Frau Müller, Sie haben die Auswirkungen von Vater- und Mutterschaftsurlaub erforscht. Bringen zwei Wochen Vaterschaftsurlaub überhaupt was?
Franziska Müller: Will man weiterführende Ziele verfolgen, wie zum Beispiel ein längerfristiges Umverteilen von Erwerbs- und Familienarbeit, dann bringen zwei Wochen gar nichts. Es ist jedoch nicht so, dass zwei Wochen keinen Effekt oder Nutzen hätten. In einer ersten Phase hilft es sicher, der Familie einen guten Start zu ermöglichen und die Mutter zu entlasten.
Also befindet sich die Schweiz familienpolitisch nach wie vor in der Steinzeit.
Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, die keinen gesetzlichen Anspruch auf Vaterschaftsurlaub kennt. Im OECD-Vergleich ist die Schweiz auf einem der letzten Ränge bezüglich Mutter- und Vaterschaftsurlaub respektive Gewährung einer Elternzeit. Und auch wenn diese zwei Wochen jetzt an der Urne angenommen werden, sind wir noch weit hinter unseren europäischen Nachbarn.
Warum tut sich die Schweiz so schwer bei dieser Frage?
Das wüsste ich auch gerne. Die Schweiz hat und tut sich weiterhin schwer hinsichtlich gleichstellungspolitischen Anliegen. Bestes Beispiel ist hier die späte Einführung des Frauenstimmrechts. Was jedoch die Gründe für diese tief verankerte Rückständigkeit sind, kann ich Ihnen auch nicht sagen.
Kritiker monieren gerne, dass der Vaterschaftsurlaub bezahlte Ferien auf Kosten der Allgemeinheit wären. Wie sehen Sie das?
Die Zeit nach der Geburt eines Kindes ist kein Urlaub, das wird jede Mutter und jeder Vater bestätigen. Sie ist eine schöne, aber sehr intensive und herausfordernde Zeit. Es ist wichtig, dass die Familie diese gemeinsam erleben kann.
Wie müsste eine optimale Elternzeit denn aussehen?
Wir haben über 140 Studien aus 10 Ländern untersucht, um diese Frage zu beantworten. Optimal wären rund 28 Wochen. Bei einer noch längeren Elternzeit könnten negative Effekte auf die berufliche Laufbahn der Frauen entstehen. Wichtig ist bei diesen 28 Wochen, dass Männer und Frauen einen fixen Anteil haben. Also acht bis zehn Wochen, die jeweils für den Mann oder die Frau reserviert sind, der Rest wäre frei aufteilbar. Das hätte den grössten Gleichstellungseffekt.
Wer soll das bezahlen?
Es ist nicht die Frage, ob dies bezahlbar ist, sondern eine Frage der Prioritäten, welche sich eine Gesellschaft setzt. Vergleichen Sie mal, was die Umsetzung des Vaterschaftsurlaubs und was die Beschaffung der neuen Kampfjets kostet. 230 Millionen Franken stehen hier 6 Milliarden gegenüber.
In Ihrer Studie für den Bund schreiben Sie, dass Elternzeit verschiedenste positive Auswirkungen hat. Erklären Sie.
Da müssen wir unterscheiden. Elternzeit hat familiäre, wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen.
Fangen wir bei der familiären Ebene an.
Elternzeit führt zu einer Verbesserung der psychischen Gesundheit der Mütter und der physischen Gesundheit der Kinder und sie führt zu einer Stärkung der Vater-Kind-Beziehung, sofern die Väter die Elternzeit auch tatsächlich in Anspruch nehmen. Bezüglich Gesundheit wäre es jedoch sehr wichtig, wenn die Frau bei Bedarf bereits vor Geburt in den Mutterschaftsurlaub gehen könnte. Das potenziert die positiven Effekte auf Gesundheit, reduziert Stress und vermindert im Endeffekt zum Beispiel Fehlgeburten. Dies ist in der Schweiz aber momentan auch nicht möglich.
Gehen wir zu den wirtschaftlichen Auswirkungen: Elternzeit soll positive Effekte auf die Arbeitsplatzmoral haben.
Genau. Gerade bei gut ausgebildeten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ist das zu beobachten. Unternehmen mit einer familienfreundlichen Politik haben zudem weniger mit Fluktuation zu kämpfen. Viel wichtiger ist jedoch: Eine ausgewogene Elternzeit begünstigt die Rückkehr der Mütter an den Arbeitsplatz und erhöht somit die Erwerbsbeteiligung der Frauen. Die Ausgaben des Staates lassen sich so bereits bei einer geringen Erhöhung der Erwerbstätigkeit der Mütter dank höheren Steuererträgen kompensieren.
Was uns zu den gesellschaftlichen Auswirkungen bringt.
Elternzeit schafft im Haushalt egalitärere Verhältnisse, da sich Männer vermehrt an Haus- und Familienarbeit beteiligen. Frauen würden mehr Chancen kreiert, um den Sprung zurück ins Arbeitsleben zu schaffen, ohne dass die Karrieren der Männer leiden würden. In Schweden hat man gesehen, dass es einige Zeit braucht, um die gängigen Rollenmuster aufzubrechen, aber es ist machbar. Ausserdem: Noch nie wurde ein Elternzeitmodell wieder abgeschafft.
Also ist der Vaterschaftsurlaub oder eine Elternzeit auch ein feministisches Anliegen?
Ja. Aber nur, wenn man die Väter bei einer Elternzeit explizit miteinbezieht. Eine gewisse Zeit müsste exklusiv für den Vater reserviert sein. Ansonsten kann es für die Frau negative Effekte haben. Das sieht man in Ländern, in denen die Elternzeit frei aufgeteilt werden kann. In den meisten Fällen wird diese dann von den Frauen bezogen und das führt wiederum zu einer Verminderung ihrer Karrierechancen.
Glauben Sie, eine solche Elternzeit wird in der Schweiz je eingeführt werden?
Wenn ich mir anschaue, wie die Debatte um die zwei Wochen Vaterschaftsurlaub gelaufen ist, dann bin ich für die nächsten zehn Jahre sehr skeptisch.
In der Schweiz ist man der Meinung, das Väter für ein Neugeborenes gleich wichtig sind, wie für einen Umzug. Gahts eigentli no?
Es ist eine absolute Schande, dass die Schweiz als letztes Land in Europa noch keinen Vaterschaftsurlaub kennt (In manchen Ländern auch Elternurlaub.)
Das Wort "Vaterschaftsurlaub" erscheint auf dem Abstimmungsblatt leider nicht.