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Wie ein Nepalese mit Schweizer Hilfe in Äthiopien Brücken baut

Pasang Sherpa und Sewnet Assegu auf der Brücke in Äthiopien.
Pasang Sherpa, nepalesischer Ingenieur, mit Sewnet Assegu, dem äthiopischen Helvetas-Beauftragten für Infrastrukturentwicklung auf einer Brücke in Ziquala, Äthiopien. Bild: helvetas /simon opladen

Wie diese zwei Männer mit Schweizer Hilfe Brücken bauen – und Freunde geworden sind

Der Nepalese Pasang Sherpa weiss aus eigener Erfahrung, wie wichtig Brücken sind. Von einer Schweizer Organisation liess er sich zum Brückenbauer ausbilden und verbessert seither nicht nur Leben in seiner Heimat, sondern auch in Afrika.
07.07.2024, 17:2807.07.2024, 18:05
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Was haben Nepal und Äthiopien gemeinsam? Sie liegen beide im Globalen Süden, gehören zu Entwicklungsländern und sind beide von vielen Schluchten und Flüssen durchzogen, die ohne Brücken kaum zu passieren sind. Was sie verbindet? Brücken. Sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne.

Das ist die Geschichte eines Projekts, das nicht nur Ortschaften, sondern auch Menschen und Kulturen miteinander verbindet und zeigt, wie mit Schweizer Unterstützung Armut bekämpft wird.

Äthiopien (pink) und Nepal (gelb) liegen auf verschiedenen Kontinenten.

Äthiopien – das zerklüftete Land

Das ostafrikanische Land mit 123 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern zeichnet sich durch eine diverse und zerklüftete Topografie aus. Besonders die Hochebenen und Berge sind von tiefen Schluchten durchzogen, die sich in der Regenzeit in reissende Flüsse verwandeln.

Brücke in Äthiopien Helvetas
Ohne eine solche Brücke wäre diese Schlucht in Ziquala, im Norden Äthiopiens, insbesondere während der Regenzeit unmöglich zu überqueren.Bild: helvetas /simon opladen

Was schön fürs Auge ist, stellt für die lokalen, ländlichen Bewohnerinnen und Bewohner im Alltag eine grosse Herausforderung dar. Viele Schluchten können sie gar nicht, nur während der Trockenzeit oder nur mit grossen und anstrengenden Umwegen überqueren.

So auch in Ziquala, in der Region Amhara, im Norden Äthiopiens, wo die 33-jährige Genet Kessie mit ihren sechs Kindern lebt.

Ziquala liegt in der Region Amhara (pink).

Sie hat ein kleines Geschäft, in dem sie unter anderem selbst Bier braut. Um es auf dem Markt verkaufen zu können, musste sie bis vor Kurzem eine tiefe Schlucht entweder durchqueren oder bei Regenzeit einen weiten Umweg bis zur nächsten Brücke machen. Ihre sechs Kinder standen auf dem Schulweg vor derselben Herausforderung.

Probleme, die der nepalesische Brückeningenieur Pasang Sherpa nur zu gut kennt. In seiner Heimat haben er und seine Kollegen die Lösung in den vergangenen Jahrzehnten perfektioniert.

Expertise aus Nepal

Grund für die nepalesische Expertise ist unter anderem Schweizer Unterstützung: Die Schweizer Hilfsorganisation Helvetas engagierte sich ab 1960 beim Bau von Hängebrücken in Nepal, die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) stiess 1972 hinzu. Dank dieser Unterstützung konnten in dem asiatischen Land seit den 1960er-Jahren über 10'000 Brücken gebaut und dadurch ländliche Dörfer erschlossen werden. 19 Millionen Menschen profitieren von den gebauten Brücken, die das gesamte regionale Wachstum anregen.

DEZA
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, kurz DEZA, wurde 1961 gegründet und ist für die Umsetzung der aussenpolitischen Strategie der Schweiz in Bereichen humanitärer Hilfe und globaler und regionaler Entwicklungszusammenarbeit zuständig.

Helvetas

Helvetas ist eine unabhängige Schweizer Organisation für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe, die sich seit 1955 für benachteiligte Menschen einsetzt. Sie ist in über 30 der ärmsten Länder Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und Osteuropas aktiv. In Nepal ist die Organisation seit fast siebzig Jahren tätig und verfügt über 200 lokale Mitarbeitende.

