Seit rund einem halben Jahr steht die Genferin Lisa Mazzone den Grünen als Präsidentin vor. Innert kurzer Zeit hat sie der Partei ein neues Gesicht verpasst: Mit viel Vehemenz treten die Grünen auf – trotz oder vielleicht gerade wegen der Wahlniederlage vor einem Jahr. Im Gespräch bekräftigt Mazzone den eingeschlagenen Kurs und meldet auch gleich Ambitionen für die Landesregierung an.
Frau Mazzone, vor einem halben Jahr sagten Sie in einem Interview, sie wollen die Welt verändern. Ist Ihnen das schon gelungen?
Lisa Mazzone: (Lacht.) Also meine Welt hat sich definitiv verändert. Und nach einem Jahr Rechtsrutsch im Parlament stellen wir fest, dass es zu massiven Rückschritten kommt. Diese zu bekämpfen, ist aktuell unsere Hauptaufgabe. Es ist Zeit, Klartext zu sprechen. Und laut zu sein. Man darf keine Angst haben, anzuecken. Dort, wo die Einschnitte besonders gravierend sind, sind uns auch Erfolge gelungen. Unsere Referendumsandrohung hat etwa dazu geführt, dass der Lärmschutz nicht völlig abgebaut ist, wie zwischenzeitlich gedacht.
Sie sind angetreten mit dem Anspruch, die Grünen in der ganzen Schweiz zu besuchen. Welche Kantonalpartei bereitet Ihnen am meisten Sorgen?
Besucht habe ich fast alle – der Thurgau fehlt aber zu meiner Schande noch. Sorgen bereitet mir eigentlich keine. Nach den Wahlen dachte ich, die Stimmung sei schlecht. Das Gegenteil ist der Fall: Unsere Leute sind sehr engagiert, sehr mobilisiert. Ich konnte auch verschiedene Neugründungen von Ortsparteien miterleben.
Und jetzt veranstalten Sie eine Delegiertenversammlung in Herisau, wo es die Grünen gar nicht gibt.
Wir haben die Ambition, eine Kantonalpartei Appenzell-Ausserrhoden zu gründen! Grüne gibt es in der ganzen Schweiz. Was es braucht, sind Strukturen, um sich zu organisieren. Daran arbeiten wir, um dem aktuellen Abbau der Klimapolitik entgegenzuwirken.
Die Grünen gelten als Verbotspartei – da essen Sie doch auf dem Land bestimmt noch immer hartes Brot.
Umso mehr wird es Zeit, dass wir kommen und zeigen, wie wir lösungsorientierte Politik verfolgen! Auf dem Land zeigen sich die Auswirkungen, wenn man des Nichttuns im Bereich Klima deutlich. Ich war etwa im Tessin, wo es dramatische Unwetter gegeben hat. Und dramatische Konsequenzen.
Sie sind die einzige Parteipräsidentin ohne Parlamentsmandat. Ein Vorteil oder ein Nachteil?
Das hat schon Vorteile. Zeit ist ein wesentlicher Faktor. Ich wüsste nicht, wie ich Ständerat und Parteipräsidium neben der Familie unter einen Hut bringen würde. Aber es braucht Absprache, vor allem mit Fraktionspräsidentin Aline Trede.
Kämpfen werden Sie nicht zuletzt gegen Atomkraftwerke, Hauptthema an der heutigen Delegiertenversammlung. Sind Sie Energieminister Albert Rösti dankbar, dass er deren Bauverbot aufheben will und so die Grünen in einem Energiethema eint?
Wir waren schon sehr einig beim Stromgesetz, das für den Ausbau der erneuerbaren Energie sorgt. Wir haben es im Parlament entscheidend geprägt und unsere Basis überzeugt. Ich bin Bundesrat Rösti sicher nicht dankbar, im Gegenteil. Mit dieser Atomdebatte verlieren wir Zeit: die Politik, die Verwaltung, die Stromkonzerne. Es ist eine Sabotage der Energiewende, das werden wir hart bekämpfen.
Man kann das auch anders sehen: Die Atomdebatte erhöht den Druck, die Erneuerbaren schnell auszubauen.
Überhaupt nicht. Nur schon die Planung eines neuen AKW verschlingt Geld. Geld, das den Erneuerbaren fehlen wird. Es gibt keine neue AKW ohne massive Subventionen.
Gegen zentrale Projekte des Stromgesetzes gibt es Widerstand aus Umweltverbänden. Ist das auch eine Sabotage der Energiewende?
Ich bin Präsidentin der Grünen, nicht der Umweltverbände. Wir wollen diese Stromprojekte, deshalb haben wir sie im Gesetz geschrieben. Das Stromgesetz war ein Projekt, das den Ausbau der Erneuerbaren klar vorantreibt. Was ich hingegen unehrlich finde: Wenn bereits drei Monate nach der Abstimmung entgegen den Versprechen die demokratische Mitsprache an diesen Projekten beschnitten werden soll.
