Für das Vertragspaket der Schweiz mit der EU sieht es nicht gut aus
Die Reaktionen sind mehrheitlich positiv ausgefallen. Schweizer Parteien, grosse Verbände und die Konferenz der Kantonsregierungen äussern sich wohlwollend über das Mandat für Verhandlungen mit der EU. Trotzdem wäre es eine Überraschung, würde das Paket je umgesetzt.
Zwar sind Verbesserungen erkennbar, verglichen mit dem Rahmenvertrag, den der Bundesrat im Frühling 2021 versenkte. Die sogenannte Super-Guillotine, die sämtliche bilateralen Verträge mit der Europäischen Union gefährdete, ist verschwunden. Und es scheint der Schweiz gelungen, die Personenfreizügigkeit auf den Arbeitsmarkt zu beschränken. Die EU war an einer Ausweitung interessiert.
Bei der Streitbeilegung hat sich hingegen nur marginal etwas geändert. Findet der Gemischte Ausschuss keine Einigung, kann jede Seite die Einberufung eines Schiedsgerichts verlangen. Gehen in diesem Gremium die Meinungen auseinander, wie das EU-Recht auszulegen sei, entscheidet darüber der Europäische Gerichtshof in Luxemburg.
Für die SVP bedeutet das: Die Schweiz bezahlt für den privilegierten Zugang zum EU-Markt mit einem Verlust an staatlicher Souveränität, der nicht hinzunehmen ist. Die Volkspartei findet, dass darum das Vertragspaket abzulehnen sei - ganz unabhängig vom Inhalt der einzelnen Abkommen.
Im Abstimmungskampf über das Paket wird dies die umstrittenste Frage sein: Büsst die Schweiz zu viel Eigenständigkeit ein, Ja oder Nein? Diesem Punkt kann man nicht aus dem Weg gehen. Die Befürworter müssen versuchen aufzuzeigen, warum die neuen Abkommen die Selbstbestimmung des Landes nicht gefährden. Sie müssen erklären, warum der Vorwurf, dass sich die Schweiz der EU unterwerfe, falsch ist.
Es bleibt aber auffallend ruhig. Die Unterstützer des Vertragspakets reden gerne davon, dass die Schweiz auf geordnete Beziehungen mit der EU angewiesen sei. Die Souveränitätsfrage sprechen sie wenig an.
Das trifft auch auf den Bundesrat zu. Er akzeptierte die Art der Streitbeilegung schon im Jahr 2019, als er von der EU Verbesserungen in drei Punkten forderte, die vorgesehene Rolle des Europäischen Gerichtshofs aber nicht monierte. Warum ist die Landesregierung der Ansicht, dass die Abkommen mit der EU die Souveränität der Schweiz und ihrer Institutionen nicht untergraben? Hat bisher ein Mitglied der Regierung versucht, dies der Bevölkerung in einfachen Worten zu erklären? Man kann sich an kein solches Interview erinnern.
Eiertanz um das obligatorische Referendum
Soll das Vertragspaket die Prüfung an den Wahlurnen bestehen, ist der Sukkurs aller Parteien mit Ausnahme der SVP nötig. Wie steht es um die erstarkte Mitte? Parteipräsident Gerhard Pfister bezeichnete 2020 die Rolle des Europäischen Gerichtshofs im Rahmenabkommen als «toxisch.» Sieht er das immer noch so? Oder hat er seine Meinung geändert? Aus Rücksicht auf Parteiexponenten, die für die Verträge kämpfen, hält sich Pfister zurzeit zurück mit Positionsbezügen.
Die defensive Haltung zeigt sich auch daran, dass sich der Bundesrat und parlamentarische Kommissionen vor der Frage drücken: Soll das Vertragspaket dem obligatorischen Referendum unterstellt werden? Braucht es also auch das Kantonsmehr für eine Annahme? Wer streng juristisch argumentiert, kann die Frage verneinen. Aus einer politischen Warte ist es aber klar, dass es bei einem internationalen Vertragswerk von dieser Tragweite ein doppeltes Ja braucht – auch wenn das die Hürde erhöht.
Die Linke spricht derweil davon, dass beim Lohnschutz die Spesenregelung geändert werden müsse. Das mag den Gewerkschaften wichtig sein. Entscheidend ist aber etwas anders: Politikerinnen und Politiker, welche die Souveränitätsdebatte nicht scheuen, sondern den Angelpunkt der Verträge mit der EU thematisieren. Geschieht dies nicht, bleibt das Abkommen mit Brüssel toter Buchstabe. Anders als im Jahr 2021 wird das Volk den Stecker ziehen und nicht der Bundesrat. Das Ergebnis wäre freilich dasselbe. (aargauerzeitung.ch)
