Vielleicht war es von Anfang an ein hoffnungsloses Unterfangen. Die Chancen, China für eine Teilnahme an einem Gipfel in der Schweiz zum 10-Punkte-Friedensplan der Ukraine zu gewinnen, waren überschaubar. Aussenminister Ignazio Cassis hat es bei seinem Besuch in Peking am Mittwoch trotzdem versucht. Die Chinesen nahmen die Einladung «zur Kenntnis».
Faktisch war es eine mit netten Worten umhüllte Abfuhr. An einer Medienkonferenz versuchte der FDP-Bundesrat, sie mit diplomatischen Floskeln zu verwedeln. Er erhoffe sich weiterhin Hilfe von China, weil das Land grossen Einfluss auf die Regierung in Moskau habe. Eine Friedenskonferenz ohne Russland aber halte man in Peking für unrealistisch.
Genau darum aber geht es bei der geplanten Konferenz, zu deren Organisation sich die Schweiz beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Januar in Bern mehr oder weniger verpflichtet hat. Mit seinem Friedensplan zielt Selenskyj darauf ab, möglichst viele Länder vor allem aus dem Globalen Süden auf seine Seite zu ziehen.
Eine Teilnahme Russlands an der Konferenz ist nicht erwünscht. Das machte die Aufgabe für die Schweiz von Anfang an schwierig. Sinnvoll ist sie nur, wenn gewichtige Staaten wie Brasilien, Indien und vor allem China teilnehmen. Offiziell verhält sich Peking im Ukraine-Krieg neutral, faktisch aber hat sich Xi Jinping mit Wladimir Putin «verbrüdert».
In der chinesischen Mitteilung zum Treffen von Ignazio Cassis mit seinem Amtskollegen Wang Yi und Vizepräsident Hang Zhen wurde die Einladung zur Ukraine-Konferenz laut dem Korrespondenten von Radio SRF mit keinem Wort erwähnt. Nicht einmal die allgemeine Formulierung, dass China jegliche Friedensbemühungen unterstütze, werde wiederholt.
Deutlicher als mit dieser Nichterwähnung kann man kaum ausdrücken, was die chinesische Führung vom Ukraine-Friedensplan hält: rein gar nichts. Xi Jinping betrachtet Putin als «Juniorpartner» gegen den «kollektiven Westen», vor allem die USA. Er hat auch keine Hemmungen mehr, Russland bei der Umgehung der westlichen Sanktionen zu unterstützen.
Cassis gab vor den Medien Durchhalteparolen aus: «Wer den Anfang nicht wagt, kommt nicht ans Ziel.» Und natürlich ist es richtig, dass die Schweiz sich nicht hinter ihrer Neutralität versteckt, sondern sich dafür einsetzt, das Blutvergiessen in der Ukraine zu beenden. Trotzdem muss man sich fragen, ob sich der Bundesrat nicht naiv verhalten hat.
Offensichtlich ging es Selenskyj bei seinem Besuch in Bern nicht oder nur bedingt um die von der Schweiz blockierten Waffen oder die eingefrorenen russischen Geldern. Er wollte unser Land für seinen Friedensgipfel gewinnen. Nur deshalb kam er nach Bern, was Bundespräsidentin Viola Amherd im Interview mit CH Media indirekt bestätigte.
Denn lange liess es der ukrainische Staatschef offen, ob er vor der Reise ans WEF in Davos in der Bundesstadt Halt machen würde. Erst als Amherd sich am 12. Januar, drei Tage vor dem Besuch, telefonisch offen zeigte für die Austragung «eines möglichen Friedensgipfels auf Minister- oder Staatsoberhauptsebene», kam die offizielle Bestätigung.
Beim Treffen auf dem Landsitz Lohn erfolgte die Zusage der Schweiz, aber «nur unter der Voraussetzung, dass der Gipfel erfolgreich durchgeführt werden kann und möglichst viele Länder teilnehmen», wie Amherd im Interview betonte. Die Gefahr eines Scheiterns hatte der Bundesrat erkannt, dennoch nahm Selenskyj den Steilpass gerne auf.
Die einseitige Parteinahme für die Ukraine sorgte bei rechten Politikern für Unmut. Umso überraschender wirkte es, dass Ignazio Cassis in der folgenden Woche bei der Uno in New York mit dem russischen Aussenminister Sergej Lawrow zusammentraf. Die Begegnung liess auf eine gewisse Nervosität der Russen wegen der Friedenskonferenz schliessen.
Denn mit dem Engagement der Schweiz ist Wolodymyr Selenskyj ein cleverer Schachzug gelungen. Sie geniesst im Globalen Süden als Land ohne koloniale Vergangenheit und ohne geopolitische Agenda einen guten Ruf. Kehrseiten wie Fluchtgelder oder Verstösse gegen Menschenrechte und Umweltstandards kümmern die Eliten in diesen Ländern kaum.
Letztlich aber kann die Schweiz nichts ausrichten gegen die knallharte Realpolitik. Nicht nur in China, sondern zuvor schon in Indien, das im Ukraine-Krieg eine zwielichtige Rolle spielt, stiess Cassis mit der Einladung zum Friedensgipfel auf höfliches Desinteresse. Ohne diese Länder aber muss man sich fragen, welchen Sinn diese Konferenz macht.
Productive talks with Indian FM @DrSJaishankar in New Delhi 🪷
— Ignazio Cassis (@ignaziocassis) February 5, 2024
Explored economic ties and geopolitical challenges, focusing on the situation in #Ukraine and the possible paths to peace.
A shared commitment to strengthening multilateralism 🇨🇭🤝🇮🇳 pic.twitter.com/nZPnqLQ3YD
Allzu konkret hat sich die Schweiz wie erwähnt nicht verpflichtet. Bei einem Scheitern aber müsste sie sich eingestehen, dass ihre guten Dienste eine Art «Schönwetterkonzept» sind. Auch im Nahost-Konflikt haben ihre Kontakte mit der Hamas wenig bis gar nichts bewirkt. Die Neutralität ist eben oft nur ein Vorwand, sich nicht exponieren zu müssen.
Für das internationale Image der Schweiz würde es vermutlich keine grosse Rolle spielen, wenn der Ukraine-Gipfel nicht zustande kommt. In den westlichen Hauptstädten wird man sich über die Erfolgschancen keine Illusionen machen. Wolodymyr Selenskyj aber würde beim nächsten Treffen mit Schweizer Politikern sicher wieder über Waffen und Geld reden.
Ja, definitiv!
Und zwar in ziemlich vielen Bereichen!