Sie ist bereits die zweite Nationalratspräsidentin aus dem Aargau, die seit Kriegsausbruch in die Ukraine gereist ist. Nach Irène Kälin (Grüne) vor drei Jahren hat diese Woche Maja Riniker (FDP) den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Mitglieder des Parlaments getroffen. Auch besuchte sie Schweizer Hilfsprojekte in Charkiw. Die Stadt liegt im Osten des Landes. Die Kriegsfront ist dort nur knapp 100 Kilometer entfernt. In den letzten Tagen haben die Russen die Angriffe deutlich intensiviert.
Während Sie in der Ukraine waren, führte Russland die heftigsten Angriffe seit Kriegsbeginn gegen das Land. Haben Sie davon etwas mitbekommen?
Ja, es gab immer wieder sogenannte Air Alerts, also Warnungen, dass es Raketenangriffe gibt. Am Montag war es noch sehr ruhig. Als wir am Dienstag in der Region Charkiw waren, gab es dann wiederholt Drohnenangriffe. Bei unserer letzten Station in Winnyzja wurde ich um halb zwei in der Nacht geweckt und musste für zwei Stunden in einen Luftschutzbunker.
Haben Sie sich sicher gefühlt während Ihrer Reise?
Immer. Die allermeisten Treffen fanden in sicheren Gebäuden, zwei Stockwerke unter der Erde statt. Gleichzeitig wussten wir, dass wir nur in Regionen sind, in denen es zumindest einigermassen sicher ist. Natürlich: Das ist nicht vergleichbar mit einem Spaziergang auf dem Gurten, aber Angst hatte ich nie. Was man aber nicht vergessen darf: Für die Zivilbevölkerung dauert dieser Zustand nun schon fast vier Jahre an. Das ist eine enorme Belastung.
Die Lage in der Ukraine ist seit längerem angespannt. Warum wollten Sie trotzdem dorthin?
Es geht um Solidarität. Innerhalb von Europa sind wir dazu verpflichtet, einander beizustehen. Zudem hat mich Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk bei seinem Besuch vor einem Jahr zu einem Gegenbesuch eingeladen. Zudem war es mir wichtig, ein detailliertes Bild der Schweizer Beiträge vor Ort zu erhalten.
Sie haben auch den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj getroffen.
Er hat bereits im ersten Satz der Schweiz gedankt für die grosse Unterstützung, die wir leisten. Und ich bin auch dankbar, dass er mich empfangen hat.
Als Schweizerin in offizieller Mission muss man in der Ukraine immer auch schlechte Nachrichten überbringen, da die Schweiz keine Waffen liefert. War das Thema?
Ja, das war mehrfach Thema. Aber dann habe ich in zwei Sätzen die Haltung der Schweiz und unsere Neutralitätspolitik erklärt, und dann war die Sache auch wieder erledigt. Ohne böses Blut. Ich würde auch nicht sagen, dass ich schlechte Nachrichten überbringen musste. Die Dankbarkeit der Schweiz gegenüber ist enorm. Die Schweizer Hilfe im Land ist auch sehr sichtbar. Wir leisten da wertvolle Arbeit und werden dafür geschätzt.
Ebenfalls will die Schweiz bei der Vergabe des Schutzstatus S restriktiver werden: Geflüchtete aus «sicheren» Gebieten sollen keinen Schutz mehr erhalten. Wurden Sie darauf angesprochen?
Das war kein Thema. Ich möchte aber auch betonen, dass ich sehr beeindruckt war von der Resilienz der Ukrainer und Ukrainerinnen. Die wollen bleiben. Die kümmern sich aufopfernd um die Binnenflüchtlinge in ihrem Land. Und selbst die, die ihre Heimat verloren haben, etwa in Mariupol, wollen trotz allen Widrigkeiten in der Ukraine bleiben.
Sie haben die Rolle der Schweiz als Vermittlerin ins Spiel gebracht. Russland bezeichnet uns weiterhin als nicht neutral und lehnt die Schweiz als Vermittlerin ab. Haben Sie Hoffnung, dass es doch noch klappen könnte?
