Die Schlagzeile war diese Woche auf vielen Webseiten zu lesen: «Ivermectin doch wirksam». Die angebliche Nachricht über die Wirksamkeit des Arzneistoffs Ivermectin nahm am Montag ihren Lauf, verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die sozialen Medien und wurde gar von einem Schweizer Journalisten bei «Inside Paradeplatz» aufgegriffen.
Die Sache hat aber einen grossen Haken: Die Studie ist von hinten bis vorne irreführend. Wir haben untersucht, wie aus einer vagen Medienmitteilung eine Falschmeldung wurde.
Am 1. Februar 2022 veröffentlichte Inside Paradeplatz einen Artikel, in dem gestützt auf eine Reuters-Agenturmeldung behauptet wird:
Ähnliche Behauptungen gab es auch auf anderen Nachrichtenportalen weltweit. Die Reuters-Meldung wurde unter anderem von Alarabiya, Jerusalem Post, RT Deutsch (ehemals «Russia Today») und vom österreichischen Wochenblick aufgenommen. Die Links zu den Berichten wurden auf Twitter, Facebook und Co. tausendfach geteilt.
Sämtliche Berichte stützen sich auf den Artikel von Reuters. Die international tätige Nachrichtenagentur veröffentlichte am 1. Februar 2022 einen Artikel mit dem Titel «Japanische Firma Kowa sagt: Ivermectin wirkt gegen Omikron in Phase-III-Studie».
Reuters gab als Quelle ihrer Information die Medienmitteilung des Unternehmens Kowa an. Diese Presseaussendung vom 31. Januar 2022 gab es tatsächlich, sie sagte aber eigentlich etwas anderes aus:
Die Unterscheidung zwischen präklinisch und klinisch ist wichtig, weil sie etwas über den Forschungsfortschritt aussagt. Bis ein Medikament zugelassen wird, muss es in der Regel fünf Phasen durchlaufen. In der präklinischen Phase versucht man erste Vermutungen aufzustellen. Die Tests dazu passieren entweder in vitro oder in vivo – also nicht am lebenden Menschen, sondern in der Petrischale, einzelnen Zellen oder Tieren.
Phase | Ziel | Probandengrösse |
---|---|---|
Vor-klinisch |
Wirksamkeit, Toxizität und Pharmakokinetik | Keine Menschen (nur in vitro, in vivo) |
Phase 0 |
Verträglichkeit, Pharmakokinetik und -dynamik | wenige gesunde, oder kleine Auwahl von Menschen |
Phase I |
Verträglichkeit, Pharmakokinetik und -dynamik | wenige gesunde, oder kleine Auwahl von Menschen |
Phase II |
Wirksamkeit, Dosierungsrahmen und Sicherheit | wenige hunderte Menschen mit einer Erkrankung |
Phase III |
gross angelegte Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit | hunderte bis tausende Menschen mit einer Erkrankung |
Phase IV |
Therapeutische Anwendung: Nachverfolgung nach Zulassung | unerschiedlich |
Kowa konnte also nur bestätigen, dass Ivermectin ein Kandidat als mögliches Medikament für Omikron-Erkrankte sein könnte, weil es antiviral wirkt. Wie es zu diesem Schluss kommt, verrät das Unternehmen aber nicht – was die Mitteilung ziemlich inhaltslos macht. Eine 90-prozentige Alkohollösung oder Bleichmittel würden nämlich ebenfalls Covid-Viren in einer Petrischale abtöten können.
Reuters erkannte den Fehler und berichtigte die Meldung: Aus «Ivermectin wirkt gegen Omikron in Phase-III-Studie» wurde «Ivermectin zeigt laut japanischem Unternehmen ‹antivirale Wirkung› gegen Covid». Im Text wurde zudem erwähnt, dass in einer ursprünglichen Version des Artikels «fälschlicherweise behauptet» die Wirksamkeit in klinischen Studien an Menschen (Phase III) bestätigt worden sei.
Damit bleibt unklar, ob Ivermectin zur Behandlung von Erkrankten verwendet werden kann. Andere vorliegende Studien bestätigen zwar präklinische Untersuchungen, Daten zu Menschenversuchen werden aber von Meta-Studien (diese und diese) und auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als nicht schlüssig bewertet.
Die Schweizer Zulassungsbehörde Swissmedic stellt daher in einer Stellungnahme zur Meldung aus Japan gegenüber watson fest: «Dies lässt noch keine Rückschlüsse auf eine Wirksamkeit beim Menschen zu.» Bevor ein Wirkstoff gegen das neuartige Coronavirus, der im Labor angeblich bei Zellkulturen wirkt, auch bei Menschen zur Behandlung der Covid-19-Krankheit eingesetzt werden könnte, seien noch weitere Erprobungen nötig. Nur mit anschliessenden ordentlichen klinischen Versuchen könne nachgewiesen werden, ob eine Substanz beim Menschen mehr Nutzen als Schaden verursacht, sagt Swissmedic-Sprecher Lukas Jaggi.
Das Schweizer Heilmittelinstitut lässt daher ihre aktuelle Empfehlung unverändert: «Wer Ivermectin unkontrolliert einnimmt, gefährdet seine Gesundheit.»
Die Behauptung ist irreführend.
Nach der aktuellen Studienlage bleibt unbelegt, dass Ivermectin ein effektives Arzneimittel gegen Covid-19 ist. Die Berichte zur Wirksamkeitsstudie zu Ivermectin der japanischen Firma Kowa sind irreführend oder inhaltlich falsch.
Die Forschungsgemeinschaft untersucht derzeit in zahlreichen Studien, wie gut Ivermectin gegen Coronaviren hilft. Ivermectin wurde ab den 1970er Jahren von Merck Pharmaceuticals in Zusammenarbeit mit dem japanischen Kitasato-Institut entwickelt und wird heute vor allem als antiparasitäres Tierarzneimittel (Entwurmungsmittel) verwendet. Das Kitasato-Institut ist der Vorgänger der Kitasato-Universität, die zusammen mit Kowa die erwähnte präklinische Studie durchgeführt hat.
Seit den 1980er Jahren wird es zudem teilweise Menschen verabreicht, die unter parasitären Infektionskrankheiten leiden. Bei falscher Anwendung kann Ivermectin tödliche Vergiftungen verursachen. Neben Swissmedic warnen auch andere Zulassungsbehörden daher vor der eigenmächtigen Einnahme.
Gegen Würmer, bei Rösser.