Spätestens im Juni hätte die Unterschriftensammlung starten sollen. So sah es der Zeitplan vor. In einer Woche ist Juni – und es herrscht noch nicht einmal Einigkeit darüber, wie die Volksinitiative ausformuliert sein soll.
Anfang November 2021 kündigten die Grünen und die Operation Libero gemeinsam die Lancierung eines Volksbegehrens an. Es war eine Reaktion darauf, dass der Bundesrat fünf Monate zuvor die Verhandlungen mit der Europäischen Union über ein institutionelles Rahmenabkommen abgebrochen hatte.
Balthasar Glättli, der Präsident der Grünen, und Sanija Ameti, Co-Präsidentin der Operation Libero, erklärten: Die Volksinitiative solle den Bundesrat dazu verpflichten, mit der EU ein Vertragspaket auszuhandeln und dieses zusammen mit den bestehenden bilateralen Verträgen in einen institutionellen Rahmen zu fügen. Heikle Punkte wie die Rechtsübernahme und die Streitbeilegung müssten darin geregelt werden.
In der Folge arbeiteten die Grünen und die Operation Libero zwei Varianten für den Initiativtext aus. Grob gesagt lehnte sich der erste Entwurf relativ eng an das gescheiterte Rahmenabkommen an, während der zweite in allgemeinerer Form auf die Lösung der institutionellen Fragen bei der Teilnahme der Schweiz am europäischen Binnenmarkt abzielte.
Die Grünen erwogen, an ihrer Delegiertenversammlung vom kommenden August über den Initiativtext zu befinden. Dazu wird es wahrscheinlich aber nicht kommen.
Eine Einigung über den Text der Vorlage zu erzielen – das ist nur eines der Probleme. Das zweite ist die fehlende Unterstützung weiterer grossen Parteien und Organisationen.
Die SP und die Grünliberalen signalisierten anfänglich ihr Wohlwollen für eine Volksinitiative zur Europapolitik. Beide geben sich nun aber skeptisch.
Die Zurückhaltung der GLP erstaunt insofern, als Sanija Ameti im Vorstand der Kantonalzürcher Grünliberalen sitzt.
Jürg Grossen, der Präsident der Grünliberalen, sagt: Eine Volksinitiative an die Urne zu bringen, daure sehr lange. Und vielleicht habe man Ende nicht mehr als eine allgemein gehaltene Verfassungsbestimmung, welche die Europapolitik der Schweiz nicht wirklich weiterbringe.
Erfolgsversprechender ist nach Ansicht des GLP-Präsidenten der Weg, den das Bundesparlament einschlage: Der Nationalrat will ein Gesetz ausarbeiten lassen, das die Weiterführung und Erleichterung der Beziehungen der Schweiz zur Europäischen Union zum Ziel hat. Und auch ein Postulat, das vom Bundesrat die Prüfung eines EWR-Beitritts verlangt, ist von der grossen Kammer angenommen worden. «Das sind ermutigende Signale», meint Jürg Grossen.
Kein Wirtschaftsverband stellt sich bisher hinter die Idee einer europapolitischen Volksinitiative. Einzig der Verband der Schweizer Studierendenschaften ist vom Projekt angetan. Wäre es für die Grünen und die Operation Libero nun nicht besser, ihr Projekt zu beerdigen?
«Nein», sagt Sanija Ameti. Der Bundesrat unternehme nach Brüssel «eine Leerfahrt nach der anderen». Es bewege sich nichts in der Europapolitik; dabei brauche die Schweiz eine vertiefte Teilnahme am Binnenmarkt und weitere Marktzugangsabkommen. Die Beratungen über den Text der Volksinitiative würden weitergeführt.
Ameti deutet allerdings an: Wenn der Ständerat sich der neuen europapolitischen Ausrichtung des Nationalrats anschliesse, könne man darüber diskutieren, ob es die Volksinitiative noch brauche.
Und was sagt Glättli? Er verweist an den Generalsekretär der Grünen, an Florian Irminger. «Wir sind am Thema dran», sagt er. Die Grünen wollten die richtige Formulierung für den Initiativtext finden, die richtigen Partner – und den guten Zeitpunkt für die Lancierung der Vorlage. «Man muss nichts überstürzen.» (aargauerzeitung.ch)