Das Parlament hat am Mittwoch einmal mehr die Zauberformel bestätigt – obschon deren Legitimität stetig sinkt. Warum?
Rahel Freiburghaus: Einerseits haben diejenigen, die jetzt an der Macht sind, kein Interesse an einer Veränderung – das käme einer Selbstkasteiung gleich. Andererseits beeinflusst das Wahlverfahren gemäss Anciennitätsprinzip den Ausgang der Wahlen: So konnte es sich etwa die SP nicht erlauben, den Angriff der Grünen voll zu unterstützen, weil die Bürgerlichen mit einer Retourkutsche gedroht haben.
Besteht die Gefahr, dass die Bevölkerung das Vertrauen in den Bundesrat verliert, weil ein beachtlicher Teil der Wähler nicht mehr repräsentiert ist?
Im internationalen Vergleich gibt es praktisch keine Regierung, der die Bevölkerung so viel Vertrauen entgegenbringt wie in der Schweiz. Das ist selbst dann so, wenn ein Teil der Bevölkerung – zum Beispiel eine Region oder eine sprachliche Minderheit – über längere Zeit nicht im Bundesrat vertreten ist. Das soll als Einordnung, aber nicht als Ausrede gelten. Die Legitimität der parteipolitischen Zusammensetzung des Bundesrats sinkt zweifellos.
Tatsächlich wächst der Unmut. Mitte-Links kritisiert die FDP/SVP-Mehrheit. Hat die Zauberformel ausgedient?
Bereits nach den Wahlen 2019 lud Mitte-Präsident Gerhard Pfister zum Konkordanzgipfel – allerdings erfolglos. Die Mitte ist in dieser Frage im Moment absolut zentral, die Initiative muss von ihr kommen. Wenn sie sich für eine Anpassung der Machtverhältnisse im Bundesrat ausspricht, dann sehe ich Raum für Veränderung. Dafür gibt es bereits erste Anzeichen. Zum Beispiel der Entscheid der Mitte, keinen Kandidaten für das Kanzleramt zu stellen. Das lässt mich vermuten, dass bei der nächsten Einervakanz etwas passieren könnte.
Wie könnte eine neue Zauberformel aussehen?
Bevor man darüber nachdenkt, welche Partei wie viele Sitze im Bundesrat besetzen soll, muss man die Frage stellen, anhand welcher Grösse man die Repräsentativität des Bundesrats bemisst. Reden wir über den Wähleranteil, die Sitzstärke im Parlament, oder beziehen wir gar noch die Vertretung der Parteien in den Kantonsregierungen mit ein? Wenn man diese Berechnungsgrundlage geklärt hat, kann man eine neue Formel ausarbeiten. Diskutiert werden könnte zum Beispiel, ob man das Wahlergebnis bei den eidgenössischen Wahlen als verbindlichen Schlüssel für die parteipolitische Verteilung der Regierungssitze festlegt. Die Auswahl der Köpfe bliebe weiterhin Sache des Parlaments.
Das hätte zur Folge, dass sich theoretisch alle vier Jahre die Zusammensetzung ändert und Stabilität verloren geht.
Ich finde diese Stabilitätserzählung zunehmend schief. In der Schweiz wird bei einem Wechsel eines Bundesrates ja nicht gleich die ganze Verwaltung ausgewechselt. Ein Blick über die Landesgrenze zeigt, dass Regierungswechsel nicht zu Instabilität führen müssen. Im aktuellen Diskurs wird eine nicht näher definierte Stabilität verklärt – sie ist zum bürgerlichen Totschlagargument geworden und stempelt jede Veränderung als unsinnig ab. So erstickt man jede Diskussion über eine Reform im Keim.
Sie machen unter anderem das Wahlverfahren für fehlende Veränderungen verantwortlich. Braucht es hier Anpassungen?
Es hat bereits mehrere Anläufe gegeben, das Wahlverfahren anzupassen. Alt Nationalrätin Christa Markwalder schlug etwa vor, eine sogenannte Block- oder Listenwahl einzuführen. Dabei würden die Regierungsmitglieder nicht einzeln gewählt, sondern als Block, der im Vorfeld von den Parteien zusammengestellt wird. Das würde bedingen, dass die Parteien miteinander diskutieren und sich überlegen, wie das Gremium als Ganzes am besten funktionieren könnte. So könnte die Logik der Kollegialität im Wahlverfahren besser abgebildet werden.
