War alles nur ein Sturm im Wasserglas? Bei der Bundesratswahl am Mittwoch blieben die Überraschungen aus. Die sechs Bisherigen wurden im ersten Wahlgang bestätigt, und mit Beat Jans (SP) holte sich der Favorit den Sitz des abtretenden Alain Berset. Er brauchte drei Wahlgänge und siegte mit 134 Stimmen – das ist guter Durchschnitt bei Ersatzwahlen.
Der Basler entspricht ziemlich genau dem Typ des «Durchschnitts-Bundesrats», was man gut oder schlecht finden kann. Courant normal also? So einfach ist das nicht. Zwar hat gerade die zunehmende Instabilität im System dafür gesorgt, dass sich noch einmal die Stabilität durchgesetzt hat. Aber unterschwellig brodelt es. Die Zauberformel ist morsch geworden.
Das zeigt sich daran, dass kaum eine Partei am Mittwoch richtig happy war. Die Grünen sind wütend, weil die SP den Sprengkandidaten Gerhard Andrey nur viertelherzig unterstützt hatte. Die SP muss herausfinden, wie sie «Problembär» Daniel domestizieren will – und ob überhaupt. Und die SVP wurde bei der Bundeskanzlerwahl abgewatscht.
Die Freisinnigen brachten ihre beiden Sitze ins Trockene (Ignazio Cassis wurde sogar besser wiedergewählt als erwartet), aber sie wissen, dass dieser Erfolg ein Ablaufdatum besitzt. Positiv verlief der Wahltag für die Grünliberalen, dank des neuen Bundeskanzlers Viktor Rossi. Und als einzige Bundesratspartei kann die Mitte einigermassen zufrieden sein.
Der Wahltag verlief nach ihrem Drehbuch. Sie konnte sich als Stabilitäts-Garantin profilieren, obwohl einige ihrer Mitglieder vor allem aus dem Ständerat für Daniel Jositsch gestimmt haben dürften. Doch auch bei der Mitte ist man sich im Klaren, dass es so nicht weitergehen kann und Veränderungen angebracht sind. Einige Vorschläge sind bereits im Umlauf.
Sinnvoll wäre es, die Gesamterneuerungswahl nicht mehr einzeln durchzuführen, sondern für alle sieben Sitze gemeinsam. Das würde Machtspiele nicht verhindern, aber stark limitieren. Anderes ist schwieriger umzusetzen. So steht die Forderung im Raum, auf das Ticketsystem zu verzichten, damit die Bundesversammlung mehr Wahlmöglichkeiten hat.
Die Tickets geben den Parteien jedoch viel Macht, und darauf zu verzichten, fällt in der Politik grundsätzlich schwer. Fraglich ist auch, wodurch sie ersetzt werden sollen. Auch deshalb steht die Forderung nach Konkordanzgesprächen im Raum. Solche hat Gerhard Pfister schon vor vier Jahren anberaumt. Sie waren nicht nur wegen Corona eine Totgeburt.
Machen wir uns nichts vor: Die Vorstellung, dass die grossen Parteien einvernehmlich die Verteilung der Bundesratssitze unter sich ausmachen, ist blauäugig. Deshalb zeichnet sich ab, dass es beim nächsten FDP-Rücktritt zum Grossangriff kommen wird. Die Grünen werden es erneut versuchen, und auch bei der Mitte ist die Angriffslust beträchtlich.
Die Parteispitze hat deutlich gemacht, dass sie «mittelfristig» den von der damaligen CVP vor 20 Jahren verlorenen zweiten Bundesratssitz zurückerobern will. Das kann eigentlich nur auf Kosten des Freisinns geschehen. «Bei einer FDP-Vakanz müssen wir angreifen», sagte der Solothurner Nationalrat Stefan Müller-Altermatt den Tamedia-Zeitungen.
Die FDP gibt im Gegenzug Durchhalteparolen aus. «Die Stabilität der Institutionen ist die Stärke unseres Landes», heisst es in einer Mitteilung vom Mittwoch. Doch selbst Präsident Thierry Burkart gibt zu, dass der zweite Sitz wackelt, vor allem wenn es für die Partei weiter bergab geht. Die FDP muss hoffen, dass ihre Bundesräte möglichst lange «durchhalten».
Wie aber könnte ein Angriff auf die FDP ablaufen? Klar ist, dass die Grünliberalen eine Schlüsselrolle spielen werden. Ihre eigenen Ambitionen auf den Bundesrat müssen sie auf absehbare Zeit begraben (dafür haben sie den Prestigejob des Bundeskanzlers erhalten). Sie können entscheiden, ob sie den Angriff der Grünen oder der Mitte unterstützen wollen.
Die Grünen wären nicht nur des Namens wegen der naheliegende Partner. Gemeinsam haben beide Parteien einen Wähleranteil von 17,4 Prozent. Das ist mehr als FDP und Mitte. Und mit dem nun gescheiterten Nationalrat Gerhard Andrey gäbe es einen Kandidaten, dem man das Bundesratsamt zutraut und der für beide Parteien akzeptabel wäre.
Einfach wäre es für eine «Grün-Allianz» aber nicht. Selbst wenn sie die SP an Bord holt, würde es für eine Mehrheit nicht reichen. Nötig wären eine gute Planung und eine clevere Strategie, und in dieser Hinsicht haben die Grünen in den letzten Jahren nicht geglänzt. Die Grünliberalen könnten deshalb versucht sein, sich bei der Mitte «anzudienen».
Der GLP-«Grossspender» und Uhrenindustrielle Georges Kern forderte im Tamedia-Interview sogar eine Fusion der beiden Parteien. Für die Grünliberalen kommt das nicht infrage. Zu gross sind die Differenzen mit der Mitte bei wichtigen Themen wie der Familienpolitik (Stichwort Individualbesteuerung), der Landwirtschaft und nicht zuletzt in der Europapolitik.
Ein «Deal» bei der Bundesratswahl aber ist nicht ausgeschlossen. Denn die Mitte dürfte tendenziell mehr Spielraum haben, um Verbündete für eine Mehrheit im Parlament zu gewinnen. Ihr Führungspersonal ist taktisch versiert. Den Grünen bliebe für die Erfüllung ihres Bundesratstraums wohl nichts anderes übrig, als der SP einen Sitz abzujagen.
Der abtretende Parteipräsident Balthasar Glättli, der sich lange gegen eine solche Idee gesträubt hat, schliesst dies nicht mehr aus. «Wir schulden der SP nichts mehr», sagte er als Reaktion auf die fehlende Unterstützung für die Kandidatur Andrey am Mittwoch. Die Wut aber dürfte bald verrauchen, und noch sind solche Szenarien ein Gedankenspiel.
In den nächsten Jahren kann einiges passieren. Sollte es der Mitte aber in absehbarer Zeit gelingen, einen Sitz auf Kosten der FDP zu erobern, wäre dies ein Tabubruch, GLP hin oder her. Denn vom Wähleranteil her wäre der Anspruch der Grünen auf einen Sitz weit besser legitimiert als jener der Mitte auf einen zweiten. Sie ist praktisch gleich stark wie die FDP.
Schafft es die Mitte trotzdem, wäre dies das Ende eines Systems, in dem irgendwelche Formeln über die Regierungssitze entscheiden. Es ginge nur noch um Macht. Was nichts anderes wäre als ein Schritt hin zu einem eigentlichen Systemwechsel.