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Barack Obama: So war der Abend mit ihm in Zürich

Inspiring! So war der Abend mit Barack Obama

30.04.2023, 02:3330.04.2023, 13:01
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Jetzt sitzt er also da, im Hallenstadion mitten in Oerlikon, der 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, und plaudert aus dem Nähkästchen: «Ich bin hinter den Kindern und meiner Frau aktuell der viertbeliebteste Obama – gerade noch so knapp vor dem Hund», gibt er zu bedenken. Knapp 10’000 Besucher lachen herzhaft. Es ist nicht das erste Mal an diesem Abend. Barack Obama hat Zürich im Griff.

Das Feuilleton hatte ihm im Vorfeld zu «An evening with President Barack Obama» den Stempel «Politik-Rockstar» aufgedrückt. Etwas nüchterner hätte man ihn auch den letzten amerikanischen Präsidenten nennen können, der das Gefühl von Souveränität und Sicherheit vermittelte. Wenigstens hier im Westen. In Pakistan, Jemen und Somalia sieht man das vermutlich anders.

Supporters of Barack Obama wait outside the Hallenstadion, Saturday, 29 April 2023, in Zurich, Switzerland. On Saturday evening, former US President Barack Obama will appear in Switzerland for the fir ...
Ihre Vorfreude wurde nicht getrübt: die Democrats Abroad vor dem Zürcher Hallenstadion.Bild: keystone

Seit Obamas Präsidentschaft ist viel geschehen. Die Welt ist in eine Polykrise geschlittert. Und am Drücker des mächtigsten Landes der Welt war zum einen eine unberechenbare Flitzpiepe und zum anderen ein Methusalem, von dem man einfach nur hofft, dass er beim Herabsteigen einer Treppe nicht vergisst, sich am Handlauf festzuhalten.

«Demokratie in der Krise» ist denn auch eines der Themen des Abends – neben dem Klimawandel, Obamas Leben als Ex-Präsident (ohne Anonymität), seiner Foundation, seinem grössten Sieg (Obamacare) und seiner grössten Niederlage (das Versagen bei den Waffengesetzen). In seiner typischen Art doziert er mit sorgfältig gewählten Worten; nicht von der Kanzel herunter, aber mit väterlicher Leidenschaft. Man merkt ihm das Alter langsam an. Mit 61 Jahren ist er nicht mehr so energetisch wie bei seiner berühmten 17-Minuten-Rede am Parteitag der Demokraten 2004. Dank dieser avancierte er damals schlagartig zum politischen Superstar. Heute spricht er langsamer, angenehm langsam, darf man sagen, und schiebt zum Teil längere Pausen ein: «Das ist ein Zeichen dafür, dass ich zuerst nachdenke, bevor ich spreche», gibt er zu bedenken. «Leider tun das nicht alle Politiker so.» Gelächter. Again.

Obamas Rede 2004

Eins ist geblieben: Das Publikum frisst ihm noch immer aus der Hand – auch wenn die Anekdoten zu Beginn des Abends ein My zu lange und zu detailliert ausfallen. Das liegt auch daran, dass Moderator Klaas Heufer-Umlauf nie interveniert. Im Vorfeld hatte seine Besetzung für Stirnrunzeln gesorgt. Doch aus der ehemaligen TV-Ulknudel ist ein knallharter Medienprofi geworden, der genau weiss, wo sein Platz ist. Und an diesem Abend ist er bloss Stichwortgeber.

So erfahren die gebannten Zuschauer, dass Obama nach seinem grössten Sieg mit seinem Team ein paar Vodka-Martinis hinunterstürzte – und das, obwohl er während seiner Amtszeit unter der Woche eigentlich abstinent lebte. Sie erfahren, dass künstliche Intelligenz für demokratische Gesellschaften sowohl Fluch als auch Segen sein können, und dass er nach seiner Aktivzeit als Spieler im Politik-Game nun ins Traineramt gewechselt habe. Seine neue Aufgabe sei es, junge aufstrebende «Leader» zu coachen: «Obwohl ich es selbst auch immer noch draufhätte!»

