Schweiz
Interview

Städte wollen flächendeckend Tempo 30 – ÖV fordert Ausnahmen

Interview

Städte wollen flächendeckend Tempo 30 – ÖV-Vertreter fordern Ausnahmen

Die Forderung des Städteverbands, flächendeckend Tempo 30 einzuführen, stösst auf Widerstand. Längere Reisezeiten vermindern die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs, sagt Verbandsdirektor Ueli Stückelberger. Er fordert deshalb gezielte Vorteile für Tram und Bus.
19.12.2022, 08:2719.12.2022, 08:33
Stefan Bühler / ch media
Mehr «Schweiz»

Der Schweizerische Städteverband will, dass Tempo 30 in Städten zur Norm wird. Damit liesse sich der gefühlte Verkehrslärm um die Hälfte reduzieren.

Das geht aus einem neuen Positionspapier hervor, über das die «NZZ am Sonntag» in ihrer aktuellen Ausgabe berichtete und das der Nachrichtenagentur Keystone-SDA vorliegt. Eine Reduktion von Tempo 50 auf Tempo 30 bewirke drei Dezibel weniger Schallpegel, hiess es darin. Dies weil der Verkehr bei Tempo 30 flüssiger werde und lärmintensive Beschleunigungen seltener würden.

Gerade mit zunehmender innerer Verdichtung verstärke sich die Lärmproblematik, argumentierte der Städteverband weiter. Dazu kämen veränderte Lebensstile und eine neue Zusammensetzung der Bevölkerung. Erfahrungen zeigten, dass eine neue Durchmischung und Nutzungsintensivierung von öffentlichen Räumen besser akzeptiert würden, wenn der Lärm nicht zunehme.

Ueli Stückelberger, Direktor Verband öffentlicher Verkehr, hat Verständnis für die Forderungen. Er mahnt aber Ausnahmen an, wie er im Interview sagt.

Ueli Stueckelberger, Direktor Verband oeffentlicher Verkehr VoeV, spricht waehrend einer Medienkonferenz am Mittwoch, 4. Oktober 2017 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Wünscht sich «verkehrsberuhigte Städte mit einem attraktiven ÖV»: Ueli Stückelberger, Direktor Verband öffentlicher Verkehr.Bild: KEYSTONE

Tempo 30 auf allen Strassen in den Städten, das hätte auch Auswirkungen auf Trams und Busse. Wie steht der Verband öffentlicher Verkehr (VöV) zur neuen Forderung des Städteverbands?
Wir haben Verständnis für die Anliegen der Städte bezüglich Lärmschutz, Verkehrsberuhigung und Sicherheit. Das wollen wir ja auch. Solche Massnahmen dürfen aber nicht zu Lasten des ÖV gehen: Wenn sich Reisezeiten wegen des tieferen Tempos verlängern und Anschlüsse nicht gewährleistet werden können, verliert der ÖV an Attraktivität und wird für die Besteller teurer. Das ist sicher auch nicht im Interesse der Städte.

Anders Stokholm, der Präsident des Städteverbands, sagt aber, auch der ÖV profitiere, wenn sich der Verkehr dank Tempo 30 verflüssige. Wie beurteilen Sie das?
Auf alle städtischen Strassen ausnahmslos angewendet, können wir das so nicht bestätigen. Wenn man Tempo 30 einführt, braucht es für den ÖV zwingend Begleit-Instrumente, die je nach Situation unterschiedlich eingesetzt werden können.

Was schlagen Sie vor?
Es braucht Ausnahmen von Tempo-30 auf wichtigen Achsen mit hohem ÖV-Aufkommen. Weiter müsste die Einführung von Tempo 30 begleitet werden mit dem Ausbau von separaten Bus-Spuren und Tram-Trassen. Zudem sollten Busse und Trams bei Ampeln bevorzugt werden – der ÖV soll nicht im Stau stehen. Die Einführung von Tempo 30 darf einfach den ÖV nicht unattraktiver machen!

Haben Sie das neue Positionspapier des Städteverbands gelesen?
Wir kennen das Papier nicht, die Forderung aber schon. Wir stehen in Kontakt mit dem Städteverband, zuletzt am Donnerstag. Nun braucht es Gespräche zwischen den ÖV-Unternehmen mit den politisch Zuständigen in den Städten. Ich bin überzeugt, dass wir das gleiche wollen: verkehrsberuhigte Städte mit einem attraktiven ÖV – und weniger motorisiertem Individualverkehr.

Die hohen Kosten des Strassenlärms
Mit Verweis auf eine Studie des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) rechnet der Städteverband zudem mit Kosten in der Höhe von 2,3 Milliarden Franken jährlich, die auf den Strassenlärm zurück zu führen seien. Dies weil der Wert von exponierten Liegenschaften sinke und die gesundheitlichen Folgen der Lärmbelastung ins Geld gingen.

Tempo 30 sei «eine wirkungsvolle, kostengünstige und einfach umsetzbare Massnahme». Es entspreche zudem dem Verursacherprinzip und lasse sich gut mit dem Öffentlichen Verkehr vereinbaren.

Bisher anerkennt das Bundesgericht laut Städteverband lediglich einzelfall- respektive strassenabschnittsbezogene Anordnungen von Tempo 30 auf Hauptstrassen. Ab 2023 soll Tempo 30 auf «nicht verkehrsorientierten» Strassen ohne Gutachten eingeführt werden können. Mit einer Anpassung der Verkehrsregelverordnung soll Tempo 30 in den Städten zur Norm werden, so der Städteverband. (sda)
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Auffahrunfall von oben: Lastwagen kracht auf Unfallstelle
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
231 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
AFK
19.12.2022 08:41registriert Juni 2020
Verbietet doch gleich den motorisierten Privatverkehr in den Städten, das wäre schlicht ehrlicher als diese Salamitaktik.
17151
Melden
Zum Kommentar
avatar
HeidiW
19.12.2022 11:37registriert Juni 2018
Da baut man ein Quartier nach dem andern direkt Hauptverkehrsstrassen und jammert jetzt über den Lärm. Gleichzeitig verpasst man es, frühzeitig stark befahrene Dörfer mit einer Umfahrungsstrasse zu entlasten! Ich nenne so etwas eher ein Schildbürgerstreich als eine Lösung!
5316
Melden
Zum Kommentar
avatar
BG1984
19.12.2022 09:53registriert August 2021
So wie ich das verstanden habe, fordert der Städteverband NICHT flächendeckend Tempo 30, sondern lediglich, dass keine machbarkeits-abklärungen gemacht werden müssen, wenn man eine 30iger Zone machen will.
4913
Melden
Zum Kommentar
231
Von 1 bis 16 Franken pro 100 Gramm – so krass variieren die Osterhasen-Preise
Fast drei Osterhasen verputzen Herr und Frau Schweizer im Durchschnitt pro Jahr. Wie viel sie dafür berappen, variiert gewaltig. Denn der Luxus-Osterhase vom Chocolatier ist fast 16 Mal teurer als die Billigstvariante aus dem Discounter.

Auch in diesem Jahr werden an Ostern wieder haufenweise Osterhasen aus Schokolade verdrückt. Nach Schätzungen von Chocosuisse, dem Verband der Schweizer Schokoladenfabrikanten, werden in der Schweiz pro Jahr allein für den Inlandmarkt rund 20 Millionen Osterhasen produziert – das sind fast drei Osterhasen pro Kopf. Rund 7 Prozent des jährlichen Schokoladenabsatzes in der Schweiz gehen auf das Konto der Osterfeiertage.

Zur Story