Sie sprechen den Vorschlag der ständerätlichen Umweltkommission an, das Verbandsbeschwerderecht bei den 16 Wasserkraftprojekten, die im Stromgesetz verankert sind, auszuhebeln.
Ja, unter anderem. Es gibt in dieser Vorlage auch weitere Angriffe auf den Naturschutz. Hier zeigt das Parlament einfach kein Gespür für die demokratischen Rechte. Das Stromgesetz ist noch nicht einmal in Kraft!
Man könnte auch argumentieren: Das Stromgesetz wurde mit 70 Prozent Ja-Anteil angenommen. Das ist reichlich Marge für weitere Einschnitte zulasten des Umweltrechts.
Diese 70 Prozent kamen nicht zuletzt dank uns und den Umweltverbänden zustande. Wie es herauskommt, wenn man uns nicht miteinbezieht, hat man im Wallis gesehen. Dort haben wir das Referendum gegen die Umsetzung des Solarexpress gewonnen. Wenn es Korrekturen braucht, muss es aufgrund der Erfahrung sein und nicht als Salamitaktik, um die Natur zu zerstören.
SP-Energiepolitiker Roger Nordmann spricht sich dafür aus, das Verbandsbeschwerderecht bei diesen 16 Wasserkraftprojekten auf nur einen Instanzenentscheid zu reduzieren. Wären Sie da kompromissbereit oder ist Ihr Widerstand absolut?
Das Verbandsbeschwerderecht wurde seit jener Abstimmung bereits mehrfach angegriffen. Man muss die Wirkung der Vorschläge ganz genau anschauen. Die Diskussionen laufen. Aber was klar ist: die Mehrheit der Beschwerden bekommt recht. Wenn ein Projekt gesetzeswidrig ist, ist es richtig, es anzupassen.
Womit wir wieder bei der Referendumsdrohung wären.
Im Moment erleben wir in Bundesrat und Parlament eine rechte Machtdemonstration. Ob Gebäudesanierungen, Nachtzüge oder Prämienverbilligungen: Der Bundesrat will Gelder kürzen und missachtet damit demokratische Entscheide auf rücksichtslose Weise. Den Grünen kommt nun eine noch grössere Oppositionsrolle zu, wie ich sie vor sechs Monaten nicht erwartet hatte.
Wie meinen Sie das?
Der Bundesrat ist aktuell eine No-Future-Regierung: keine Massnahmen gegen die Klimakrise, kein Geld für Kinderbetreuung, stattdessen Milliarden für die Armee mit Panzer und Artillerie. Man spürt keinerlei Vision für die kommenden drei Jahrzehnte. Es ist die Aufgabe der Grünen, hier dagegenzuhalten und eine Zukunftsvision zu bringen.
Sie tun so, als ob der Bundesrat durchregiert – und das Parlament nichts zu sagen hätte.
Den Rechtsrutsch gibt es auch im Parlament: Die FDP nähert sich in Ton und Stil der SVP gefährlich an. Und ja, die Fronten sind aktuell verhärtet; es gibt weniger Spielraum für Kompromisse, denen wir stets Hand geboten hatten. Aber nehmen wir beispielsweise das Sparprogramm, welches die kommenden Jahre entscheidend prägen wird. Investiert man in Bildung, Chancengleichheit oder Panzer? Das ist ein politischer Entscheid. Hier gibt der Bundesrat die Richtung vor.
Halten Sie den Bundesrat für antidemokratisch?
Ja, dort, wo er Volks- und Parlamentsentscheide missachtet. Und er ist konkordanzwidrig.
Man könnte auch sagen: Der Bundesrat handelt entsprechend seinen Mehrheiten.
Die Schweiz funktioniert nicht so. Das Prinzip der Konkordanz verlangt, dass man alle Kräfte berücksichtigt. Der Bundesrat widerspiegelt die aktuellen Kräfteverhältnisse im Parlament und im Volk nicht. Deshalb führt das aktuelle Gebaren zu Blockaden. Manchmal im Parlament, spätestens aber im Volk, wie man bereits bei der 13. AHV oder der Pensionskassenreform sehen konnte. Das ist schlecht für unser Land, gerade angesichts der aktuellen Herausforderungen. Deshalb braucht es einen Wechsel im Bundesrat, spätestens in drei Jahren nach den nächsten Wahlen.
Lieber zwei Mitte-Bundesräte als zwei FDP-Vertreter?
Es braucht Grüne im Bundesrat und überhaupt mehr Vielfalt, auch bezüglich des Alters seiner Mitglieder. Diese Rücksichtslosigkeit muss enden.
Und bis in drei Jahren wollen Sie nun die Vetomacht der Grünen unter Beweis stellen?
Ja. Es wird eine Referendumslegislatur geben. Und die ersten Siege haben wir bereits eingefahren. Das deutliche Nein zur Pensionskassenreform war historisch. (aargauerzeitung.ch)
Elitär von links bis rechts, die Jungen sind untervertreten, ebenso die einfache Bevölkerung, der einfache Mittelstand, die Mieter…
Für mich als Grüner der ersten Stunde zum fremdschämen.
Next Stop: unter 5%.