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Interview

«Wir haben unsere Lehren aus dem Credit-Suisse-Fall gezogen»

Interview

«Wir haben unsere Lehren aus dem Credit-Suisse-Fall gezogen»

Marlene Amstad ist die Präsidentin der Finanzmarktaufsicht (Finma). Nach dem PUK-Bericht zum CS-Debakel spricht sie erstmals ausführlich, wieso es Bussen für Banker braucht, ihre Behörde zum Schweigen gezwungen ist - und sie Trump-Leute kennt.
17.05.2025, 13:0517.05.2025, 13:05
Florence Vuichard / ch media
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Im Nachgang zum CS-Debakel stand Marlene Amstad im Kreuzfeuer der Kritik. Mittlerweile ist diese verstummt, auch weil die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) in ihrem Bericht der Präsidentin der Finanzmarktaufsicht ein akzeptables Zeugnis ausstellt. Amstads Aufsichtsbehörde hingegen muss nun beweisen, dass sie die Lehren aus dem Fall Credit Suisse tatsächlich gezogen hat – und das in einem turbulenten Umfeld. Denn US-Präsident Donald Trump bewegt mit seiner erratischen Politik die Finanzmärkte und unterzieht damit auch die Banken einem ungewollten Stresstest.

Marlene Amstad, Praesidentin des Verwaltungsrats FINMA, spricht bei der Jahresmedienkonferenz der FINMA, am Mittwoch, 20. Maerz 2024, im Medienzentrum Bundeshaus in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Marlene Amstad.Bild: keystone

Schauen Sie jeden Morgen als Erstes auf die Aktienkurse?
Marlene Amstad: Ja. Es ist eine ausserordentliche Zeit.

Geprägt von Chaos.
Ich würde nicht von Chaos sprechen. Aber die Unsicherheit ist gross, die Volatilität ist sprunghaft angestiegen, also jener Wert, der Wertschwankungen von Aktien, Obligationen oder Fonds ausdrückt. Der Wert blieb aber unter jenem der Corona-Krise. Die Aktienmärkte sind kurzfristig eingebrochen, die Renditen bei langfristigen US-Staatsanleihen sind gestiegen. Ich bin jetzt seit dreissig Jahren dabei, aber eine solche Stimmung ist auch für mich neu.

Herrscht bei den Aufsichtsbehörden jetzt Alarmstufe Gelb oder Orange?
Wir haben kein Ampelsystem, aber die Aufsichtsbehörden sind derzeit in regem Kontakt. Wir tauschen uns häufiger aus als sonst. Jetzt zahlen sich auch langjährige persönliche Beziehungen aus. Ich spüre das selbst: Man geht auf Leute zu, die man lange kennt. Man telefoniert mehr, fragt nach Einschätzungen. Solche Beziehungen lassen sich nicht über Nacht aufbauen. Ich habe aktuell viele zusätzliche Kontakte in die USA und nach Asien.

Kennen Sie die neuen US-Finanzmarktregulierer?
Die meisten. Einige Personen, die nun Posten übernommen haben, kenne ich über meine Erfahrungen mit der Technologiebranche während meiner zehn Jahre in Asien. Das ist jetzt sehr wertvoll. Aber wir müssen auch festhalten: Der Handel verlief geordnet. Und insgesamt hat sich die Situation wieder etwas normalisiert. Wenigstens vorerst.

Sind die Börsianer einfach unverbesserliche Optimisten, die sich an jeden vermeintlichen Strohhalm von Trump klammern?
Das würde ich nicht so sagen. Aktienpreise spiegeln letztlich die Zukunftserwartungen wider. Wenn sich die Erwartungen ändern, ändern sich auch die Preise. Was auffällt: Zunehmend dominieren auch politische Zyklen die Märkte, nicht nur klassische Wirtschafts- und Investitionszyklen. Das macht es noch schwerer, die Zukunft einzuschätzen.

