Wen haben wir da eigentlich gewählt? Was Grüne und Grünliberale sonst noch vertreten
Ausgerechnet die SP ist eine der grossen Verliererinnen der Parlamentswahlen 2019 – der sogenannten Klimawahl. Wieso ausgerechnet die SP? Weil die SP laut ecorating.ch zusammen mit den Grünen die umweltfreundlichste Partei des Landes ist. Noch vor den Grünliberalen. Aber sie hat halt kein «Grün» im Parteinamen, wie SP-Präsident Christian Levrat sich beklagte. Und ganz unrecht hat er vermutlich nicht.
Doch wenn der Name alleine Programm ist, stellt sich die Frage: Für was stehen die beiden Grün-Parteien denn sonst noch so ein? Und wie sehr unterscheiden sie sich von SP (die Grünen) und FDP (Grünliberale)?
Die Smartspider
Wie die Smartspider-Ausschläge der beiden Parteien zeigen, ist das Grün im Namen kein Etikettenschwindel. Doch nicht nur in Umweltfragen vertreten die beiden Parteien ähnliche Positionen. Auch in Sachen Finanzpolitik, Law & Order und der Migrationspolitik erzielen Grüne und GLP ähnliche Werte. Die grössten ideologischen Unterschiede finden sich bei den Vorstellungen rund um Sozialstaat und Wirtschaftspolitik.
Die Grünen
Die Grünliberalen
Grüne vs. Grünliberale
Grüne vs. SP
Riesenerfolg bei den Wahlen für die Grünen, hängende Köpfe bei der SP. Während die Stimmungslage in den beiden Lagern nicht unterschiedlicher sein könnte, dürfen sich Linkswähler getrost zurücklehnen. Es spielt (fast) keine Rolle, wer sie im Parlament vertritt. Die beiden Parteien liegen ideologisch beinahe identisch auf einer Linie. Erwähnenswerte Unterschiede sind nur in der Aussenpolitik feststellbar.
Die Grünen
Die SP
Grüne vs. SP
Grünliberale vs. FDP
So deckungsgleich die Grünen und die SP sind, so deckungsgleich sind GLP und FDP – behaupten Gegner der GLP immer wieder – und stimmen gerne das Lied von der FDP im grünen Mäntelchen an. Doch stimmt es auch? So sehen die Smartspider der Zürcher Kandidaten der beiden Parteien aus.
Die Grünliberalen
Die FDP
Die Smartspider der beiden Parteien enttarnen das Liedchen als Mythos. Ausser dem Umweltschutz unterscheiden sich die beiden Parteien in Migrationspolitik, Law & Order, der Wirtschaftspolitik, gesellschaftsliberalen Fragen und der Vorstellung des Sozialstaates deutlich.
Grünliberale vs. FDP
Und wie sehen die Unterschiede von Grünen und Grünliberalen bei ausgewählten Sachfragen aus, die sie in Zukunft in den Räten beschäftigen werden?
CO2-Gesetz
Im alten Nationalrat war das CO2-Gesetz gescheitert. Der neue, ökologischere Nationalrat dürfte dem Ständerat folgen und den ausgearbeiteten Massnahmenkatalog gutheissen. Dazu gehören eine Flugticketabgabe, höhere Aufschläge auf den Benzinpreis sowie Restriktionen gegenüber Ölheizungen.
Die Positionen von Grünen und Grünliberalen
Den Grünen geht der Gesetzesentwurf des Ständerates zu wenig weit. Sie fordern unter anderem eine deutlich schnellere und umfangreichere CO2-Reduktion, doppelt so viele Gebäudesanierungen und dafür doppelt so viele Mittel. Der Katalog mit Forderungen kann hier eingesehen werden.
Ähnlich wie bei den Grünen tönt es von den Grünliberalen. Sie fordern einen Ausbau der Infrastruktur von Elektromobilität, eine Flugticketabgabe und höhere CO2-Abgaben auf Brenn- und Treibstoffe. Statt eines Maximalansatzes von 210 Franken pro Tonne fordert die GLP beinahe das Doppelte (400 Franken). Einen Katalog an Forderungen gibt es hier.
Kampfjets
Der Ständerat hat bereits Ja gesagt zum Kauf neuer Kampfjets für 6 Milliarden Franken. Nun ist der (neue) Nationalrat am Zug. Für die Beschaffung selber dürfte es im Parlament eine solide Mehrheit geben. Umstritten ist, welchen Anteil des Vertragsvolumens ausländische Lieferanten durch Gegengeschäfte in der Schweiz kompensieren müssen.
Die Positionen von Grünen und Grünliberalen
2016 lehnten die pazifistisch eingestellten Grünen den Kauf neuer Kampfjets ab. Es handle sich dabei um eine Verschwendung von mehreren Milliarden Franken für eine überholte Armee, lautete die Begründung. Sie begrüssen hingegen, dass der Kampfflugzeugkauf unabhängig vom Boden-Luft-Verteidigungssystem erfolgen soll. Kompensationsgeschäfte sollen drastisch reduziert werden.
Die Grünliberalen sind nicht prinzipiell gegen die Anschaffung neuer Kampfjets und auch bei den umstrittenen Kompensationsgeschäften sind sie liberaler: «Die Frage, ob Offset-Verträge zustande kommen, darf beim Typenentscheid keine überragende Rolle spielen. Vielmehr müssen das Erreichen der technischen Anforderungen und die Zukunftsfähigkeit der Systeme gesichert sein.»
Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre
Der Bundesrat hat dem Parlament eine AHV-Reform vorgelegt, mit der das Frauenrentenalter auf 65 Jahre erhöht würde. Für eine Reform der beruflichen Vorsorge arbeitet der Bundesrat derzeit eine Vernehmlassungsvorlage aus.
Die Positionen von Grünen und Grünliberalen
Für die Grünen kommt die Erhöhung des Frauenrentenalters, so wie es der Bundesrat vorsieht, nicht in Frage. Die Begründung im O-Ton: «Frauen haben heute wegen tiefen Löhnen und unbezahlter Betreuungs- und Pflegearbeit grosse Rentenlücken – die vom Bundesrat vorgesehenen Kompensationsmassnahmen reichen bei Weitem nicht aus, um diesen Missstand zu beseitigen.»
Ohne Vorbehalte befürworten auch die Grünliberalen das Frauenrentenalter 65 nicht. Sie unterbreiten aber einen alternativen Vorschlag. Dieser sieht für Männer und Frauen sogar ein Referenzrentenalter von 66 Jahren vor.
Ehe für alle
Das Parlament ist nicht nur grüner geworden. Gestärkt wurden – zumindest im Nationalrat – auch die progressiven Kräfte in gesellschaftlichen Fragen. Damit dürfte die Ehe für homosexuelle Paare geöffnet werden, inklusive Zugang zur Adoption. Umstritten ist, ob verheiratete Frauen Zugang zur Samenspende erhalten sollen. Offen ist auch, wie es mit der Abschaffung der Heiratsstrafe weitergeht.
Die Positionen von Grünen und Grünliberalen
Sibel Arslan schreibt dazu auf der Grünen-Homepage: «Homosexuellen Paaren gebühren die gleichen Rechte wie heterosexuellen. Wir Grüne setzen uns deswegen für die vollständige Öffnung der Ehe ein. Dazu gehört auch der Zugang zur Samenspende für lesbische Paare.»
Was Sibel Arslan bei den Grünen schreibt, könnte so auch bei den Grünliberalen auf der Homepage stehen. Die GLP betont zusätzlich die erwünschte Individualbesteuerung. Der Ausschluss gleichgeschlechtlicher weiblicher Ehepaare von der Fortpflanzungsmedizin nennt die GLP einen Verstoss gegen das in der Bundesverfassung verankerte Diskriminierungsverbot.
Strommarktöffnung
Die Energiestrategie 2050 gehörte zu den wichtigsten Dossiers der vergangenen Legislatur. Das alte Parlament hat damit die Weichen gestellt für den Ausbau erneuerbarer Energien. Deren Förderung ist jedoch befristet. Das neue Parlament muss entscheiden, was danach kommen soll. Der Bundesrat will ausserdem den Strommarkt vollständig öffnen. Auch Haushalte sollen künftig ihren Stromlieferanten wählen können.
Die Positionen von Grünen und Grünliberalen
Für die Grünen kommt die volle Strommarktöffnung nur mit flankierenden Massnahmen zur Förderung der erneuerbaren Energieträger in Frage.
Die Grünliberalen befürworten die Strommarktliberalisierung im Grundsatz. «Mehr Anreize für Investitionen in die Produktion von erneuerbarer Energie» seien aber zwingend.
Konzernverantwortung
Zur Debatte steht, ob Schweizer Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden von Tochtergesellschaften im Ausland haften sollen oder nicht. In alter Zusammensetzung haben sich National- und Ständerat nicht auf einen indirekten Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative einigen können. Der Entscheid liegt nun beim neuen Parlament.
Die Europafrage
Das Thema Europapolitik dürfte bald wieder weit oben auf der politischen Tagesordnung stehen. Letzter Stand: Im Juni entschied der Bundesrat, das institutionelle Abkommen vorläufig nicht zu unterzeichnen. Er verlangt von der EU «Klärungen» in den Bereichen Lohnschutz, Unionsbürgerrichtlinie und staatliche Beihilfen. Die EU versagte der Schweizer Börsenregulierung daraufhin die Anerkennung, im Gegenzug trödelt das Parlament bei der Kohäsionsmilliarde. Einer Lösung kommt man dadurch nicht näher: Die EU verlangt weiterhin einen institutionellen Rahmen für die bilateralen Beziehungen. Sie setzt die Schweiz unter Druck, indem bis zum Abschluss eines entsprechenden Abkommens weder neue bilaterale Verträge geschlossen noch bestehende erneuert werden. Verschärft wird das Problem durch die Begrenzungsinitiative der SVP, die derzeit beim Ständerat hängig ist.
Die Positionen von Grünen und Grünliberalen
Die Grünen pochen auf dem Lohnschutz und verlangen zwingende Nachverhandlungen und Zugeständnisse der EU.
Die Grünliberalen bezeichnen das ausgehandelte Rahmenabkommen als Erfolg. Auch in Sachen Lohnschutz. O-Ton: «Die Schweiz darf ihre bilateralen Beziehungen nicht wegen gewerkschaftlichem Dogmatismus an die Wand fahren.»
(tog mit Material der SDA)