Ich war in der Ukraine und nicht in Russland, deshalb kenne ich die russische Perspektive dazu nicht. Die Schweiz setzt sich ein für einen nachhaltigen und gerechten Frieden auf der Grundlage der UN-Charta und steht mit ihren Guten Diensten zur Verfügung.
Sie haben auch Schweizer Hilfsprojekte besucht. Welche?
Wir haben beispielsweise eine Schule besucht, die ein bisschen wie ein Lehrbetrieb funktioniert. Dort werden Menschen als Sanitär, Elektriker und in anderen Berufen ausgebildet, die für den Wiederaufbau wichtig sind. Oder: In der Region Charkiw sind bei vielen Häusern die Fenster zerstört. Ein Schweizer Projekt hat da schon über 12’000 Fenster ersetzt. Hergestellt in der Ukraine. So sind die Wohnungen auch im Winter bewohnbar. Zudem flicken sie beispielsweise auch Wasserleitungen. Jeder Franken, den die Schweiz in diese Projekte investiert, ist ein wertvoller Beitrag.
Vor rund einem Jahr hat die Schweiz die Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock organisiert. Damals flackerte ganz leise Hoffnung auf Frieden auf, mittlerweile hat sich diese aber leider verflüchtigt. Wurden Sie auf die Konferenz angesprochen?
Ja. Und nicht nur auf diese. Auch auf die Recovery-Konferenz in Lugano. Die erste fand bereits kurz nach Kriegsausbruch 2022 statt. Beide Konferenzen sind den Menschen in der Ukraine noch sehr präsent und prägen das Bild der Schweiz. Das darf auch mal betont werden: Der Bundesrat tut sehr viel Gutes für die Ukraine.
Was nimmt man menschlich mit von so einem Besuch in einem kriegsversehrten Land?
Natürlich macht das etwas mit einem. Das Ausmass der Zerstörung hat mich getroffen. Gleichzeitig hat mich der unbedingte Wille der Menschen beeindruckt. Wie sie allen Widrigkeiten zum Trotz ihr Land verteidigen. Es ist eine elende Situation, und doch ist da so viel Stärke. Das hat mich tief berührt.
Gibt es einen Moment, der Sie besonders berührt hat?
Eine Begegnung mit zwei Personen, die nach Kriegsverletzungen im Rollstuhl sind. Dank einem Schweizer Hilfsprojekt konnten ihnen etwa Rampen in die Wohnung gebaut werden, damit sie diese wieder verlassen und am sozialen Leben teilnehmen können. Oder die Schulprojekte, die die Schweiz aufgebaut hat. Dank diesen können Kinder nach vielen Jahren, nach dem Fernunterricht aufgrund der Covid-Pandemie und dann dem Angriffskrieg wieder in die Schule, treffen ihre Freundinnen und Freunde und haben einen Platz zum Spielen. Das gibt Hoffnung und Zuversicht in den dunkleren Momenten.
Wer in die Ukraine reist, begreift auch, wie nahe dieser Krieg ist.
Das ist so. Der Krieg ist sehr nah. Wir müssen uns auch im Klaren sein: Die Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen jeden Tag an der Front auch für uns in Europa, für unsere gemeinsamen Werte. Da verlieren jeden Tag einige Soldaten das Leben – auch für uns. Ich stand auf dem Maidan-Platz, wo für jeden Gefallenen ein Fähnchen weht. Das sind Tausende Das hat mich mitgenommen. Wir sind zur Solidarität verpflichtet.
Und gleichzeitig könnten wir, wie Dänemarkt, unsre komplette Artillerie spenden.
Wenn die russen nämlich in Schussweite sind, haben wir eh verloren, aber in der Ukraine könnte das Zeug tatsächlich helfen.
Da die russen uns sowieso schon als Feind betrachten, spielt das auch keine Rolle mehr.