Wie war es für Sie, als Sie die Downsyndrom-Diagnose Ihres Kindes bekamen?
Ich war in dieser, meiner dritten Schwangerschaft knapp über dem Risikoalter, im 36. Lebensjahr. Wir führten eine normale Ultraschallkontrolle durch. Da es eine Risikoschwangerschaft war, waren die Ärzte verpflichtet, uns darauf hinzuweisen, dass noch weitere Tests möglich sind. Wir hatten uns vorher keine Gedanken gemacht, ob wir das wollen. Da nur ein unkomplizierter Bluttest nötig war, stimmten wir zu – eigentlich gedankenlos.
Und dann?
Wir erhielten einen Risikowert, dass unser Kind mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 97 Trisomie 21 – also ein Downsyndrom – hat. Das war ein unerträglicher Zustand zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Wir fragten uns, ob wir lieber im Ungewissen oder mit dem definitiven Bescheid leben wollten. Für mich persönlich war es unmöglich, auf dieser Basis eine Entscheidung zu fällen. Also liessen wir mein Fruchtwasser untersuchen. Und dann hatten wir die Diagnose schwarz auf weiss.
Man sagte Ihnen, dass Ihr Kind Trisomie 21 hat.
Ja. Zunächst konnten wir nicht mit der Situation umgehen. Wir waren geschockt. Es war uns nicht möglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Und dennoch mussten wir uns entscheiden. Glücklicherweise hatten wir eine gute Ärztin, die uns nicht nur einen, sondern zwei Wege aufzeigte: Ein Leben mit oder ohne das Kind. Ich höre aber immer wieder von Paaren, denen nur der Weg eines Schwangerschaftsabbruches aufgezeigt wird.
War für Sie von Anfang an klar, dass Sie nicht abtreiben wollen?
Im Gegenteil. Mein Mann und ich schwankten täglich zwischen beiden Möglichkeiten. Irgendwann wollte ich das Kind weghaben, nur damit ich mich nicht mehr entscheiden musste. Ich ging zur Ärztin. Was mir bis dahin nicht bewusst war, war, dass ich das Kind dennoch gebären musste, dass bei einem Schwangerschaftsabbruch die Geburt eingeleitet wird. Und da hat es «Klick» gemacht.
Inwiefern?
Mir wurde bewusst, dass ich komplett die Verbindung zum Kind verloren hatte. Es ging nicht mehr um mein Kind, sondern nur noch um eine unterträgliche Situation. Ich fand den Faden zu meinem Kind wieder. Dann haben mein Ex-Mann und ich uns hingesetzt und Fakten gesammelt. Bis dahin waren es nur Gefühle, jetzt brauchten wir Fakten. Am Ende der Abwägung der Vor- und Nachteile überwog klar das Positive. Alles sprach für das Kind.
Morgen wird auch die Präimplantationsdiagnostik-Vorlage (PID) im Parlament behandelt. Paare, die künstliche Befruchtung in Anspruch nehmen, sollen die Embryonen neu auf Gendefekte testen lassen dürfen. Wenn die Vorlage durchkommt, werden künftig viel mehr Eltern in eine ähnliche Situation kommen wie Sie. Ja, deswegen halte ich die PID grundsätzlich für problematisch, weil der Druck auf die Eltern steigt, kein behindertes Kind auf die Welt zu bringen. Der Test an den Embryonen kann zudem nicht alle möglichen Behinderungen feststellen, sondern nur 3 bis 4 Prozent der möglichen Fehlbildungen inklusive Trisomie 21. Dabei würde eine klare Trennung zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben getroffen. Diese Bewertung bedeutet eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderung.
Eine andere Diskriminierung soll aufgehoben werden, Trisomie 21 als Geburtsgebrechen anerkannt und IV-tauglich werden. Inwiefern erleichtert das das Leben von Eltern mit Downsyndrom-Kindern?
Wenn die Trisomie 21 auf der Liste der Geburtsgebrechen steht, übernimmt die IV neu die Kosten für medizinisch-therapeutische Massnahmen. Vorher erhielten wir zwar eine Hilflosenentschädigung und einen Intensivpflegezuschlag, die Kosten für medizinisch-therapeutische Massnahmen wie Physio- oder Ergotherapie und Arztkosten mussten wir aber selber bzw. die Krankenkasse bezahlen. Für spezielle Therapien mussten wir eine Bewilligung bei der Kasse einfordern. Wenn unser Kind einen Herzfehler gehabt hätte, wie es viele Kinder mit Downsyndrom haben, hätte die IV die Kosten übernommen. Dass dies künftig die Regel werden soll, ist vernünftig. Denn es ist sonnenklar, dass die Genmutation Trisomie 21 seit der Geburt eines Kindes besteht und dadurch die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit eines Menschen eingeschränkt sind.
Sie haben vorhin über die schwierige Entscheidung nach einer schockierenden Pränataldiagnose gesprochen. Was raten Sie werdenden Müttern, die in die gleiche Situation geraten?
Ich kann natürlich nicht für alle Fälle sprechen, sondern nur für meinen. Bei mir war es vor allem wichtig, Vorurteile abzubauen: Mir wurde bewusst, dass ich auch mit einem Kind mit Downsyndrom berufstätig sein kann, dass ich nicht zur Pflegerin werden muss, dass es ein Kind sein wird wie jedes Andere, nur etwas langsamer in seiner Entwicklung und vor allem: Dass sein Leben lebenswert sein wird und es nicht leiden muss. Mein Sohn lebt sehr gerne.
Wie reagierten seine Schwester und sein Bruder?
Wir fragten auch unsere damals 4-jährige Tochter, was sie dazu meinte. Sie fragte: Kann das Kind mit mir spielen? Kann es raus gehen? Kann es mit mir in einem Zimmer schlafen? Und antwortete dann: Ich weiss gar nicht, was ihr habt!
Werden Sie mit Vorurteilen konfrontiert?
Eigentlich wenig. Auch meine Familie reagierte damals sehr positiv. Nur in anonymen Online-Kommentaren lese ich manchmal üble Dinge: Behinderte seien dumm, sie lägen nur dem Sozialstaat auf der Tasche und es sollte sie eigentlich gar nicht geben.
Gab es dennoch Schwierigkeiten?
Wir sind eigentlich eine ganz normale Familie. Worauf ich immer stark achten wollte, war, dass meine zwei anderen Kinder nicht zu kurz kamen. Ich glaube, das ist uns gelungen. Wir mussten uns nur gut organisieren.