Die Parteien betonen stets, es sei wichtig, die im Parlament relevanten Kräfte in die Regierung einzubinden. Doch am Wahltag selbst verteidigen die Bundesratsparteien ihre Sitze. Was braucht es, um das «Machtkartell» aufzubrechen?
Historisch betrachtet, erkennt man ein Muster: Die Parteien, die an der Macht sind, vertrösten die Angreifer immer wieder. Es heisst stets, man müsse zuerst das Wahlergebnis bestätigen. Aber was genau meint ‹bestätigen›? Als Partei ausserhalb des Machtkartells hat man keine Chance. Schliesslich werden die völlig beliebigen Spielregeln von jenen gemacht, die an der Macht sind. Diese Struktur aufzubrechen, ist schwierig. Ein erster Schritt wäre, Vertrauen zu gewinnen, dass die Schweiz nicht untergeht, wenn eine Person abgewählt wird oder eine Partei nur für eine Legislatur im Bundesrat vertreten ist.
Sie sagen, eine Abwahl ist gar nicht so schlimm.
Genau. Ich würde mir wünschen, dass es eine Art Normalisierung der Abwahl geben würde – so wie in den Kantonen. Wenn es eine breite, begründete Unzufriedenheit mit der Amtsführung eines Einzelnen gibt, dann soll man auch jemanden abwählen können.
Bei den Bundesratswahlen haben sich informelle Regeln etabliert, die während einiger Zeit Bestand haben. Wie kommen diese zustande?
Sie entstanden und entstehen immer aus der Not heraus. Die Verfassung macht kaum Vorgaben zum Bundesrat. Man versucht deshalb, trotzdem eine gewisse Verbindlichkeit zu schaffen. Gleichzeitig soll die Flexibilität gewahrt werden. Diese ungeschriebenen Regeln sind nicht in Stein gemeisselt, ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass sie immer wieder angepasst werden. So galt es beispielsweise einst als Voraussetzung für einen Bundesrat, dass er vorab durchs Volk in den National- oder Ständerat gewählt wurde.
Diese Regel wurde später wieder aufgehoben.
Genau. Allerdings funktioniert diese Selbstjustierung informeller Regeln nicht immer. Das zeigt das Beispiel der Zauberformel. Obschon sie aus der Zeit gefallen ist, wollen die Profiteure nichts daran ändern.
Auch das Ticket-System zählt zu diesen informellen Abmachungen. Muss es überdacht werden?
Allenfalls könnte man das informelle Ticket-System mit zusätzlichen informellen Regeln ergänzen. Grundsätzlich ist es nicht schlecht, wenn die Partei ihre Kandidierenden nominieren kann. Man könnte aber zum Beispiel festlegen, dass mindestens drei Personen auf dem Ticket sein müssen, um dem Parlament eine echtere Wahl zu ermöglichen. Das Parmelin/Gobbi/Aeschi-Ticket wird zu Recht oft als ausgewogenes Beispiel genannt.
Der Bundesrat wurstelt sich seit Jahrzehnten mit informellen Regeln durch. Ist das gefährlich?
Es gab tatsächlich keine grössere Reform. Die Staatsleitungsfrage ist überfällig. Das sahen abtretende Bundesräte schon in den 1870er-Jahre so – trotzdem hat sich nichts verändert. Das hat auch damit zu tun, dass staatspolitische Reformdebatten immer nur punktuell geführt werden; beispielsweise nach Bundesratswahlen. (aargauerzeitung.ch)
Es stehen Steuererleichterungen für Vermögende und Eingentümer- Stärkungen auf dem Spiel.
In der AHV ein Schweige- und duck_dich_weg Kartell. Bei den Mieten eine stetige Schwächung - Verkomplizierungen zu Lasten der Mieter.
Reformstau / hohe Profite für die Vermögenden sind so vorprogrammiert.
Die können es auch als Stabilität verkaufen - wem auch immer doof genug sein sollte, sich das so verkaufen zu lassen.
So ein Käse - bürgerlich rechts ist übervertreten. FDP gehört raus und mindestens Mitte gehört rein in den BR.
Ahja, beim Lohn. Wobei, da bleibt auch immer weniger kleben.
Und auf der anderen Seite steigen die Kosten munter weiter.
Da wäre Stabilität mal schön, aber das interessiert die "Bürgerlichen" nicht, weil es ihnen und ihren reichen Freunden nichts bringt.
Sprechen von Stabilität, meinen aber nur die, die für sie wichtig ist.
Danke ihr bürgerlichen Volkstäuscher!