Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat heute den Fall von Doğu Perinçek, der den Völkermord der Türken an den Armeniern geleugnet hatte, neu aufgerollt. In einem ersten Entscheid im Dezember 2013 hatten die Richter in Strassburg die Schweiz für die Verurteilung des türkischen Arbeiterparteichefs wegen Rassendiskriminierung gerügt – jetzt hofft die Schweiz auf eine Neubeurteilung durch die Grosse Kammer des EGMR.
Perinçek habe mit der Aussage, der Genozid an den Armeniern sei eine internationale Lüge, die Armenier indirekt der Geschichtsfälschung bezichtigt, sagte Frank Schürmann, der im Verfahren die Schweizer Position vertrat. Dies sei kein Beitrag für eine Debatte um die historischen Ereignisse von 1915. Mit diesem Argument hatte Perinçek zuvor seine Aussagen verteidigt.
Das Schweizer Recht stelle das Leugnen von Genoziden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Strafe, weil dies eine der «eklatantesten Formen der rassistischen Diskriminierung» sei, sagte Schürmann. Auch wenn der Spielraum der Schweiz bei der Anwendung des Artikels 261 des Strafgesetzbuches schmal sei, müsse er bei Perinçek angewendet werden.
Der türkische Nationalist sagte vor dem 17-köpfigen Richtergremium, dass er weder Hass noch Ressentiments gegenüber den Armeniern geäussert habe. Mit seinen Reden habe er einen Diskussionsbeitrag geliefert, der auf einer wissenschaftlichen Grundlage basiere. Dies bezeugten die mitgebrachten kiloschweren Unterlagen. Auch wenn man seine Auffassung nicht teile, müsse man dennoch das Recht auf Meinungsäusserungsfreiheit garantieren, so Perinçek.
Auch die Vertreter der Türkei unterstrichen, dass die Diskussion um die Ereignisse offen geführt werden müsste. Sie sagten, es habe keinen Grund für eine Verurteilung von Dogu Perinçek in der Schweiz gegeben. Dieser habe weder Personen noch die öffentliche Ordnung bedroht.
Die Vertreter Armeniens plädierten für das Recht, die massenhafte Tötung von zehntausenden Armeniern 1915 als Völkermord zu bezeichnen. Ziel der Machthaber des Osmanischen Reiches sei damals die vollständige Auslöschung der armenischen Bevölkerung gewesen.
Armenien hatte für die Verteidigung seiner Position eine renommierte Londoner Anwaltskanzlei beauftragt. Deren Chef Geoffrey Robertson vertrat zusammen mit seiner Kollegin Amal Clooney die armenische Position. Unter anderem ihre Anwesenheit zog viele Zuschauer an: 400 hatten sich für die Anhörung angemeldet, sowie 40 Journalisten. (dwi/sda)