Das Projekt war ein Erfolg: Letztes Jahr konnten Helvetas und die DEZA die Zügel komplett an die nepalesische Regierung übergeben, welche den Brückenbau jetzt unabhängig weiterführt.

Das Brückenprojekt blieb aber nicht auf Nepal beschränkt: Helvetas rief 2009 die Süd-Süd-Kooperation (South-South-Cooperation-Unit, kurz SSCU) ins Leben, um das Wissen und die Erfahrung über die Grenzen von Nepal hinaus weiterzugeben. Die nepalesische Expertise soll so Millionen von Menschen in anderen Ländern des Globalen Südens den Zugang zum ländlichen Raum erleichtern.

Süd-Süd-Kooperation
Seit der Gründung der SSCU im Jahr 2009 hat Helvetas Nepal den Brückenbau in Bhutan, Tansania, Äthiopien, Indonesien, Laos, Burundi, Honduras, Guatemala unterstützt. Weiter hat Helvetas Nepal auch Machbarkeitsstudien für Brücken in Vietnam, Ruanda und Kamerum durchgeführt.Bild: Helvetas

Wie Pasang Sherpa zum Brückenbauer wurde

Einer der ersten nepalesischen Brückeningenieure in Äthiopien war Pasang Sherpa. Der Nepalese ist bereits seit 26 Jahren im Brückenbausektor tätig.

Pasang ist im Distrikt Solukhumbu, im Osten Nepals, mit drei Brüdern und vier Schwestern aufgewachsen. Zum Brückenbauer wurde er aufgrund persönlicher Erfahrung, wie er gegenüber watson erklärte: Sein Vater, der als Koch gearbeitet hatte, habe auf dem Arbeitsweg stets einen grossen Fluss überqueren müssen – den Solu Khola. Dieser sei lediglich über eine hölzerne Brücke ohne Geländer passierbar gewesen. Pasang erzählt:

«Wir machten uns jedes Mal grosse Sorgen, wenn er diese Brücke überqueren musste.»

Sein Vater habe hart gearbeitet und sei oft erst spätnachts nach Hause gekommen. Teilweise stundenlang hätten er und seine Familie durch die Fenster nach ihm Ausschau gehalten und ängstlich auf seine Ankunft gewartet. Für den kleinen Jungen eine so prägende Erfahrung, dass er sich bereits damals vornahm, Ingenieurwesen zu studieren, um eines Tages eine sichere Brücke über den Solu Khola errichten zu können.

Pasang Sherpa auf Brücke in Äthiopien
Pasang Sherpa beim Brückenbau in Äthiopien.Bild: helvetas /simon opladen

Nach seinem Studium liess sich Pasang 1996 von Helvetas zum Brückenbauer ausbilden. Seither hat er in Nepal Dutzende von Brücken gebaut und dabei auch sein in der Kindheit gesetztes Ziel erreicht: Über den Solu Khola führt heute eine stabile, sichere Brücke.

Als Pasang hörte, dass Helvetas Rahmen der SSCU nepalesische Ingenieure ins Ausland versendet, meldete er sich. 2009 reiste er erstmals nach Äthiopien und ist seither mehrere Monate pro Jahr in Äthiopien, um den Bau diverser Brücken zu begleiten und zu unterstützen.

Brücke in Äthiopien. Pasang Sherpa von Helvetas
Pasang Sherpa bei der Arbeit mit seinen äthiopischen Kollegen. Nebst Äthiopien unterstützt er auch den Brückenbau in Burundi.Bild: helvetas /simon opladen

Harte Arbeit, die belohnt wird

Sowohl in Nepal als auch in Äthiopien ist der Brückenbau mit ähnlichen Herausforderungen verbunden. Baumaterial für die Brücken muss oftmals über weite Distanzen transportiert werden, erzählt Pasang. Die Arbeit ist hart, doch die lokale Bevölkerung packt mit an. So bildet sie etwa lange Menschenketten, um tonnenschwere Stahlseile zur Baustelle zu tragen. Beobachtungen und Erfahrungen, die Pasang berühren:

«Wenn eine Brücke fertig ist, dann fühle ich nicht nur eine grosse Zufriedenheit, sondern bin auch beeindruckt, wie die Menschen an der Brücke mitgearbeitet und alle Schwierigkeiten überwunden haben. Wenn ich sehe, wie glücklich und zufrieden die Menschen über die Brücken sind, macht mich das sentimental.»

