Die Sportwelt ist ein emotionaler und kontrovers diskutierter Aspekt im Ukraine-Krieg. Der Westen sucht die richtigen Antworten zu Wladimir Putins Lieblingsspielzeug und Propagandawerkzeug.
Der russische Herrscher brach mit seinem Einmarsch in der Ukraine kurz nach Ende der Winterspiele in Peking auch den Olympischen Frieden. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) antwortete mit der ungewohnt raschen und scharfen Empfehlung, russische und belarussischen Sportlerinnen und Sportler von Wettkämpfen auszuschliessen.
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Im März forderten 37 westliche Staaten auf Initiative des britischen Sportministers Nigel Huddleston in einer gemeinsamen Erklärung zusätzliche Massnahmen gegen die beiden kriegstreibenden Länder: Keine Sportanlässe in Russland und Belarus sowie konsequente Begrenzung finanzieller Unterstützung von Organisationen mit Verbindungen zum russischen Staat. Neben 25 EU-Ländern, Australien, Japan, Südkorea, Kanada und der USA unterzeichnete auch Bundesrätin Viola Amherd die Erklärung.
Nun doppelt der Westen nach. In einer gleichartigen Äusserung, erneut an die Adresse der internationalen Sportverbände und des IOC gerichtet, fordert man auch die konsequente Suspendierung von russischen und belarussischen Funktionären aus den Führungsgremien im Weltsport. Diesmal unterschrieben 35 Nationen. Im Gegensatz zur März-Deklaration fehlten Ungarn und die Schweiz.
Es ist bedenklich genug, dass die Schweiz in dieser Frage im gleichen Boot sitzt wie Putin-Versteher Viktor Orbán. Das Abseitsstehen wirkt umso irritierender, da Sportministerin Viola Amherd bereits Mitte April mit einem Brief an IOC-Präsident Thomas Bach die exakt gleiche Forderung formuliert hat. Und nun fehlt ihre Unterschrift.
Das Vorpreschen der VBS-Vorsteherin im Frühling stiess nicht überall auf Verständnis. Bach selbst erteilte der Forderung in einem schroffen Antwortschreiben eine deutliche Absage. Die Tonalität des Briefs erstaunte: Frau Amherd habe sich gefälligst nicht in IOC-Angelegenheiten einzumischen.
Auch vom Kanton Waadt, der in und um Lausanne rund 50 Sportorganisationen beherbergt, kam keine Rückendeckung. FDP-Staatsrat Philippe Leuba schrieb der Bundesrätin, man dürfe diese Organisationen nicht verärgern, da sie ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor im Kanton seien.
Trotz der Kritik plante die Sportministerin auch diesmal, die Deklaration der westlichen Nationen zu unterzeichnen. Wie bereits beim ersten Schreiben kontaktierte das VBS in dieser Angelegenheit das Aussendepartement von Amtskollege Ignazio Cassis. Während im März aus dem EDA keine Bedenken geäussert wurden, kam nun ein klares Veto. Dem Vernehmen nach war es Aussenminister Cassis selbst, der Viola Amherd die ablehnende Haltung im persönlichen Gespräch mitteilte.
Das EDA beruft sich bei seiner Haltung auf einen Leitfaden, der grosse Zurückhaltung bei der Forderung nach Ausschluss von multinationalen Organisationen gebietet. Dieses Dokument des Aussendepartements wurde im Zuge des Ukraine-Konflikts aktualisiert. Offensichtlich zählt man auch Sportverbände in diese Kategorie. Bundesrätin Amherds persönliche Präferenz in der Sanktionsfrage des Sportes hat sie mit ihrem Schreiben vom 14. April deutlich zum Ausdruck gebracht.
Allerdings wird weder sie noch die Staatengemeinschaft IOC-Präsident Thomas Bach zum Umdenken bringen. Der Deutsche machte sich zwar am Wochenende beim Besuch in Kiew ein persönliches Bild davon, wie sehr die Zerstörungen auch den Sport betreffen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beschied seinem Gast, dass bereits an die 100 nationale Leistungssportler und Trainer im Krieg umgekommen sind. Zudem befinde sich ein gutes Dutzend von ihnen in russischer Kriegsgefangenschaft. Auch die Sportinfrastruktur im Land sei zu einem grossen Teil nicht mehr funktionsfähig. Somit hätten 100 000 ukrainische Athletinnen und Athleten keine Möglichkeit mehr, zu trainieren.
Selenskyjs Forderung war unmissverständlich: «Während Russland versucht, das ukrainische Volk zu zerstören, dürfen seine Vertreter keinen Platz der weltweiten Sportgemeinschaft haben. »
Bach versicherte Selenskyj zwar den fortwährenden Ausschluss von Athleten aus Russland. Die Funktionärskaste hingegen soll der Boykott weiterhin nicht tangieren. Kaum ein Sportverband kam solchen Forderungen aus der westlichen Politik bislang nach. Für die Schweiz ist dieses Thema erst recht relevant, haben doch 53 internationale Sportorganisationen ihren Sitz hier. (aargauerzeitung.ch)