Und welche Folgen hat das für die Banken?
Bei hoher Unsicherheit sind hohe Stabilität und Resilienz noch wichtiger. Resilienz baut letztlich auf drei Pfeilern: auf einer stabilen Kapitalbasis, einer genügenden Liquidität und einer guten Corporate Governance. Einer meiner Lieblingsautoren, Mark Twain, soll gesagt haben: «History doesn't repeat itself, but it often rhymes», also die Geschichte wiederholt sich zwar nicht exakt, aber es gibt oft Parallelen. Ich sehe hier derzeit drei: Erstens, Reserven, sprich genug Kapital und Liquidität, nützen. Ein Finanzinstitut, das mit knappem Kapital und knapper Liquidität in eine Krise geht, kann nur noch Schadensbegrenzung betreiben. Umgekehrt eröffnen sich gerade in Krisen Chancen für diejenigen Banken, die gut aufgestellt sind. Zweitens, wahre Marktwirtschaft kennt keine Vollkasko-Garantie, und drittens: Es gilt, in Szenarien zu denken. Deshalb berechnen wir Stressszenarien, so etwa beim Kapital Verlustpotenzialanalysen über drei Jahre oder Liquiditätsengpässe über 90 Tage.

Kapitalreserven kosten. Deshalb wehrt sich ja auch die UBS gegen neue Kapitalanforderungen.
In der Tat sehen viele Banken in ruhigen Zeiten die Reservebildung nur als Kostenfaktor. Aber sie ist es, die in volatilen Phasen Chancen eröffnet. Das bestätigt sich immer wieder.

Die UBS sieht das aber nicht so.
Über die Kapitalfrage muss jetzt der Gesetzgeber entscheiden. Ich kann hier aus der Aufsichtsperspektive einfach zwei Punkte festhalten: Erstens sollte grundsätzlich Eigenkapital nicht teilweise fremdfinanziert sein. Dieser Grundsatz sollte unseres Erachtens auch für die Tochtergesellschaften einer Grossbank gelten. Dieses im Fachjargon «double leverage» genannte Vorgehen wurde 2012 bei der Überarbeitung der Eigenkapitalverordnung erlaubt. Uns scheint wichtig, das jetzt wieder rückgängig zu machen. Man darf ja als Privatperson auch nicht einen Kredit aufnehmen, um benötigte Eigenmittel für eine Hypothek zu beschaffen.

Und was der zweite Punkt?
Falls der Gesetzgeber entscheidet, dass Tochtergesellschaften im Ausland mehr Kapital halten müssen, sollten vorrangig deren Geschäftsaktivitäten betroffen sein. Daher wäre schwer nachvollziehbar, dass dadurch das Kreditgeschäft im Inland teurer werden soll.

Der Fall Credit Suisse zeigt, dass genug Kapital und genug Liquidität eben nicht ausreichen.
Es braucht in der Tat zusätzlich eine gute Unternehmensführung: Governance, Geschäftsmodell und Risikokultur sind entscheidend. Diese Faktoren stehen international jetzt zunehmend im Fokus. Das ist auch einer der Gründe, warum wir als Finma mehr eigene Vor-Ort-Kontrollen durchführen wollen. Stressszenarien und Kennzahlen sind wichtig, aber wenn es um Risikokultur, Governance und Geschäftsmodell geht, muss man tiefer gehen. Vor Ort kann man das viel besser und detaillierter beurteilen. Das ist sicherlich der dritte Pfeiler der Resilienz und wird immer wichtiger.

Muss die Finma dafür ihr Personal erhöhen?
Wir wachsen immer dann, wenn wir neue Themen und neue Aufgaben übernehmen. Das war so, als auch die unabhängigen Vermögensverwalter und die Versicherungsvermittler uns unterstellt wurden, das ist aber auch so bei neuen Risiken wie etwa den markant zunehmenden Cyberrisiken oder weiteren nichtfinanziellen Risiken wie Corporate Governance oder auch den neuen Gegebenheiten durch die heutige UBS. Wir finanzieren uns dabei nicht durch Steuergelder, sondern durch Gebühren der Institute, also nach dem Verursacherprinzip. Das heisst beispielsweise: Jede Stunde, die wir für die Credit Suisse zusätzlich aufgewendet haben, musste die Credit Suisse bezahlen.

