«Weisst du, mein Bruder, der ist jetzt 11 Jahre alt», sagt Isabel Hendrix, 24 Jahre alt, Amerikanerin und Studentin in der Schweiz. «Er wird unter einem Präsidenten gross werden, der an einer Uniparty eine Frau angepinkelt hat. Als Witz. Ich weiss wirklich nicht, was tun.»
Hendrix verfolgt die Wahlparty der US-Botschafterin Suzi LeVine im Kornhauscafé, sie starrt ungläubig auf die Screens, dorthin, wo gerade das Unerwartete verkündet worden ist. «So ignorant, dass wir alle nicht geglaubt haben, dass das passieren könnte», sagt Hendrix, «jetzt habe ich zum ersten Mal Angst vor der Zukunft.»
Fünf Stunden zuvor: Das Kornhauscafé ist bereits gut gefüllt, Hendrix steht mit drei Freundinnen vor der Sicherheitskontrolle, Jacke abgeben, Tasche scannen, nervöses Lächeln. Irgendwie seien sie jetzt doch ein bisschen angespannt, sagen die drei, aber Trump? «Nein, nein, kommt schon gut.»
Drinnen ist die Stimmung ausgelassen, eine Blue-Grass-Band spielt auf der Bühne, Weisswein verschwindet vom Buffet, Botschafterin Suzi LeVine schiebt sich zufrieden durch die Menge. «The more, the merrier», lobpreist einer ihrer Mitarbeiter das Gedränge. «It’s a great party.»
Auch LeVine ist zuversichtlich. Mit den Worten «Tonight’s gonna be a good night» begrüsst sie die Gäste, gute Laune für alle, ein euphorisches «Happy Birthday» für ihren Mann, der heute Geburtstag feiert. Alles ist schön. Noch.
Es ist nach 2 Uhr, Donald Trump gewinnt South Carolina und Alabama, keine Überraschung, im Kornhaus dröhnt John Lennons «Imagine» aus den Boxen, Burger und Pommes verschwinden in den Mäulern der Gäste. Hillary aus Karton in Lebensgrösse grinst breit und wird für Selfies zurechtgerückt. Was, wenn Trump gewinnt, Frau LeVine? «We just don’t know», sagt die Botschafterin, «unsere Wahlen waren immer umstritten.»
Karton-Hillary lacht noch. Alle anderen beissen sich die Lippen wund. #watsontour @watson_news pic.twitter.com/D6LlrQvds5
— Daria Wild (@dabladaria) 9. November 2016
Trump sichert sich Texas und Arkansas, Trump sichert sich Montana, Trump sichert sich Missouri.
Die Luft im Kornhaus wird immer mehr zum Schneiden, Botschafterin LeVine hat sich zurückgezogen, noch immer schauen rund hundert Gäste gebannt auf die Bildschirme. Trump sichert sich Ohio. Trump sichert sich Florida. «Ich kann nicht glauben, dass das passiert», sagt Hendrix.
Das will irgendwie niemand so recht, doch die Trinkvorlieben sprechen für sich. Kaffee hat Weisswein abgelöst, die Gäste schieben sich nervös rot-blau-weisse «Election»-M&Ms in die Münder. Karton-Clinton grinst noch immer breit, aber niemand rückt sie mehr für Selfies zurecht.
Trump gewinnt Ohio, Trump gewinnt North Carolina, Trump gewinnt Georgia und Utah. Frische Gipfeli und Kaffee verdrängen den Pommes-Geruch, Botschafterin LeVine verbreitet unerschütterlich gute Laune. «Waffles, anyone? Du hattest ja noch gar keine Waffeln, komm!» Trump holt sich Pennsylvania. «Keine gute Zeit für Interviews», sagt LeVines Sprecherin. «Es ist praktisch vorbei», konstatiert Hendrix und umarmt eine Freundin, LeVine betritt doch noch einmal die Bühne, sagt wieder: «Wir wissen nicht, was passiert. Wir wissen nur: Jede Stimme zählt. Polls wählen nicht, Menschen wählen.» Trump holt sich Pennsylvania.
Botschafterin Le Vine weg, Karton-Trump abgezügelt, Party fertig. Zum Schluss noch dies: #watsontour @watson_news https://t.co/vyG7LYeLCm
— Daria Wild (@dabladaria) 9. November 2016
Die Mienen im Kornhaus sind finster, die Kaffeemaschinen überlastet. Es ist hell geworden, das Café hat sich geleert, Karton-Hillary ist verschwunden, Botschafterin LeVine hat sich verabschiedet. Vereinzelt stehen noch Gäste herum, konsterniert, erschöpft, enttäuscht.
An einem runden Stehtischchen steht Jonathan, 23 Jahre alt, Amerikaner, Student in Winterthur. Jonathans Miene ist weit weniger besorgt als diejenige der anderen, auch er ist nicht zufrieden mit der Wahl. Aber «terryfied» wie Hendrix? Jonathan lächelt. «Ich habe keine Angst vor Trump.»