Schweiz
Justiz

Prostitution verstösst nicht mehr gegen Sittlichkeit

«Seit Jahrzehnten überfällig»: Prostitution verstösst nicht mehr gegen Sittlichkeit

Beraterinnen von Sexarbeiterinnen und auch Milieu-Anwalt Valentin Landmann reagieren erleichtert auf einen Entscheid aus Lausanne.
05.02.2021, 08:30
Pascal Ritter / ch media
Mehr «Schweiz»
Prostitution: Bauch mit Strichcode
Wegweisendes Urteil zur Prostitution in der Schweiz.Bild: shutterstock.com

Sie mussten bisher zwar Steuern und AHV bezahlen. Wenn Sexarbeiterinnen aber ihre Forderungen gegenüber einem Freier vor Gericht geltend machen wollten, hatten sie schlechte Karten. Das Bundesgericht bezeichnete Prostitution in älteren Urteilen als sittenwidrig; und gemäss Obligationenrecht ist ein Vertrag, der gegen die guten Sitten verstösst, nichtig.

In einem neuen Urteil hält das Bundesgericht nun fest, dass Verträge zwischen Prostituierten und Freiern nicht mehr «uneingeschränkt als sittenwidrig» bezeichnet werden können. Beraterinnen von Sexarbeiterinnen fällt damit ein Stein vom Herzen. Rebecca Angelini von «ProCoRe», dem nationalen Netzwerk von Beratungsstellen für Sexarbeitende, sagt: «Dieses Urteil ist ein Meilenstein. Es war seit Jahrzehnten überfällig.»

Sexarbeitende gingen ihrem Gewerbe oft unter prekären Bedingungen nach. Es bestehe ein Machtgefälle zwischen Prostituierten auf der einen Seite und Freiern und Salonbetreibern auf der anderen Seite. «Das Urteil führt nun dazu, dass die Verhandlungsposition der Sexarbeitenden gestärkt wird», sagt Angelini.

Ähnlich sieht es Doro Winkler von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration. Sie sagt: «Es war höchste Zeit, diesen alten Zopf endlich abzuschneiden.» Die bisherige Situation beschreibt sie als «unhaltbar», weil die Rechtssicherheit fehlte.

Valentin Landmann: «Perverse und kuriose Urteile»

Der Milieu-Anwalt und Zürcher SVP-Kantonsrat Valentin Landmann begrüsst das Urteil ebenfalls. Er spricht von «kuriosen und perversen» Entscheiden, welche Gerichte noch bis vor wenigen Jahren getroffen hätten. Er will die Sittlichkeit ganz aus den Gesetzen streichen.

«Entweder ist etwas erlaubt oder illegal», sagt Landmann. Politische Vorstösse zur Verbesserung der rechtliche Situation von Prostituierten hatten bisher zwar breite Unterstützung, wurden aber nicht umgesetzt. Der Kanton Bern lancierte 2012 unter dem Titel «Prostitution ist nicht sittenwidrig» eine Standesinitiative. Das Geschäft wurde im Parlament abgeschrieben. Gerichte sollten entscheiden, wann ein Vertrag unsittlich sei, hiess es. Auch der Bundesrat teilt diese Ansicht.

Anwalt Valentin Landmann posiert am Freitag, 21. September 2012, in seinem Buero in Zuerich. Landmann nimmt Stellung zur sofortigen Freistellung Christoph Moergelis als Konservator des Medizinhistoris ...
Valentin LandmannBild: KEYSTONE

Von den Gerichten kamen entsprechende Signale. Das Bezirksgericht Horgen ZH entschied im Juli 2013, dass Forderungen einer Prostituierten gegenüber ihrem Freier nicht gegen die Sittlichkeit verstossen.

Rebecca Angelini von «ProCoRe» weist darauf hin, dass das Urteil zwar ein Durchbruch sei für Sexarbeitende. Es würden damit aber nicht alle Probleme gelöst. «In der Coronakrise merken wir noch deutlicher, wie Sexarbeitende diskriminiert werden.» So sei die Sexarbeit in einigen Kantonen derzeit verboten, andere körpernahe Dienstleistungen aber weiterhin erlaubt. Bis zur tatsächlichen Gleichstellung sei es noch ein weiter Weg.

Angelini begrüsst, dass Prostitution nicht in einem speziellen Gesetz geregelt wird. Es handle sich um eine Erwerbsarbeit, für die die gleichen Regeln gelten sollen wie für andere Gewerbe.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die Sex-Abo-Falle
1 / 36
Die Sex-Abo-Falle
Die dubiose britische Firma Pulsira Limited hat zahlreiche Porno-Sites betrieben, Zutritt «Strikt ab 18 Jahren» ...
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Bei diesen Sex-Inseraten kann sich niemand zurückhalten
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
47 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
insert_brain_here
05.02.2021 09:23registriert Oktober 2019
Zu meinem Erstauenen finde ich mich voll auf der Linie von Landmann: Entweder etwas ist per Gesetz verboten und damit illegal oder es ist legal, alles andere gehört ins Mittelalter.
24867
Melden
Zum Kommentar
avatar
chrissy_dieb
05.02.2021 08:56registriert Januar 2020
Ich glaube für den Leser wäre es dienlich, wenn er wüsste, wie es überhaupt zu diesem Urteil kam. Denn es fiel nicht einfach aus heiterem Himmel. Hier jedenfalls die Hintergrundgeschichte:

"Ein Mann, der einer Frau das für Sex mit ihr versprochene Geld nicht zahlte, ist wegen Betrugs verurteilt worden. Sein Argument, ein Prostitutionsvertrag sei sittenwidrig und begründe deshalb keinen Anspruch auf die Zahlung, hielt vor Bundesgericht nicht stand.", NZZ, 04.02.2021
16457
Melden
Zum Kommentar
avatar
Gleeson
05.02.2021 10:22registriert Dezember 2020
Good News. Andererseits finde ich es ein Armutszeugnis unserer Gesellschaft. Wir akzeptieren und legalisieren Menschenhandel und Missbrauch. Svetlana aus XY, zur Prostitution gezwungen, (angeblich freiwillig weil es ja so ein toller Job ist) erhält von uns keine Hilfe. Nein wir lassen sie einfach Steuern zahlen. So haben wir alles korrekt gehandhabt und unsere Pflicht erfüllt. Unser Gewissen ist rein. Svetlana darf dann auf dem Strich ins Gebüsch k... aber Hauptsache sie hat ein besch... AHV Chärtli. Und eine Verrichtungsbox.
13445
Melden
Zum Kommentar
47
Güllenloch-Unfall in Trubschachen BE fordert zweites Todesopfer

Nach einem Unfall in einer Jauchegrube in Trubschachen BE ist ein zweiter Mann verstorben. Er war am Sonntag in kritischem Zustand ins Spital gebracht worden. Dort verstarb er am Mittwoch, wie die Regionale Staatsanwaltschaft und die Berner Kantonspolizei mitteilten.

Zur Story