Sie fordern neue Instrumente: Bussen, Transparenz und die Pflicht für ein sogenanntes Senior-Management-Regime, damit die Vorgesetzten mehr Verantwortung übernehmen müssen. Wird die Finma damit wirklich schlagkräftiger?
Ja, ich bin überzeugt davon. Wir brauchen einen vollständigen Werkzeugkasten auch für zukünftige, neu gelagerte Krisen. Wir wollen aber nicht einfach mehr Regeln, sondern dass Regelverstösse stärkere Konsequenzen haben. Wir setzen uns stark dafür ein, aber der Gesetzgeber muss entscheiden. Heute ist bei unserem Einschreiten, dem sogenannten Enforcement-Verfahren, zwar bereits bei 90 Prozent der Fälle der ordnungsgemässe Zustand innert drei Monaten wiederhergestellt, aber bei 10 Prozent dauert es wesentlich länger. Es geht also um die «renitenten» Institute. Diese testen letztlich nicht die Aufsicht, sondern die Möglichkeiten und Grenzen des Gesetzes. Der Gesetzgeber muss entscheiden und Klarheit schaffen.

Die Finma hat ihre Grenzen aber auch nicht ausgenutzt. Zu diesem Befund kommt jedenfalls die PUK in ihrem Bericht.
Wir haben unsere Lehren aus dem Credit-Suisse-Fall gezogen und bereits Ende 2023 festgehalten, unseren Ermessensspielraum nun noch konsequenter auszunutzen. Die PUK scheint aber klar der Ansicht, dass Ermessen allein nicht ausreicht. Denn sie unterstützt mit ihren Empfehlungen gesetzliche Anpassungen, die ich seit zwei Jahren auch öffentlich fordere. Wir sollten diese seltene Chance nutzen, um den Werkzeugkasten der Aufsichtsbehörde auch für zukünftige Krisen zu vervollständigen.

Die Hauptschuldigen des CS-Debakels, das hält auch die PUK fest, sind die CS-Manager und CS-Verwaltungsräte. Dennoch gab es auch Kritik an den Behörden. Von denen hat aber noch keine irgendwelche Fehler eingeräumt.

Es ist klar, dass man nach so einem Ereignis rückblickend nicht alles nochmals genau gleich machen würde. Dennoch: Das Ermessen noch mehr ausnutzen allein wird nicht reichen. Falls die Schweiz wirklich die Wahrscheinlichkeit eines weiteren solchen Ereignisses reduzieren will, dann braucht es stärkere Folgen für jene, die sich nicht an die Regeln halten. Und dafür braucht es nun mal auch Gesetzesanpassungen.

Wenn man den PUK-Bericht liest, hat man das Gefühl, es wurde nur ein Szenario wirklich durchdacht: nämlich die Übernahme der CS durch die UBS. Täuscht der Eindruck?
Die Behörden haben sich auf verschiedene Optionen vorbereitet. Unser gesetzlich vorgegebener Auftrag als Finma war es, die Sanierung vorzubereiten. Das haben wir auch gemacht und wir haben diese bereits fünf Monate vor besagtem Wochenende mit unseren Partnerbehörden anhand der konkreten CS-Daten geübt. Aber die gewählte Lösung war die beste, da sie die risikoärmste war.

Was ist mit der temporären Verstaatlichung, mit der sogenannten TPO-Lösung?
Das hätte letztlich einem Bailout entsprochen, also einer staatlichen Übernahme von Risiken, die privat eingegangen wurden – und somit genau dem, was man mit der Too-big-to-fail-Gesetzesrevision nach der Finanzkrise 2008 gerade vermeiden wollte.

