», sagt Martinelli. Spätestens nach dem Zwischenfall mit Methadon sollte dies allen einleuchten. (aargauerzeitung.ch)

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71 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Lol28
03.08.2023 19:08registriert April 2021
Es ist zum heulen. Als Forscher investiert man so viel Zeit und Herzblut in Forschung und Entwicklung von Wirkstoffen und Therapien. Als Arzt würde man wirklich gerne helfen zu heilen. Und dann fahren die Pharmafirmen und Krankenkassen alles an die Wand- weil für einige in der Cheff Etage nur Zahlen auf dem Papier existieren, Medikamente nicht rentabel sind, Gewinnmargen zu klein, Produktionskosten zu hoch... Und dazu Bürokratie, Egos und Papierkram das ganze System bis zur Handlungsunfähigkeit lähmen, besonders wenn kleine Firmen aushelfen wollen, um die Notlage abzumildern.
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Macca_the_Alpacca
03.08.2023 19:26registriert Oktober 2021
Was für eine seltsame Gesellschaft wir doch geworden sind, wo Marktanreize viel mehr zählen als der Reiz Patienten zu helfen.
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Aspirin
03.08.2023 20:49registriert Januar 2015
Das Problem ist leider schon seit Jahren bekannt. Weitere Beispiele aus den letzten Jahren sind Cisplatin für Chemotherapie, Ganciclovir zur Behandlung von CMV-Infektionen v.a. bei Transplantierten, Amoxicillin, Amoxicillin/Clavulansäure (1g per os, 2.2 g i.v.), etc. Dies sind alles alte, keineswegs teure Medikamente mit potentiell lebensrettender Wirkung. Da sich deren Produktion bei uns zumeist nicht lohnt, werden sie im Ausland hergestellt, meist eine Jahrescharge in kürzester Zeit. Wenn dann aus irgendwelchen Gründen die Nachfrage steigt… Pech gehabt. Dafür billig.
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