Haben Sie aufgrund der Klimakrise Ihren Fleischkonsum reduziert?
Dr. Robert Tobias: Ich habe meinen Fleischkonsum etwas angepasst und esse vorwiegend sogenanntes Abfallfleisch – Hackfleisch oder Innereien. Weil ich das sehr gerne mag und auch, weil ich es bedaure, dass es als Tierfutter verarbeitet wird. Die Option völliger Verzicht kam aber nie infrage. Ich muss zugeben, dass ich auch deshalb Fleisch esse, um die Diskussion anzuregen.
Können Sie das etwas ausführen?
Mich stört, dass sich die Debatte um klimaschonende Massnahmen auf den Fleischkonsum und das Autofahren fokussiert. Es gibt diverse andere Verhaltensveränderungen, die ebenfalls helfen – und für viele Leute einfacher umzusetzen wären.
Damit sind wir beim Thema. Wir wissen, dass wir unser Verhalten anpassen sollten – in welcher Form auch immer. Weshalb fällt die Umsetzung gewissen Menschen leichter als anderen?
Hinter der Frage steckt die Grundfrage, was das Verhalten der Menschen bestimmt. Weshalb verhalten wir uns, wie wir uns verhalten? Wir machen es uns bei der Beantwortung dieser Fragen häufig zu einfach. Wenn sich eine Person belastend für die Umwelt verhält, gehen wir automatisch davon aus, die Umwelt sei ihr nicht wichtig.
Es wirkt sicherlich so …
Aber es ist ein Trugschluss und eine drastische Vereinfachung. Ein Mensch, der Schweizer Produkte bevorzugt, ist auch nicht automatisch ein Ausländerfeind. Für Verhalten gibt es sehr unterschiedliche Gründe und Aspekte. Der Umweltaspekt kann einer Person wichtig sein, weil sich aber andere Aspekte aufsummieren, stellt sich das umweltbelastende Verhalten trotzdem als beste Wahl heraus.
Was sind das für Aspekte?
Da gibt es einerseits instrumentelle Aspekte – eher bewusste rationale Überlegungen, welche Vor- und Nachteile eine gewisse Handlung hat.
Häufig aber bestimmen andere Faktoren das Verhalten. Dazu gehören die symbolischen Aspekte: Mit einem gewissen Verhalten will man Mitmenschen und auch sich selbst zeigen, wer man ist, wer man sein will, was man gut findet, was man ablehnt. Im Zusammenhang mit Autos wurden diese symbolischen Aspekte schon untersucht. Der Grund, dass viele Leute ein Auto besitzen, ist oftmals nicht der praktische Nutzen, sondern die Möglichkeit, damit zu zeigen, wer man ist, z. B. dass man reich ist, Macht besitzt, stark ist.
Das erklärt die unpraktischen Autos in der Innenstadt.
Nicht nur das. Viele Velofahrende fahren nicht nur aus Vergnügen Velo, sondern auch um zu demonstrieren, dass sie umweltbewusst sind. Verhalten als Zeichen, als Image-Pflege. Aber es gibt noch eine weitere, oftmals unterschätzte Gruppe von Einflussfaktoren.
Und das sind?
Die dritte Gruppe der Einflussfaktoren sind Gefühle. Wie angenehm oder unangenehm ist ein bestimmtes Verhalten? Man muss dazu wissen, dass wir Menschen unsere Gefühle regulieren müssen. Wir lernen das bereits als Kind. Wir müssen versuchen, emotional in einem positiven Bereich zu bleiben. Um das zu erreichen, führen wir gewisse Verhaltensweisen durch. Das klassische Beispiel sind die Süssigkeiten nach einem schlechten Tag. Oder wir schauen zur Entspannung einen Film, weil wir wissen, dass wir uns danach wieder besser fühlen. So bauen wir Stress ab. Diese Verhaltensweisen sind notwendig und wir eignen sie uns über die Jahre an. Sie später zu ändern, fällt uns daher sehr schwer. Befiehlt man das den Leuten gar, nimmt man ihnen ein Mittel, ihre Emotionen zu regulieren. Das wird als Bedrohung aufgefasst und dagegen wehren sie sich.
Um auf die klassischen Beispiele zurückzukommen: Autofahren oder Fleischessen können solche regulierenden Handlungen sein?
Ja. Für viele Leute schon. Gerade mit der Ernährung können viele Menschen ihre Emotionen regulieren.
Diesen Menschen wird es sehr schwerfallen, ihre Handlungen anzupassen?
Bei der Ernährung ist die Gruppe, bei der man wenig bis nichts erreichen kann, vermutlich gross. Das erkennt man nur schon daran, dass sich der Fleischkonsum in der Schweiz in den vergangenen Jahren nicht wirklich verringert hat – und das, obwohl Fleischersatzprodukte boomen. Es sieht so aus, als würden die einfach noch on top konsumiert.