Die Einzigen, die sich für das Debakel nicht verantworten müssen, sind die Banker. Muss sich da etwas ändern?
Absolut – hier hat sich anders als bei Liquidität und Kapital seit der letzten Finanzkrise klar zu wenig getan. Ich denke, dass das von uns geforderte Verantwortlichkeitsregime schon viel bringen würde. Damit wäre es einfacher, den gesetzlich notwendigen direkten kausalen Zusammenhang zwischen einer Person und einer Aufsichtsrechtsverletzung zu erbringen. Das ist sehr wichtig. Ebenfalls eine Wirkung entfalten dürfte die von uns geforderte Enforcement-Transparenz. Wir wollen Kunden, Investoren und Mitarbeiter über nachgewiesene Regelverletzungen, also abgeschlossene Enforcement-Verfahren in der Regel öffentlich informieren dürfen. Das lässt das Gesetz heute nicht zu. Im vergangenen Jahr etwa haben wir 38 Enforcement-Verfahren abgeschlossen, durften aber nur 5 Fälle publik machen. In 33 Fällen haben wir zwar Zähne gezeigt und den ordnungsgemässen Zustand wiederhergestellt, aber wir müssen dazu schweigen.

Könnten Sie nicht etwas mutiger sein und mehr Verfahren publik machen?
Nein, das geht nicht so einfach. Das Gesetz schreibt explizit vor, dass wir im Regelfall nicht kommunizieren dürfen. Banken gehen teilweise auch vor Gericht, wenn wir ein Verfahren öffentlich machen wollen, weil wir denken, dass es für die Kunden oder Investoren relevant wäre, darüber informiert zu werden. Heute können die fehlhaften Beaufsichtigten zu oft davon ausgehen, dass ihre Fehler zwar korrigiert werden müssen, aber vermutlich nie öffentlich werden. Das setzt falsche Anreize. Deshalb hätte mehr Transparenz auch einen stark präventiven Charakter.

Das spricht nicht wirklich für ein gutes Banker-Bild.
Der Gesetzgeber hat mit dem Too-big-to-fail-Regime viel gemacht, hat Vorschriften erlassen zu Kapital und Liquidität. Nun müssen wir ein verstärktes Augenmerk auf die Risikokultur und die Governance setzen. Das wurde, auch international, nach der Finanzkrise nicht gleich stark angegangen wie die harten Faktoren. Dazu braucht es eben auch die Bussen.

Gegen diese wehren sich Banken mit Vehemenz.
Das verstehe ich nicht. Denn wer sich an die Regeln hält, der hat nichts zu fürchten; im Gegenteil, es wird für den Konkurrenten, der sich nicht an Regeln hält, teurer. Bussen sind ein liberales Instrument und müssen durch diejenige Behörde erlassen werden, die auch die Lizenz oder Gewähr erteilt. Jeder, der falsch parkiert, bekommt ein Ticket. Doch bei der geltenden Gesetzgebung darf eine Bank wegen der aufschiebenden Wirkung noch relativ lange im Parkverbot stehen, muss dann nur umparkieren – und es gibt keine Busse. Das finde ich schwer nachvollziehbar. (bzbasel.ch)

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20 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Rannen
17.05.2025 13:14registriert Januar 2018
Grosse Worte! Ob wirklich die Lehren gezogen wurden wird sich weisen.! Zweifel sind angebracht
361
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N. Y. P.
17.05.2025 14:13registriert August 2018
Der Fokus auf Eigenkapitalvorschriften reicht mir nicht.

Was bringt ein gutes Kapitalpolster, wenn der Banken Run einsetzt? Genau, gar nichts. Dann wankt jede Bank.

Bei der CS war ein Problem, dass ihr Investmentbanking monströse Milliardenwetten machte. Die Bank höhlte ihr Kaital aus. Die anderen Banken im Ausland merkten das schon lange, nur in der Schweiz schliefen alle Instanzen den Schlaf des Gerechten.

Es müsste jetzt bei der UBS vor allem aufs Investmentbanking geschaut werden.

Aber irgendwie überzeugt mich das Interview nicht, tut mir leid. Das alles ist mir zu brav.
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