«Eines der dümmsten Systeme»: Putins Wunderrakete überzeugt Experten nicht
Als «einzigartiges Produkt, das weltweit sonst niemand hat», bezeichnete der russische Präsident die neueste Waffenkreation seines Landes stolz in einem Video, das der Kreml kürzlich verbreitete.
«Burewestnik», auf Deutsch «Sturmvogel», nennt sich der neue, atomar betriebene Marschflugkörper, der dank eines eingebauten Minireaktors theoretisch unbegrenzt weit fliegen könne. Laut dem russischen Generalstabschef Walerij Gerassimow war der «Sturmvogel» bei einem Test am 21. Oktober 15 Stunden am Stück in der Luft und dabei 14'000 Kilometer weit geflogen.
Was zunächst sehr bedrohlich klingt, überzeugt westliche Experten nur bedingt. So sagt der Raketenexperte Markus Schiller, der am schwedischen Friedensforschungsinstitut Sipri forscht und Angehörige der deutschen Armee schult, gegenüber dem Nachrichtenmagazin Spiegel, Burewestnik sei «auf keinen Fall ein Gamechanger».
Dies aus mehreren Gründen. Einerseits verfüge Russland bereits über ein beträchtliches Arsenal an herkömmlichen Interkontinentalraketen, die noch dazu viel schneller als der Burewestnik seien. Deren Reichweite ist zwar begrenzt, doch eine Strecke, wie sie der Burewestnik im Test erfolgreich absolviert habe, könnten sie ebenfalls zurücklegen – dank Überschallgeschwindigkeit in 30 Minuten statt in 15 Stunden.
Andererseits gelten atomar betriebene Raketen als Sicherheitsrisiko. Nicht nur bei Abschüssen durch Abwehrsysteme, sondern auch bei Pannen kann radioaktives Material austreten und Gebiete kontaminieren – unter Umständen solche, die nicht auf der Zielliste des Absenders stehen.
Russland kann davon ein Liedchen singen: Während der Herstellung von Burewestnik kam es 2019 zu einem folgenschweren Zwischenfall mit fünf Toten. Bei einem fehlgeschlagenen Test der vermeintlichen Wunderwaffe im Nordwesten Russlands kam es zu einer Explosion. In der Region wurden danach erhöhte Strahlenwerte gemessen.
Die USA hätten wegen des unsicheren Betriebs bereits in den 1950er-Jahren entschieden, keine atomar angetriebenen Langstreckenraketen zu entwickeln, sagt William Alberque, ehemaliger Nato-Direktor für Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Er bezeichnet den Burewestnik deshalb als «fliegendes Tschernobyl».
Selbst wenn es den Russen gelungen sei, den Atomantrieb störungsfrei zu betreiben, ist der militärische Mehrwert auch nach Alberques Einschätzung fraglich – gerade, weil das System so langsam sei. Er bezeichnet den Burewestnik deshalb gegenüber dem Tagesanzeiger als «eines der dümmsten Systeme, die man sich vorstellen kann».
Dass Putin an der Entwicklung des Prestigeprojekts, das 2016 erstmals angekündigt wurde, festgehalten hat, ist laut Alberque nicht rational begründbar.
Bei einem Waffensystem, das als «atomar angetriebener Marschflugkörper mit unbegrenzter Reichweite» angepriesen werden kann, sei der «Angstfaktor im Westen hoch».
Auch Raketenexperte Markus Schiller sieht keinen militärischen Mehrwert im «Burewestnik». Es lasse sich zwar nicht ausschliessen, dass Russland einige dieser Raketen einsatzfähig mache und ins Arsenal aufnehme, möglich sei aber ebenso, dass Putins neue Wunderwaffe früher oder später «sang- und klanglos verschwindet». (con)