Beim Autofahren?
Ich glaube, da ist das Potenzial grösser. Einerseits sind wohl viele Fahrten, z. B. beim Pendeln, nicht so angenehm und andererseits bringt eine effizientere Nutzung von Autos – z. B. nicht allein zu fahren – nicht nur der Umwelt etwas, sondern man kann auch Geld und eventuell Zeit sparen.
Wie regulieren wir sonst noch unseren Emotionshaushalt?
Selbstbelohnung, Trost, Entspannung, Ablenkung, sozialer Austausch – die Palette von Strategien, um zu positiveren Emotionen zu kommen, ist gross. Unsere Emotionen werden täglich durch negative Einflüsse belastet und mit unserem Verhalten versuchen wir, uns wieder auf eine positive Stimmungslage zu hieven.
Und in der Summe können diese regulierenden Massnahmen zur paradoxen Situation führen, dass wir umweltschädlich handeln, obwohl wir eigentlich gerne das Klima schützen würden?
Ja. Wenn wir – um zu positiven Emotionen zu kommen – ein Verhalten brauchen, welches die Umwelt belastet, geht das Verhindern einer Depression dem Umweltschutz vor. Es mag dann schwierig nachvollziehbar sein, warum die Personen ihre Emotionen nicht anders regulieren, vor allem, wenn man selbst andere Strategien verwendet. So passiert es, dass die Person, welche ihren Stress mit Velofahren abbaut, nicht verstehen kann, warum die andere dazu ihr Auto tunt – und umgekehrt.
Wie ist es mit externen «Hilfen»? Können leidenschaftliche AutofahrerInnen von angeklebten und blockierenden Demonstrierenden «umgepolt» werden?
Wir Menschen sind fähig, unsere Verhaltensweisen zu ändern. Doch das ist ein schwieriger Prozess, der kaum im Druck des Alltagsstresses ablaufen kann – und schon gar nicht, wenn die Alternativen den Druck noch vergrössern. Deshalb glaube ich nicht, dass jemand, der gerne Auto fährt, durch eine Blockade umgestimmt werden kann. Im Gegenteil. Ich glaube, dass so Sympathien verspielt werden.
Was man sich in diesem Zusammenhang auch überlegen muss, ist, dass es im Erfolgsfall zu Nachahmern kommen könnte, weil von einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Akzeptanz ausgegangen werden kann, seinen Willen so durchzusetzen.
Die Demonstranten fühlen sich moralisch überlegen, glauben, es sei für die gute Sache.
Die Ziele der Demonstrierenden finde ich auch gut, aber diese heiligen nicht die Mittel. Wenn man die Mittel beurteilt, sollte man sich überlegen, ob man diese immer noch gut findet, wenn sie für Ziele eingesetzt werden, welche man ablehnt. In den USA beobachtete ich etwa Pro-Life-Demonstrierende, welche genauso Blockaden verwendeten, in diesem Fall vor Abtreibungskliniken. Frauen, die abtreiben wollten, mussten zuerst einen Spiessrutenlauf durch schimpfende Demonstranten hinter sich bringen. Wenn ich so etwas ablehne, kann ich dieselbe Massnahme nicht gutheissen, nur weil nun meine Meinung vertreten wird.
Was bringen aggressiv aufklärende Massnahmen, wie zum Beispiel Fotos von Raucherlungen auf Zigarettenschachteln? Könnte man sich so etwas auch beim Klimaschutz vorstellen? Aufkleber von ausgeweideten Tieren auf Fleischprodukten?
Warnungen auf Zigarettenschachteln scheinen zwar tatsächlich zu mehr Versuchen zu führen, das Rauchen aufzugeben, aber diese Versuche scheitern meist. Das Problem ist, dass andere Faktoren wie Gewohnheiten, Normen oder Vor- und Nachteile im Vergleich zu Alternativen mitspielen. Einfach nur Druck auszuüben, bringt da wenig. Deshalb sehe ich im Zusammenhang mit dem Klimaschutz auch kein Potenzial.
Was ist mit der viel zitierten veganen Person, die immer allen sofort und ungefragt unter die Nase reibt, dass sie vegan ist? Leistet das Überzeugungsarbeit?
