Sie haben letzten Sommer das Präsidium der Covid-19-Taskforce abgeben. Haben Sie das bereut?
Matthias Egger: Nein. Ich denke, ich war wohl der Richtige, um die Task Force aufzubauen, da ich als Präsident des Forschungsrats ein grosses Netzwerk habe. Aber auf längere Sicht war die Task-Force-Leitung neben meiner Arbeit beim Nationalfonds und in der Forschung nicht machbar.
Sie haben letztes Jahr früh vor einer zweiten Welle gewarnt und gemahnt, die Schweiz reagiere zu spät. Sie hatten Recht, wie man inzwischen weiss. Sind Sie enttäuscht von der Politik?
Es geht mir nicht darum, Recht zu haben. Ich wäre froh, ich wäre falsch gelegen. Aber man sah schon im Juni, dass die Fallzahlen langsam, aber stetig zunahmen. Im Rückblick glaube ich nicht, dass man die zweite Welle hätte verhindern können. Aber man hätte das Ausmass vielleicht halbieren können, wenn man mehr auf die Wissenschaftlerinnen gehört hätte.
Das heisst: deutlich weniger Fälle?
Ja, aber, was mich besorgte, waren vor allem die vielen Todesfälle. Anfang Oktober sagten wir alle: Jeder Tag zählt. Dann ging es zwei Wochen, bis der Bundesrat handelte. Das war für mich persönlich enttäuschend. Auf der anderen Seite muss man als Wissenschaftler akzeptieren, dass man nicht Entscheidungsträger ist. Was ich mir wünsche, ist, dass die Politik sich ernsthaft bemüht, die Argumente der Wissenschaft zu verstehen – und auch erklärt, warum sie diesen zum Teil nicht folgt. Denn wenn wir uns gegenseitig besser verstehen, stärkt das letztlich auch unsere Demokratie.
Wie beurteilen Sie die aktuelle epidemiologische Situation und die Lockerungsstrategie?
Die Lage ist fragil. Sie wird jede Woche neu von der Taskforce beurteilt.
Sie sagten im Mai 2020, es sei möglich, dass wir noch zwei Jahre mit Abstandsregeln und Masken leben müssen. Wie schätzen Sie das heute ein?
Positiver. Damals wusste man noch nicht, wann die Impfungen kommen – nun haben wir eine ganze Palette davon. Ich gehe davon aus, dass wir dieses Jahr zu einer Normalität zurückkehren können, sobald der grösste Teil der Bevölkerung geimpft ist. Wobei auch das mit einer Unsicherheit behaftet ist, weil es weitere Mutationen geben kann, die das Virus ansteckender oder virulenter machen. Darum wäre es sehr wichtig, dass es mit dem Impfen rasch vorwärts geht.
Dasselbe wünsche ich mir in den Unternehmen:
Dass die Geschäftsleitung sich ernsthaft bemüht, die Argumente der internen Spezialisten zu verstehen – und auch erklärt, warum sie diesen zum Teil nicht folgt. Denn wenn wir uns gegenseitig besser verstehen, stärkt das letztlich auch unsere Unternehmenskultur...
Eigentlich ein Armutszeugnis für Volk und Regierung.
Hoffen wir dass man bei der nächsten Öffnung mehr mit Augenmass arbeitet, nochmals ein Debakel kann sich die Schweiz nicht leisten. Mit dem Impfen hat die Schweiz zumindest einen Verbündeten um bei der nächsten Öffnung nicht zwischen Stuhl und Bank zu fallen. Aber auch heute und in naherZukunft ist Vorsicht geboten.
Da gebe ich ihm recht. Die Politik muss unterschiedliche Bedürfnisse berücksichtigen, soll aber transparent erklären, aufgrund welcher und vorallem wessen Bedürfnissen sie manchmal nicht auf die Wissenschaft hört. Gilt bei der Coronakrise, aber auch bei der Klimakrise...