Peter Wermuth trat kein einfaches Erbe an, als er im September 2015 die Leitung der Forensischen Psychiatrie bei den Psychiatrischen Diensten des Kantons Aargau (PDAG) übernahm. Denn sein Vorgänger hat einen grossen Namen: Josef Sachs, landesweit bekannter Gerichts- und Medienpsychiater, Amtsantritt 1991.
Kaum hat sich Wermuth eingearbeitet, schon muss auch er vor die TV-Kamera. Weil ein Patient aus seiner Station in der Klinik Königsfelden in Windisch entflohen ist. Der «Schweiz aktuell»-Reporterin erklärt er: «Wir können so viel sagen, dass keine Gewalt gegenüber Personal oder anderen Personen angewendet wurde. Zum Glück.» Der Patient habe mit einem Werkzeug das Sicherheitsnetz vor dem Balkon geöffnet und sei durch das Loch gestiegen, habe sich von der Station abgeseilt.
Inzwischen ist das Loch geflickt. Dafür hat Wermuth auch kein Loch mehr in seinem Terminkalender: Die halbe Schweiz will Antworten. Ein Medienrundgang auf der Station, aus der Kris V. entwich, wird gestern kurzfristig wieder abgesagt. Zum Fall Stellung nehmen darf man nicht mehr – allgemein zur Arbeit in der Forensik schon.
Am Telefon erklärt Wermuth geduldig. Es stört ihn, dass viele noch immer nicht verstehen, dass eine «fürsorgerische Unterbringung» und eine «Verwahrung» überhaupt nicht dasselbe sind. «Eine Verwahrung ist reine Sicherung. Das hat nichts mit Therapie zu tun», sagt er. «Aber wir sind eine Therapiestation.»
Der Grossteil aller Patienten, die in der Forensik in Königsfelden behandelt werden, werden strafrechtlich zugewiesen. Sie haben grob gegen das Gesetz verstossen – und wurden von einem Strafgericht mit einer Massnahme bestraft. Nicht so Kris V. Der verurteilte Mörder hat seine Strafe abgesessen.
Ein Familiengericht hat ihn, quasi als Anschlusslösung wegen Rückfallgefahr, nach Königsfelden eingewiesen. «Normalerweise», sagt Wermuth, «werden Menschen fürsorglich in Alters- und Pflegeheimen oder psychiatrischen Kliniken untergebracht. Eine Unterbringung in einer geschlossenen, forensisch-psychiatrischen Einrichtung ist sehr, sehr selten.» Das Familiengericht entscheide im Einzelfall, was der richtige Ort sei.
Im Pavillon 7 gibt es drei geschlossene Abteilungen, eine davon ist mit einer einfachen Schleuse, die zwei Akutabteilungen sind mit doppelten Schleusen abgeriegelt. Dazu Sicherheitsglas, ein Badge-System. «Der Schutz vor Entweichung des Patienten steht im Vordergrund», sagt Wermuth.
Schutz vor Suizid sei auch ein Thema, aber nicht vordergründig. Entweichungen gebe es. «Aber sie sind selten.» Dabei wird klar: Die Abteilung ist auf den Vollzug strafrechtlicher Massnahmen ausgelegt. Diese müssen Therapien absolvieren – Lockerungen sind ein Mittel, um sie dafür zu motivieren. Ärzte und Psychologen führen Gespräche, unter vier Augen und in Gruppen.
«Jeder Patient hat seinen persönlichen Therapieplan, je nach Störung und Situation, in der er sich momentan befindet. Die Bezugspersonen sind fest zugeteilt», erklärt Wermuth. Auch Teil des Stundenplans sind Bewegungs-, Arbeits-, Kunst- oder Ergotherapie. Und natürlich Essenszeiten.
Behandelt wird das gesamte Spektrum zwischen einer schweren Psychose und einer Persönlichkeitsstörung, die man einer Person im Alltag nicht zwingend anmerkt. Ein Sondersetting für einen zivil- und nicht strafrechtlich platzierten Patienten könne man nicht anbieten.
Wermuth: «Die Grundstruktur der Behandlung ist dieselbe.» Ziel ist die «Minderung des Rückfallrisikos». Vor allem mittels Psychotherapie soll dies erreicht werden. Chefarzt Wermuth behält die Übersicht, macht wöchentlich Visiten. Zuvor war er jahrelang selbst als behandelnder Oberarzt tätig.
Aus seiner Erfahrung weiss er: «Es gibt Patienten, die lassen sich darauf ein, bei anderen ist es eher schwierig.» Die Motivation sei jedoch entscheidend für einen Therapieerfolg. Schwankungen seien normal. «Das kann das Behandlungsteam fordern.»
(aargauerzeitung.ch)