Der Krieg in der Ukraine konzentriert sich aktuell weiterhin auf zwei Hauptschauplätze. Die Region um die beiden eroberten Städte Sjewjerodonezk und Lyssytschansk im Osten und um die Stadt Cherson im Süden.
Nach der Einnahme der beiden Städte Sjewjerodonezk und Lyssytschansk ordnete der russische Präsident Wladimir Putin für die involvierten Truppen eine Einsatzpause an. Es soll sich dabei vor allem um Wagner-Söldner, tschetschenische Kadyrowzy und Separatisten handeln. Nach Einschätzung des ISW (Institute for the Study of War) mussten sie im Kampf um die beiden 100’000-Einwohner-Städte beachtliche Verluste verzeichnen. Anders sieht dies das polnische Militärberatungsbüro Rochan Consulting. Es glaubt nicht an schwerwiegende russische Verluste. Die Angaben können nicht unabhängig geprüft werden.
In jedem Fall versucht Moskau, die Kontrolle über die Region als grossen Sieg darzustellen – ein Framing, das auch von Verbündeten untergraben wird. Der ehemalige Separatistenführer Igor Girkin zum Beispiel kritisierte das Vorgehen auf seinem Telegram-Kanal (400’000 Abonnenten) scharf. Der Verschleiss von Mensch und Material sei im Verhältnis zum strategischen Gewinn zu hoch gewesen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Girkin die Vorgehensweise der russischen Armee direkt – und damit indirekt Verteidigungsminister Schoigu – kritisiert. Dass Girkin dies so öffentlich kann, sei ein Indiz dafür, dass die russische Rechtsextreme an Einfluss gewinne, analysiert Osteuropa-Experte Ivo Mijnssen in einem Podcast der NZZ. Girkins erklärtes Ziel ist die Errichtung eines grossrussischen Reiches. Im Krieg gegen die Ukraine befürwortet er eine Generalmobilmachung.
Wie lange die Einsatzpause für die Truppen um Sjewjerodonezk und Lyssytschansk dauert, ist nicht bekannt. Das ISW geht nicht von einer längeren Zeitspanne aus, weil eine solche mit diversen Risiken wie Gegenangriffen und Reorganisation der ukrainischen Einheiten verbunden sei. Als nächstes Ziel wird die Front zwischen Slowjansk und Bachmut antizipiert. Slowjansk war vor dem Krieg Heimat für über 100'000 Einwohner.
Derweil attackieren russische Truppen weiter nordöstlich rund um Charkiw zivile Infrastruktur mit schwerer Artillerie. In den letzten sieben Tagen sind laut ukrainischen Angaben dabei 30 Zivilisten getötet worden.
Die in der Regel gut informierte Zeitschrift «Economist» berichtete, ukrainische Truppen hätten sich bereits bis auf einen Kilometer der Stadt Cherson genähert. Diese Darstellung wird von der ukrainischen Pressesprecherin Natalia Humeniuk dementiert: «Die Aussage ist nicht nur falsch, sie verwirrt unsere Bürger und schadet unseren Einheiten». Gleichzeitig bestätigte Humeniuk aber, dass sich die ukrainische Armee im Süden «langsam, aber zuversichtlich» vorwärts bewege.
Laut ukrainischen Angaben wurde in Darjiwka, 10 Kilometer nordöstlich von Cherson, ein russisches Munitionsdepot zerstört und mit Raketen- und Artillerieangriffen 30 feindliche Soldaten getötet. Ob dabei bereits ein von den USA geliefertes HIMAR-System (High Mobility Artillery Rocket System) zum Einsatz kam, ist nicht bestätigt.
Die modernen HIMARS können Ziele weit hinter der Front treffen. Rochan Consulting berichtet, die mobilen Abschussgeräte seien bereits in der Ukraine, nicht aber die Munition. Das ukrainische Militär veröffentlichte allerdings bereits ein Video, welches das Lenkraketensystem im Kampfeinsatz in der Oblast Saporischschja zeigt. Gerüchten zufolge sollen auch im Ringen um die Schlangeninsel amerikanische HIMARS im Einsatz gewesen sein.
Experten erwarten für die nächsten Tage intensivere Kämpfe rund um Cherson. Russland transportierte 17 Wagenladungen Munition von der Krim nach Kalantschak. Die 10’000-Einwohner-Stadt liegt 40 Kilometer südöstlich der strategisch wichtigen Stadt.
Neben der Munition sollen auch frische Truppen in die Region transportiert worden sein. Aufgrund der Situation rund um Cherson soll Russland planen, in der Krim eine Generalmobilmachung auszurufen. Damit könnten die Bewohner der Halbinsel gezwungen werden, gegen ihre eigenen Landsleute zu kämpfen.
Die 12 PZH 2000 können innert 5 Minuten 720 Smart verschiessen, womit 1440 militärische Ziele vernichtet werden. Für die Mobilmachung der Krim ist es jetzt zu spät, die brächte nur mehr Soldaten aber nicht mehr Material in den Kampf.
Nun beginnt was heute noch als unmöglich deklariert wurde, nämlich das Zurückdrängen der Russen. Meter um Meter.