Erneutes Gelächter.

Jetzt hat sich Obama warm geredet. Die Länge der Storys nimmt ab, dafür steigt die Qualität der Pointen. Die Balance zwischen mahnenden Worten (liberale Demokratien befinden sich im Kampf gegen autoritäre Regimes) und Aussicht auf Besserung (Künstliche Intelligenz könnte der Schlüssel im Kampf gegen Krebs sein) stimmt perfekt. Dieser Mann hat das unheimliche Talent, auch noch so verstrickte Problemknäuel als entwirrbar darzustellen. Seine Erkenntnisse sind dabei bei Weitem nicht neu – oder gar überraschend. Aber Worte haben ein anderes Gewicht, wenn sie ein Barack Obama sagt. Denn er sagt sie besonnen, ruhig – und trotzdem sind Feuer und Leidenschaft noch deutlich spürbar.

Der Funke springt nun endgültig über. Natürlich hat Obama Charisma. Aber fast noch wichtiger ist an diesem Abend dieser unglaublich aufbauende Vibe. «Inspiring» – «inspirierend», hört man am Ende in den Gängen des Hallenstadions mehrfach. Das steht so quer zur aktuell dominierenden Tonalität, die von Misstrauen, Provokationen und Schuldzuweisungen geprägt wird. Es tut gut zu wissen, dass auch die andere Seite noch existiert: die selbstironischen und eloquenten, emotional intelligenten und reflektierten Menschen an den Schalthebeln der Macht. Wenn auch nicht als Spieler, dann wenigstens als Coach.

Nur schon diese Erkenntnis dürfte viele Besucher darüber hinwegtrösten, dass sie im Schnitt mehr als hundert Franken für ein Ticket ausgaben. Dafür haben sie den 44. Präsidenten der USA eine Stunde lang live gesehen – und wissen nun ein für alle Mal: Yes, we can!

Dieser Österreicher Comedian läuft wie die Staatschefs dieser Welt

Video: watson/lucas zollinger
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116 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Pasionaria
30.04.2023 05:13registriert Februar 2016
Martin Naville, USA-Kenner und Chef der Swiss American Chamber Of Commerce in Zürich, bringt es auf den Punkt: Obama ist einer der ethisch saubersten Präsidenten der US-Geschichte, einer der weltbesten Kommunikatoren und ein genialer Typ!
Wann wohl folgt wieder solch eine Persönlichkeit auf den US-Präsidentensessel.
Nichts solches weit und breit in Sicht, sehr, sehr traurig, ja beängstigend!
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Epignosi
30.04.2023 08:34registriert Mai 2016
Schön, ich habe ein neues Wort gelernt. "Flitzpipe"! Allerdings für den gemeinten Adressat viel zu schwach. Die Unmöglichkeit vernünftige Waffengesetze in den USA durch zu bringen darf NICHT Obama angelastet werden. Das Problem liegt bei den rechten Demokratiezerstörer, die nicht zu Gunsten des Landes agieren. Denen es NUR um die eigene Macht geht, koste es was es wolle. Davon haben wir auch hier. Im Übrigen denke ich Obama sollte seinem Job als Coach noch viel mehr Zeit widmen. Nichts gegen Biden, aber ein jüngerer hätte vielleicht doch ein bisschen mehr Kraft zum lösen der vielen Probleme!
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dorfne
30.04.2023 09:40registriert Februar 2017
Obama hat viele Versprechen nicht eingehalten. Soziale Verbesserungen und Infrastrukturprojekte hätte er mindestens zum Teil mit Dekreten an den Reps vorbeischleusen können. Genau das was Biden jetzt tut. Aber statt ihn zu würdigen, macht man sich lieber über sein hohes Alter lustig.
2012
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