Schweiz
Interview

Ex-Taskforce-Chef: «Aber man hätte das Ausmass vielleicht halbieren können»

Matthias Egger, Praesident National COVID-19 Science Task Force, spricht waehrend einer Medienkonferenz zur Situation des Coronavirus, am Freitag, 1. Mai 2020, in Bern.(KEYSTONE/Peter Schneider)
Der Berner Epidemiologe Matthias Egger warnte früh vor der Gefahr einer zweiten Welle.Bild: KEYSTONE
Interview

Ex-Taskforce-Chef: «Aber man hätte das Ausmass vielleicht halbieren können ...»

Der Epidemiologe Matthias Egger übernahm vor rund einem Jahr die Leitung der neu gegründeten Covid-19-Taskforce. Inzwischen ist er nicht mehr Mitglied. Nun schaut der ehemalige Taskforce-Chef zurück – und wagt auch einen Blick in die Zukunft.
10.03.2021, 05:22
Maja Briner / ch media
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Sie haben letzten Sommer das Präsidium der Covid-19-Taskforce abgeben. Haben Sie das bereut?
Matthias Egger: Nein. Ich denke, ich war wohl der Richtige, um die Task Force aufzubauen, da ich als Präsident des Forschungsrats ein grosses Netzwerk habe. Aber auf längere Sicht war die Task-Force-Leitung neben meiner Arbeit beim Nationalfonds und in der Forschung nicht machbar.​

Sie haben letztes Jahr früh vor einer zweiten Welle gewarnt und gemahnt, die Schweiz reagiere zu spät. Sie hatten Recht, wie man inzwischen weiss. Sind Sie enttäuscht von der Politik?
Es geht mir nicht darum, Recht zu haben. Ich wäre froh, ich wäre falsch gelegen. Aber man sah schon im Juni, dass die Fallzahlen langsam, aber stetig zunahmen. Im Rückblick glaube ich nicht, dass man die zweite Welle hätte verhindern können. Aber man hätte das Ausmass vielleicht halbieren können, wenn man mehr auf die Wissenschaftlerinnen gehört hätte.

Das heisst: deutlich weniger Fälle?
Ja, aber, was mich besorgte, waren vor allem die vielen Todesfälle. Anfang Oktober sagten wir alle: Jeder Tag zählt. Dann ging es zwei Wochen, bis der Bundesrat handelte. Das war für mich persönlich enttäuschend. Auf der anderen Seite muss man als Wissenschaftler akzeptieren, dass man nicht Entscheidungsträger ist. Was ich mir wünsche, ist, dass die Politik sich ernsthaft bemüht, die Argumente der Wissenschaft zu verstehen – und auch erklärt, warum sie diesen zum Teil nicht folgt. Denn wenn wir uns gegenseitig besser verstehen, stärkt das letztlich auch unsere Demokratie.

Zur Person
Matthias Egger ist Professor für Epidemiologie und Public Health an der Universität Bern und Präsident des Nationalen Forschungsrats des Schweizerischen Nationalfonds. Er forscht vor allem zu Infektionskrankheiten, etwa zu HIV. Im März 2020 übernahm er die Leitung der Covid-19 Task Force; inzwischen ist er nicht mehr Mitglied. Der 63-Jährige ist verheiratet mit der Epidemiologin Nicola Low und hat zwei Töchter.

Wie beurteilen Sie die aktuelle epidemiologische Situation und die Lockerungsstrategie?
Die Lage ist fragil. Sie wird jede Woche neu von der Taskforce beurteilt.

Sie sagten im Mai 2020, es sei möglich, dass wir noch zwei Jahre mit Abstandsregeln und Masken leben müssen. Wie schätzen Sie das heute ein?
Positiver. Damals wusste man noch nicht, wann die Impfungen kommen – nun haben wir eine ganze Palette davon. Ich gehe davon aus, dass wir dieses Jahr zu einer Normalität zurückkehren können, sobald der grösste Teil der Bevölkerung geimpft ist. Wobei auch das mit einer Unsicherheit behaftet ist, weil es weitere Mutationen geben kann, die das Virus ansteckender oder virulenter machen. Darum wäre es sehr wichtig, dass es mit dem Impfen rasch vorwärts geht.

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45 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Rethinking
10.03.2021 06:03registriert Oktober 2018
„Was ich mir wünsche, ist, dass die Politik sich ernsthaft bemüht, die Argumente der Wissenschaft zu verstehen – und auch erklärt, warum sie diesen zum Teil nicht folgt. Denn wenn wir uns gegenseitig besser verstehen, stärkt das letztlich auch unsere Demokratie.“

Dasselbe wünsche ich mir in den Unternehmen:

Dass die Geschäftsleitung sich ernsthaft bemüht, die Argumente der internen Spezialisten zu verstehen – und auch erklärt, warum sie diesen zum Teil nicht folgt. Denn wenn wir uns gegenseitig besser verstehen, stärkt das letztlich auch unsere Unternehmenskultur...
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FrancoL
10.03.2021 05:47registriert November 2015
Wenn man das Interview genauer betrachtet zeigt es ein x-tes mal auf, dass die Schweiz eine sehr gute Ausgangslage im letzten Spätfrühling, nach der 1. Welle hatte und diese aus welchen Gründen auch immer verspielt hat.
Eigentlich ein Armutszeugnis für Volk und Regierung.
Hoffen wir dass man bei der nächsten Öffnung mehr mit Augenmass arbeitet, nochmals ein Debakel kann sich die Schweiz nicht leisten. Mit dem Impfen hat die Schweiz zumindest einen Verbündeten um bei der nächsten Öffnung nicht zwischen Stuhl und Bank zu fallen. Aber auch heute und in naherZukunft ist Vorsicht geboten.
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weissauchnicht
10.03.2021 09:18registriert März 2019
„Was ich mir wünsche, ist, dass die Politik sich ernsthaft bemüht, die Argumente der Wissenschaft zu verstehen – und auch erklärt, warum sie diesen zum Teil nicht folgt. Denn wenn wir uns gegenseitig besser verstehen, stärkt das letztlich auch unsere Demokratie.“

Da gebe ich ihm recht. Die Politik muss unterschiedliche Bedürfnisse berücksichtigen, soll aber transparent erklären, aufgrund welcher und vorallem wessen Bedürfnissen sie manchmal nicht auf die Wissenschaft hört. Gilt bei der Coronakrise, aber auch bei der Klimakrise...
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