Diplomatische Grossanlässe können für die lokale Bevölkerung ein richtiges Ärgernis sein. In Lugano war dies aber nicht der Fall. Der abgesperrte Bereich beschränkte sich auf den Parco Ciani und die umliegenden Strassen. Die allermeisten Menschen konnten gewohnt ihrem Alltag nachgehen.
Das Leben war nicht gross anders als sonst. Mal abgesehen davon, dass zahlreiche Polizisten durch die Stadt patrouillierten und viele gut gekleidete Menschen mit Konferenz-Badges zu sehen waren. Am Montagabend bevölkerten Letztere die Restaurants der Altstadt und liessen den Konferenz-Tag mit Bier und Pizza ausklingen.
Auf der Piazza Manzoni kam sogar so etwas wie Festival-Stimmung auf: Beim Openair-Konzert einer ukrainischen World Music Band schwangen zunächst noch melancholische Töne mit. Viele Zuschauerinnen hatten ukrainische Fahnen mitgenommen und hörten nachdenklich zu. Doch als um 23 Uhr DJ Rustam aus Kiew übernahm, wurde die Stimmung immer ausgelassener. Bis tief in die Nacht wummerten die Bässe über den Lago di Lugano.
Mit ein Grund für die friedliche Stimmung in Lugano war die ukrainische Delegation, welche sich sehr optimistisch zeigte. Der Mut der ukrainischen Konferenz-Teilnehmerinnen war nicht zu übersehen. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Russland im Donbas gerade ganze Städte in Schutt und Asche legt.
Vor dem Konferenz-Zentrum posierte eine Gruppe Ukrainer lachend für Selfies. Sie zeigten sich überzeugt, dass der Anlass in Lugano beim Wiederaufbau helfen wird. «Das kann der Startschuss zu etwas sehr Grossem sein», erzählte ein Geschäftsmann aus Kiew. Er nahm sogar das Wort «revolutionär» in den Mund.
Am zweiten Tag der Konferenz konnten Bundespräsident Ignazio Cassis und der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal die sogenannte «Erklärung von Lugano» vorstellen. Noch am Montag soll intensiv über die Ausgestaltung der Deklaration diskutiert worden sein, sagte Cassis. Am Dienstag konnte die Erklärung dann aber verabschiedet werden.
In der Erklärung von Lugano wurde festgehalten, dass der Wiederaufbau entlang der sogenannten «Lugano-Prinzipien» stattfinden soll. Die sieben Prinzipien lauten:
Establishing early on a common understanding on how to shape the recovery process 👉 What we achieved together at the #URC2022 with the #LuganoDeclaration & its 7 principles. I am convinced that this is a key step on the long path to Ukraine's recovery 🇺🇦 https://t.co/FH0zT3VXB6 pic.twitter.com/h10RkQniRr
— Ignazio Cassis (@ignaziocassis) July 5, 2022
Resultat der Konferenz sind jedoch nicht nur die verabschiedeten Prinzipien. Diverse Teilnehmer-Länder verkündeten in Lugano, dass sie ihre Soforthilfen aufstocken. Dies tat auch die Schweiz. Sie wird ihre Unterstützung für die Ukraine bis Ende 2023 auf 100 Millionen Franken verdoppeln. Derweil versprach Frankreich, dass es sich um den Wiederaufbau der Stadt Tschernihiw kümmern wird. Zudem konnten unter den 1000 Teilnehmerinnen wichtige Kontakte geknüpft werden.
Vor der Konferenz wurden grosse Hoffnungen geschürt. Sowohl von ukrainischer als auch von Schweizer Seite wurden Vergleiche zum Marshall-Plan gezogen, mit dem nach dem Zweiten Weltkrieg Europa wiederaufgebaut wurde. Die Hoffnungen wurden etwas getrübt, als klar wurde, dass die ganz grossen Namen nicht nach Lugano reisen würden. Die prominenteste Politikerin, die Cassis begrüssen durfte, war EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Anfangs rechnete man sogar damit, dass möglicherweise Wolodymyr Selenskyj anreisen würde.
Vermutlich wird die «Erklärung von Lugano» nicht die gleiche historische Bedeutung wie der Marshall-Plan erhalten. Allerdings wurde in Lugano ein Prozess lanciert, der für den Wiederaufbau der Ukraine eine durchaus entscheidende Rolle spielen könnte. Denn die Konferenz im Tessin war keine Eintagsfliege. Am Montag konnte Cassis verkünden, dass es 2023 eine zweite Ausgabe der Wiederaufbau-Konferenz geben wird.
Der Veranstalter ist ein wichtiger Player in der internationalen Politik. Es handelt sich um Grossbritannien. Ein Erfolg für Cassis: Die Weiterführung der Konferenz war eines seiner Ziele für Lugano. Am Dienstag kam es dann sogar noch besser für ihn. Deutschland kündete an, im Jahr 2024 die dritte Wiederaufbau-Konferenz veranstalten zu wollen.
Good to meet President @ignaziocassis as 🇨🇭 hosts #URC2022. The UK will continue to mobilise the international community to deliver for Ukraine ahead of us hosting the next conference in 2023. pic.twitter.com/0RY0vqxvFl
— Liz Truss (@trussliz) July 4, 2022
Ob die Konferenz in Lugano insgesamt ein Erfolg war, wird sich demnach wohl erst in einigen Jahren weisen. Die Teilnehmer waren nach den beiden Tagen im Tessin jedenfalls voll des Lobes für den Veranstalter. Bei der Abschluss-Pressekonferenz bedankte sich Schmyhal bei Cassis ausdrücklich für die «wunderbare Organisation».
Die Konferenz in Lugano sei «wichtig» gewesen, sagte Melinda Simmons, die britische Botschafterin in der Ukraine. Der Wiederaufbau-Prozess müsse jetzt gestartet werden. Es sei eine «grosse Ehre», im nächsten Jahr Gastgeber für die zweite Konferenz zu sein.
Erkenntnis Nr. 4 aus Lugano: Ihr habet euch irgendwo geistig verfahren. Währen in der Ukraine die Leute i Schutzengraben sterben und Russland Kindergärten bombardiert mach ihr euch echt Gedanken über einen Gender Inlcluding Aufbau? Echt Jetzt?