Das schon eher – es kommt aber sehr darauf an, wie man so etwas macht. Grundsätzlich ist es so, dass Menschen sich stark von ihrem sozialen Umfeld beeinflussen lassen. Aber in dem Moment, in dem sie sich unter Druck gesetzt fühlen oder empfinden, dass die andere Person sie zu dominieren versucht, kommt es schnell zu Widerständen – und auch Trotzreaktionen. Bei der Ernährung geschieht dies sehr schnell. Man muss deshalb behutsam vorgehen. In anderen Bereichen ist man damit erfolgreicher. Ich denke dabei ans Stromsparen oder ans Recycling. Diese Themen sind weniger emotional behaftet und der symbolische Wert ist kleiner. Beim Klimawandel, bei dem so viele Verhaltensweisen eine Rolle spielen, ist es eigentlich verschwendete Energie, eine bestimmte Verhaltensweise durchzwängen zu wollen. Man darf den Effektivitäts-Gedanken nicht vernachlässigen. Wieso die Kräfte nicht darauf konzentrieren, wo die Leute eher bereit sind, sich zu ändern?
Das tönt etwas ernüchternd – Autofahren und Fleischessen sind grosse Posten in der Schweizer CO₂-Rechnung.
Wenn Emotionen oder das, was die Handlungen symbolisieren, einer Verhaltensänderung im Weg stehen, wird es enorm schwierig, diese zu erreichen. Dort macht es dann eben viel mehr Sinn, andere Bereiche zu suchen. Statt auf das Auto zu verzichten, kann man es effizienter nutzen oder weniger Kilometer zurücklegen; statt vegan zu werden, kann man nur noch Leitungswasser trinken oder weniger Sport treiben, um weniger zu essen. Es gibt viele Möglichkeiten, denn die meisten Handlungen haben einen beträchtlichen Umwelt-Impact.
Wir können nicht alle Personen dazu bringen, in sämtlichen Bereichen Verhaltensweisen zu zeigen, welche einen minimalen Umwelt-Impact bedeuten. Zum Glück. Denn so wollen wir gar nicht leben und diese Macht zu haben, würde eine untragbare Verantwortung mit sich bringen.
Wir werden aber die Probleme der Klimakrise oder des Biodiversitätsverlusts ohnehin nicht durch Einschränkungen des individuellen Handelns allein lösen können. Da braucht es mehr.
Sie sprechen institutionelle Massnahmen an. Braucht es Gesetze für Firmen?
Gesetze für Firmen sind ein mächtiges Instrument. Nur schon deshalb, weil die Umsetzungsrate sehr hoch ist im Vergleich zu Massnahmen der individuellen Verhaltensänderung, und weil es Unternehmen Raum für neue Produkte öffnet. Ich bin aber kein Ökonom, ich schätze das nur ab.
Ist die Menschheit aus verhaltenspsychologischer Sicht überhaupt genug flexibel, um die Klimaziele noch zu erreichen?
Die Menschheit ist in der Lage, die Probleme zu lösen. Aber wir müssen von der Idee wegkommen, zu glauben, es liege nur am individuellen Verhalten. Wir müssen uns immer wieder in Erinnerung rufen, dass Verhalten von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird – und diese für uns nicht immer ersichtlich sind. Es braucht auch auf struktureller Ebene Massnahmen – und: Wir müssen die Bevölkerung reduzieren, insbesondere in den Ländern, welche einen grossen Impact haben. Ich persönlich finde die Kampagnen, dass wir wieder mehr Kinder haben sollten, problematisch. Vielmehr ist eine Reduktion der Bevölkerungsgrösse notwendig.
Wer auf Fleisch verzichten kann: super, grossartig! Man sollte das versuchen und auch propagieren. Nur schon die Portionen zu verkleinern hilft. Der Genuss steigt ja nicht mit der Menge. Ich empfehle aber, diverser zu denken. Es gibt mehr als nur Fleisch und Autos. Wenn wir davon abkommen, bei allen Menschen ganz bestimmte Verhaltensweisen ändern zu wollen, und dafür jede Person in ihrem ganzen Raum an Handlungen jene Verhaltensweisen ändert, die sie relativ einfach ändern kann, dann bin ich zuversichtlich, dass wir das hinbekommen mit dem Klima.
Einzig beim Zeitfaktor bin ich skeptisch. Für das 1,5-Grad-Ziel laufen die menschlichen Mühlen zu langsam. Aber wir werden den Rank finden, bevor es wirklich schlimm wird.
"... jede Person in ihrem ganzen Raum an Handlungen jene Verhaltensweisen ändert, die sie relativ einfach ändern kann ..."
Selbst kleinste Änderungen scheinen für viele zu mühsam zu sein. Sehe das in meinem Umfeld. Sei es eine plastikfreie Alternative, ein Mü weniger Fleisch zu essen oder im Winter mit Pulli rumzulaufen: selbst wenn der Einfluss auf das eigene Leben im Promillebereich ist scheint es zu viel; aus Bequemlichkeit, Desintresse oder Unwissenheit.
Vollkommen gleicher Meinung…
Für das erste Kind sollten wie bisher Zulagen und Abzüge gelten, für das Zweite nur noch die Hälfte und für jedes weitere gar nix…