EU-Migrationspakt: Die Schweiz könnte profitieren – doch von SVP und Linken kommt Kritik
Die Konstruktionsfehler des in den Dublinverträgen verankerten EU-Asylsystems sind bekannt: Weil stets die Erstaufnahmeländer für die Asylverfahren zuständig sind, haben Staaten an den Aussengrenzen wie Italien oder Griechenland mehr Lasten zu tragen als Binnenstaaten. Zehn Jahre haben die EU-Mitgliedstaaten um eine Reform gerungen, im Mai 2024 konnten sie sich endlich einigen. Die Schweiz ist an die Verträge von Schengen und Dublin assoziiert, deshalb betrifft sie diese Reform auch. Der Bundesrat unterstützt die Neuerungen. Er hat am Freitag die Botschaft verabschiedet – nun ist das Parlament am Zug. Im Falle eines Referendums könnte es im Juni 2026 zur Abstimmung kommen.
Was sind die Ziele der Reform?
Die EU will die Lasten der Asylverfahren besser verteilen. Zwischen den EU-Staaten wird deshalb ein Solidaritätsmechanismus etabliert, um jene Staaten zu entlasten, die eine besonders starke Asylmigration verzeichnen. Für die Schweiz als Nicht-Mitgliedstaat der EU ist der Solidaritätsmechanismus nicht bindend.
Zudem will die EU die Zahl der Asylgesuche reduzieren. Personen, die rechtlich keinen Anspruch auf Asyl haben und keinen Schutz benötigen, sollen schon an der EU-Aussengrenze von der Einreise abgehalten werden. Gleichzeitig sollen Fehlanreize beseitigt werden, damit Asylsuchende nicht unberechtigt innerhalb von Europa weiterwandern.
Welches sind die wichtigsten Inhalte des EU-Migrationspakts?
Trotz Solidaritätsmechanismus muss kein EU-Mitgliedstaat Asylsuchende aufnehmen. Möglich ist stattdessen, sich finanziell an den Kosten des Asylsystems zu beteiligen oder Fachleute zur Verfügung zu stellen.
Neu wird ein «Grenzverfahren» eingeführt: Asylgesuche von Personen aus Staaten mit einer Anerkennungsquote unter 20 Prozent werden in geschlossenen Zentren an der EU-Aussengrenze behandelt. Die Verfahren sollen in 12 Wochen abgeschlossen sein. Die Asylsuchenden dürfen nicht in die EU einreisen, jedoch in ihr Herkunftsland zurückkehren. Deshalb könne nicht von einem Gefängnis die Rede sein, erklärten die Asylbehörden des Bundes am Montag in einem Hintergrundgespräch.
Personen, die sogenannt irregulär in die EU eingereist sind, werden einem «Screening» unterzogen. Dieses umfasst die Identifizierung sowie eine Gesundheits- und Sicherheitsüberprüfung.
Inwiefern ist die Schweiz betroffen?
Die Schweiz ist an den Verträgen von Schengen und Dublin assoziiert. Deshalb muss sie einen Teil der neuen Bestimmungen zwingend übernehmen. Tut sie es nicht, droht die Assoziierung auszulaufen. Die Schweiz würde in Europa zur «Asyl-Insel», warnen die Bundesbehörden. Eine Folge könnte sein, dass zahlreiche von der EU abgewiesene Asylsuchende in der Schweiz ein separates Gesuch stellen würden.
Argumentiert wird auch mit Zahlen: So habe die Schweiz seit Inkrafttreten des Dublin-Systems 2009 bis heute 40'000 Personen an andere Dublin-Staaten überstellt und nur 12'000 zurücknehmen müssen. Bei Kosten von rund 100'000 Franken pro Asylgesuch ergibt das eine Kostenersparnis von 2,8 Milliarden Franken.
Die zwingenden Dublin-Anpassungen sind gemäss dem Staatssekretariat für Migration (SEM) vorab technischer Natur. Sie regeln beispielsweise das Screening von Personen, die ohne gültigen Aufenthaltsstatus in der Schweiz aufgegriffen werden. Zudem ist das Erstaufnahmeland künftig drei Jahre für eine Person zuständig und nicht bloss 1,5 Jahre. Damit werde es unattraktiver, abzutauchen und nach 18 Monaten in einem andern EU-Land ein neues Asylgesuch zu stellen. Auf diese Weise soll illegale Binnenmigration gestoppt werden.
Solidaritätsmechanismus: Warum will der Bundesrat mitmachen?
Wiewohl der Solidaritätsmechanismus für die Schweiz nicht obligatorisch ist, hat der Bundesrat am Freitag entschieden, sich «im Grundsatz» daran zu beteiligen. Er sehe im Mechanismus eine Chance, das europäische Asylsystem «nachhaltig zu stärken», heisst es dazu in der Mitteilung. In welcher Form sich der Bund engagiert – finanziell, mit der Übernahme Asylsuchender oder mit Fachleuten, die andere Länder unterstützen -, steht noch nicht fest.
Sofern das neue EU-System greift und tatsächlich weniger Asylsuchende nach Europa einreisen, könnte die Schweiz finanziell profitieren: Für jene Länder, die keine Asylsuchenden aufnehmen wollen, steht derzeit in der EU der Betrag von 20'000 Euro als Ersatzzahlung zur Debatte. In der Schweiz rechnen die Behörden mit 100'000 Franken pro Fall.
Kommt es zur unheiligen Allianz von SVP und Grünen?
In der Vernehmlassung haben Mitte, GLP und FDP die Reform grundsätzlich unterstützt. Die FDP etwa begrüsst, dass mehr Asylverfahren an den Aussengrenzen abgewickelt werden sollen. Die Aufnahme Asylsuchender im Rahmen des Solidaritätsmechanismus lehnt sie ab.
Auch die SP unterstützt laut dem Vernehmlassungsbericht des Bundes die Übernahme des EU-Pakts, allerdings mit grossen Vorbehalten. In der Frage der Verfahren an der Aussengrenze hält sie es gerade umgekehrt zur FDP. Vor allem die «haftähnlichen» Asylzentren an der Aussengrenze sind ihr ein Dorn im Auge. Diese Kritik teilen die Grünen, die noch kritischer sind: Der Pakt stehe im Widerspruch zu den Werten der EU und der Schweiz.
Die SVP, die das Dublin-System als gescheitert kritisiert, lehnt den Versuch, dieses zu reformieren, grundsätzlich ab. Die Schweiz müsse «souveräne, einseitige und unabhängige Kontrollen an ihren Landesgrenzen durchführen können», wird die SVP im Bericht zur Vernehmlassung zitiert. Die Partei sammelt Unterschriften für ihre Grenzschutzinitiative, die ein unabhängiges Schweizer Asylsystem will. (bzbasel.ch)