Wenn der Nepalese spricht, hört man den Stolz in seiner Stimme:

«Wenn ich eine fertige Brücke sehe, dann realisiere ich auch: Das ist etwas, das ich getan habe. Ich habe eine Gemeinschaft unterstützt, die zuvor isoliert war.»
Genet Kessie on the newly built Bridge by helvetas in Ziquala Ethiopia.
Genet Kessie vor der erwähnten Schlucht in Ziquala, über die seit dem Juli 2023 eine Brücke führt. Ihre Kinder müssen auf dem Weg zur Schule nur noch diese Brücke überqueren und Kessie kann ihre Ware einfacher am Markt verkaufen.Bild: Helvetas
Brücke in Äthiopien
Von der 75 m langen Brücke in Ziquala profitieren 2000 Haushalte. Davor mussten die Leute einen Umweg von über einer Stunde bis zur nächsten Brücke unter die Füsse nehmen, um die Schlucht zu passieren. Bild: helvetas /simon opladen

Dank der Brücken können Menschen ihre Ziele endlich rechtzeitig erreichen, erzählt Sherpa weiter. Kinder sind pünktlich in der Schule, Bauern und Bäuerinnen können ihre geernteten Früchte verkaufen, bevor sie zu faulen beginnen und schwangere Frauen oder Kranke erreichen das Spital in Notfällen in kurzer Zeit. Pasang betont:

«Die Brücke rettet auch Leben.»

Wieso auch kulturell Brücken gebaut werden

Der Brückenbau in Äthiopien geht aber weit über den technischen Wissensaustausch hinaus. Pasang ist auch an einem kulturellen und sozialen Austausch interessiert. Sein äthiopischer Kollege Sewnet Assegu kann das bestätigen. Pasang spricht mittlerweile gut Amharisch – eine der offiziellen Sprachen Äthiopiens – und ist Teil der äthiopischen Gemeinschaft geworden. Wie die beiden erzählen, gehört Pasang quasi zu Swenets Familie, wird zu Hochzeiten eingeladen und hat den amharischen Namen «Maru» erhalten, der übersetzt «süsser Honig» bedeutet.

Brücke in Äthiopien Helvetas
Sewnet Assegu und Pasang Sherpa auf einer fertiggestellten Brücke in Äthiopien. Die beiden sind mehr als nur Arbeitskollegen – sie sind Freunde.Bild: helvetas /simon opladen

Vor einigen Wochen war Pasang erneut in Äthiopien und hat dabei auch seinen Freund Sewnet wieder gesehen. Gemeinsam besuchten sie zwei Brücken in der Amhara-Region: die im letzten Jahr fertig gestellte Brücke in Ziquala und die sich zu diesem Zeitpunkt noch im Bau befindende Brücke in Goja. Die erste Brücke wird von 2000 Haushalten, die zweite Brücke von 9000 bis 10'000 Haushalten genutzt.

Die seit 2009 laufende nepalesische Unterstützung in Äthiopien zahlt sich aus: Immer mehr lokale Auftragnehmer und Berater werden selbst zu Brückenexperten wie Pasang einst. Und immer mehr Menschen in Äthiopien können sich gefährliche Schluchtüberquerungen und zeitintensive Umwege sparen.

Pasang Sherpa hätte sich wohl nie erträumt, dass er dereinst nicht nur in seinem Heimatdorf, sondern über die Dorf- und Landesgrenzen hinweg Brücken bauen wird – und dabei auf dem afrikanischen Kontinent eine zweite Familie findet.

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10 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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cereza
07.07.2024 18:12registriert Februar 2023
Danke für diesen tollen Bericht, der gut aufzeigt, dass Entwicklungshilfe nicht wie immer wieder behauptet per se überflüssig/schädlich ist, sondern durchaus Gutes bewirken kann.
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