Genf ist sich internationalen Besuch gewohnt. Seit der Gründung des internationalen Komitees vom roten Kreuz (IKRK) im Jahr 1863 entwickelte sich die Stadt am Lac Leman zu einem wichtigen Ort für internationale Konferenzen und Friedensgespräche. Heute ist sie der europäische Hauptsitz der Vereinten Nationen, beherbergt rund 40 internationale Organisationen, fast 700 NGOs und Dutzende diplomatische Missionen. Doch so etwas hat die Stadt noch nie gesehen.
Für das Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Joe Biden mit Russlands Staatschef Wladimir Putin wurde Genf kurzerhand in eine Hochsicherheitszone verwandelt. Während es in der Villa La Grange zum historischen Händeschütteln der zwei wichtigsten Männern der Welt kam, schwankte die Stimmung rund um die abgesperrten Zonen zwischen genervt und aufgeregt, zwischen neugierig und abgelöscht. Eine Kolonne Kantonspolizisten fuhr vorbei, irgendwo hornte ein Polizeiauto, schon wieder.
Folgende 11 Bilder erzählen Geschichten aus Genf zwischen Panzerwagen und Stacheldraht.
Normalerweise lädt die Promenade rund um den Lac Leman zum Flanieren ein. Ab Dienstagabend waren beide Seeufer geschlossen. Rund um den See sowie auch im See drin durfte sich während des Gipfels nichts bewegen. Keine Menschen, keine Autos, Velos oder Boote. Mitten auf der Seepromenade parkte ein Flugzeugabwehrsystem des Militärs. Auf dem Lac Leman patrouillierten Polizeischiffe.
Auf der Place des Nations sprangen Kinder über kleine Wasserfontänen, die aus dem Boden sprudeln. Dass wenige Meter von ihnen entfernt der amerikanische Präsident logierte und deshalb das ganze Gebiet strengstens bewacht wurde, wussten sie nicht. Die Hauptstrasse zum Hotel Intercontinental war abgesperrt. TV-Kameras filmten ins Leere, Journalisten warteten in der Hitze darauf, dass sich irgendetwas bewegt. Weiter vorne parkte quer auf die Strasse ein verrosteter Lastwagen der städtischen Müllabfuhr. Er sollte das Hotel zusätzlich vor einem Gewaltangriff schützen.
Ganz anders die Stimmung rund um das Hotel Mandarin Oriental. Hier in der Nähe der Altstadt am Ufer der Rhône logierte die russische Delegation. Der russische Präsident selbst nächtigte nicht hier, weshalb es kaum Polizisten vor Ort gab.
Danielle Lachavanne wohnt seit 30 Jahren in einer Wohngenossenschaft gleich beim Hotel Intercontinental, wo der US-Präsident mit seiner Entourage abstieg. Ihre Katze Simba musste sie an die Leine nehmen. Weil der nahe Park abgesperrt wurde, führten die Leute ihre Hunde nun in der Parzelle der Wohngenossenschaft spazieren. Das bringe Spannungen zwischen den Hunden und Simba, erzählte Lachavanne der ch-media-Journalistin Nina Fargahi.
Heerscharen von Schweizer Polizisten, Soldaten und Zivilschützern bevölkerten während des Gipfeltreffens die Stadt. Rund 4000 waren es insgesamt. Überall standen Polizeiautos und Militärpanzer. In den Lüften ratterten Helikopter. Damit Schulkinder sich in all dem Verkehrschaos nicht verirrten und ordentlich über die Strassen kamen, sorgten Kadetten rund um Schulhäuser für Unterstützung.
Der Jet d'Eau gehört zum Wahrzeichen der Stadt. Normalerweise wird die 140 Meter hohe Wasserfontäne abends um 23.15 Uhr ausgeschaltet. Damit der Jet d'Eau auch für die ausländischen Fernsehsender mit der Zeitverschiebung als Hintergrundkulisse herhält, wird er bis vier Uhr morgens betrieben.
Stattgefunden hat das Treffen in der Villa La Grange im gleichnamigen Park am linken Seeufer. Um diesen wurde bereits Tage vorher kilometerweise Stacheldraht verlegt. Die Villa stammt aus dem 18. Jahrhundert. Heute beherbergt sie eine 1821 eingerichtete Bibliothek und steht unter Denkmalschutz. Damit es Präsident Biden und Staatschef Putin nicht zu sehr ruckelte im Auto, wurde das holprige Parksträsschen neu betoniert.
In einer Querstrasse hinter dem Park hingen mehrere regenbogenfarbene Pride-Flaggen an den Fenstern. Sie waren ein stiller Protest gegen Putin, der keinen Hehl aus seiner Ablehnung von Homosexuellen macht. Zwar ist Homosexualität in Russland nicht verboten, doch in der Realität werden queere Personen immer wieder gejagt, verprügelt und massiv diskriminiert.
Bei der Ankunft von Joe Biden am Dienstagnachmittag wurde vor seiner präsidialen Air Force One der rote Teppich ausgerollt. Doch es durfte nicht irgendein roter Teppich sein, nein, es musste einer aus einem Spezialgewebe sein. Denn andernfalls könnten Textilpartikel in die Turbine der Air Force One gelangen und die Triebwerke beschädigen.
Die Sicherheitszone erstreckte sich im und um den See. In der Konsequenz mussten auch sämtliche Geschäfte, Restaurants und Bars in diesem Gebiet am Mittwoch geschlossen bleiben. Dafür wurde ihnen von der Stadtregierung eine Entschädigung zugesprochen. Das einzige offene Bistro war jenes neben dem Medienzentrum, am Fuss des Park La Grange. Mit ihren Panini und Crêpes machten die Betreiber wohl einen Rekordumsatz. Schliesslich befanden sich rund 1500 Journalistinnen und Journalisten aus der ganzen Welt vor Ort. Die waren hungrig und bei den über 30 Grad vor allem auch durstig.
Normalerweise stark befahren, war der Quai Gustave Ador am Mittwoch fast komplett verkehrsberuhigt. Entlang der abgesperrten Strasse sammelten sich Schaulustige hinter den Polizeischranken. Unter ihnen zwei russische Frauen, die ihrem Heimatland und dessen Leader gegenüber offenbar grosse patriotische Gefühle hegen. Sie schwenkten eine Russland-Flagge und renkten ihre Hälse aufgeregt ums Eck, in freudiger Erwartung ein Blick auf den vorbeifahrenden Putin zu erhaschen.
Für die anwesenden Journalisten ein gefundenes Fressen. Sogleich waren sie von verschiedenen Kameras umringt, durften Grüsse an ihren Präsidenten in Mikrofons trällern und wurden befragt, was ihn denn als solch grossartigen Mann auszeichnet. Kein Wunder gaben sie bereitwillig Auskunft.
Was für eine Enttäuschung, wenn man dann den Text gelesen hat...
Und zu welchem Zweck?
Und noch viel wichtiger: Wie kam das amerikanische Kriegsschiff dahin?