Die Schilderung des Geldkuriers vermittelt einen Eindruck davon, wie simpel und geschmiert das System läuft. Der Mann beschrieb seine regelmässigen Drogengeld-Ablieferungen in einem Luzerner Reisebüro gegenüber den Ermittlern wie folgt:
«Man geht dorthin, man kennt sich natürlich, man gibt das Geld ab; das, was ich Herrn A. geschuldet habe. Dann schrieb ich ihm oder rief ihn an, dass das Geld abgegeben war, und fertig. Ich sprach über meinen Vater, wie es den Kindern geht, somit war es für mich erledigt. Über das Geld musste ich nicht diskutieren. Die Angestellten des Reisebüros wussten, dass es für A. ist. Die einzigen Worte, die fielen, waren: ‹da, es ist für ihn›, dann wurde das Geld gezählt und fertig.»
Die Beschreibung stammt aus dem Beschwerdeentscheid des Bundesstrafgerichts in Bellinzona vom letzten April. