Als der ehemalige Armeechef André Blattmann 2014 erzählte, er horte als Notvorrat 300 Liter Mineralwasser, Holz und Konserven, prasselte eine Welle des Spotts auf ihn nieder. «Jetzt ist der Chef der Armee übergeschnappt», schrieb SP-Nationalrat Cédric Wermuth auf Twitter.
Acht Jahre später spottet niemand mehr. Coronapandemie und Krieg in der Ukraine haben das Lebensgefühl der Menschen in den westlichen Gesellschaften verändert. Wir erleben gerade das Ende der alten Gewissheiten: Jahrzehntelang hielten wir es für selbstverständlich, dass Wasser, Nahrungsmittel und Strom jederzeit und überall verfügbar sind. Genauso wie Sicherheit, Freiheit und Wohlstand.
Heute müssen wir zur Kenntnis nehmen: Alles ist zerbrechlich geworden. Das Sicherheitsgefühl hat sich verändert. 2022 scheint es unklarer denn je, ob sich die Schweiz im Ernstfall isoliert verteidigen könnte. Das Land, das seit dem Sonderbundskrieg von 1847 weder in einen Bürger- noch Verteidigungskrieg verwickelt war, diskutiert über eine Annäherung an das westliche Militärbündnis Nato.
Die klassische Neutralität wird überdacht. Im Zentrum steht die Frage: Kann sich ein neutrales Land wirklich heraushalten, wenn ein autoritäres Regime eine Demokratie angreift?
Gefährdet ist auch die Freiheit, ein grundlegender Wert im Selbstverständnis westlicher Gesellschaften. Die Coronapandemie hat uns vor Augen geführt, wie schnell sie weg sein kann. Die Ereignisse in den USA sind ein weiteres Warnsignal: Beinahe hätte der Sturm auf das Kapitol die älteste Demokratie der Welt – es gibt sie seit 1776 – gekippt. Und Russlands Krieg gegen die Ukraine ist ein Angriff auf die Demokratien.
Selbst der Wohlstand ist nicht mehr garantiert. Die Inflation ist so hoch wie letztmals in den 1980er-Jahren – in Deutschland bei 7.8 und in der Schweiz bei 3.4 Prozent. Frühindikatoren deuten auf einen globalen Abschwung hin. Das hängt mit dem Schwächeln der drei Volkswirtschaften USA, China und EU zusammen. Es folgten «zunehmend düstere Entwicklungen im Jahr 2022», steht im neusten Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die NZZ schreibt: «Die Party vorbei – jetzt brechen harte Zeiten an.»
Diese neuen, harten Zeiten zeichnen sich aus durch Volatilität, Unsicherheit und Komplexität. Das zeigt sich exemplarisch an Wladimir Putins hybridem Krieg: Er geht militärisch gegen die Ukraine vor, verteuert weltweit die Nahrungsmittel und setzt Europa unter Druck, indem er den Gashahn immer stärker zudreht. Dazu kommen Cyberattacken, Lügen- und Desinformationskampagnen. Sie sorgen für Verwirrung.
Putin betreibe damit Macht- und Geopolitik, wolle gemeinsam mit China und Indien ein Gegenmodell zur westlichen Welt schaffen, sagt der Thinktank Swiss Institute for Global Affairs.
Ist die Schweiz auf solch unsichere Zeiten vorbereitet? Nur teilweise. Probleme gibt es in der Früherkennung von Krisen. Das zeigte sich in der Energiekrise und beim Ukraine-Krieg. Die Versorgungssicherheit bei der Energie war schon ein Thema vor dem Krieg. Politik und Wirtschaft schoben sich aber die Verantwortung gegenseitig zu. Und Russlands Invasion in der Ukraine überraschte den Bundesrat: Er hatte weder Vorbereitungen zur Sanktionspolitik getroffen noch zur Rolle der Neutralität.
Der Regierung fehlt ein strategisches Organ, das Bedrohungen in ihrer Gesamtheit antizipiert. Unabhängig davon macht auch der Bundesrat selbst keine gute Figur. Er wirkt zerstritten, mit Intrigen beschäftigt und im Departementsdenken verhaftet. Vor allem nimmt er das EU-Dossier nicht entschieden an die Hand. Das ist strategisch fahrlässig. Gute Beziehungen zur EU sind viel wichtiger geworden, seit sich die Welt geopolitisch in zwei Blöcke spaltet: den demokratischen Westen und sein autokratisches Gegengewicht.
Die Schweiz darf trotzdem optimistisch in die Zukunft blicken. Das hat zwei Gründe. Erstens ist die direkte Demokratie ein Erfolgsmodell. Sie hat sich in den letzten 172 Jahren als ausserordentlich zäh und widerstandsfähig erwiesen. Entscheide sind breit abgestützt und werden breit getragen. Obwohl sie Zeit benötigen, lässt das System doch zu, in Krisen und bei Druck von aussen überraschend schnell zu reagieren. Zweitens hat die Bevölkerung in der Pandemie in ihrer überwältigenden Mehrheit bewiesen, dass sie Krise kann.
Klar ist aber auch: Mit einem nach aussen geeinten Bundesrat fiele alles leichter. (aargauerzeitung.ch)
Leider geht es stramm Links wie Rechts meist nur darum, den politischen Gegner lächerlich zu machen und bei den Wählern mit provokanten Aussagen zu punkten. Probleme zu lösen, hat keine Priorität.