Mit dem Angriffskrieg von Russland in der Ukraine sind Debatten über die Schweizer Neutralität so präsent wie schon lange nicht mehr. So wird der Begriff der Neutralität auch immer wieder genannt, wenn es um Hilfe für die Ukraine geht. Während sich das Parlament etwa dafür aussprach, sich den Sanktionen der EU gegen Russland anzuschliessen, hält man sich sonst weitgehend aus dem Konflikt heraus.
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Mit dieser Haltung sind einige Parteien allerdings nicht zufrieden. So etwa die GLP. Diese spielt mit dem Gedanken, sich für Waffenlieferungen an unterdrückte Kriegsparteien einzusetzen – als erste Partei der Schweiz.
Zu den aktivsten Politikern, die sich für eine solche Änderung aussprechen, gehört der Aargauer Nationalrat Beat Flach. Dieser fand gegenüber der «NZZ am Sonntag» klare Worte zur aktuellen Regelung bezüglich der Neutralität. «Ich kann nicht verstehen, dass wir einer aufstrebenden Demokratie in Europa, die sich auf ihrem Territorium verteidigen muss, keine Waffen liefern, während wir das bei Ländern, die unsere Werte in keiner Art und Weise teilen, immer wieder tun», kritisiert Flach.
1907 verpflichtete sich die Schweiz gemäss dem Haager Abkommen, sich nicht an bewaffneten Konflikten zu beteiligen. So darf sie derzeit Kriegsparteien weder mit Truppen, noch mit Waffen unterstützen. Doch dieses Abkommen sei nun langsam überholt, kritisiert Flach. Er spricht von einem «musealen Stück», das nach langer Zeit neu interpretiert werden solle.
Flach liefert gleich selbst einen Vorschlag, wie der Waffenexport gehandhabt werden könnte. «Ich will Rüstungsexporte zulassen, wenn sich eine Demokratie auf dem eigenen Territorium verteidigen muss», sagt er. Waffen sollen zudem nur noch an Demokratien geliefert werden, welche die Menschenrechte respektieren.
Innerhalb der eigenen Partei erhält Flach für seine Ideen Rückendeckung. Auch Fraktionschefin Tiana Angelina Moser sprach sich dafür aus, den Begriff der Neutralität neu zu interpretieren. Sie ist ebenfalls der Ansicht, dass unter strengen Rahmenbedingungen Rüstungsgüter an Demokratien geliefert werden sollen. Und auch Parteipräsident Jürg Grossen kritisiert, das Haager Abkommen sei mittlerweile «überholt».
Mit dieser Haltung stellt sich die GLP etwa gegen die Begriffsdefinition der Neutralität, welche Christoph Blocher fordert. Auch der ehemalige SVP-Bundesrat hatte das Verhalten der Schweiz im Ukraine-Konflikt kritisiert und gefordert, den Begriff der Neutralität besser zu definieren. Blocher fordert allerdings eine integrale Neutralität, welche sämtliche Teilnahmen an bewaffneten Konflikten – also auch wirtschaftliche Sanktionen – verhindern soll. Für eine solche Begriffsauslegung will der Altbundesrat eine Initiative lancieren.
Doch nicht nur im Lager der SVP scheint die GLP mit ihrer Idee auf Gegenwehr zu stossen. Auch andere Parteien äusserten sich dem Vorschlag Flachs gegenüber kritisch. «Das wäre ein totaler Richtungswechsel, wir würden uns dadurch an Kriegen beteiligen», sagte Mitte-Politikerin Ida Glanzmann gegenüber der «NZZ am Sonntag» dazu. SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf begrüsste zwar den Vorschlag, nur noch Waffen in Demokratien Europas zu liefern, sprach sich aber gegen Exporte in Konfliktländer aus. Und auch FDP-Präsident Thierry Burkart ist der Ansicht, dass direkte Waffenlieferungen an Kriegsländer keine gute Idee seien.
Die Diskussionen über den Neutralitäts-Begriff werden derweil wohl nicht nur Bund und Parlament beschäftigen. Auch weitere Politiker neben Blocher setzen sich dafür ein, dass es bald zu einer Abstimmung über eine Definition kommen könnte. «Der Krieg in der Ukraine zwingt uns dazu», so FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann gegenüber der «SonntagsZeitung». Er habe deshalb bereits einen Antrag in der aussenpolitischen Kommission durchgebracht, dass diese von sich aus gesetzgeberisch tätig wird.
Das Ziel soll aber sein, dass am Ende das Volk darüber abstimmen darf. «Die Neutralität gehört zur DNA der Schweiz, deshalb braucht es eine Volksabstimmung.» (dab)
gibt jedem Mitgliedstaat das Recht, sich gegen einen bewaffneten Angriff zu verteidigen. Es ist die
Frage erlaubt, ob bei einem völkerrechtswidrigen militärischen Angriff die Unterstützung zur
Selbstverteidigung verwerflicher ist als die indirekte Begünstigung des Aggressors durch unterlassene Hilfe an den Angegriffenen.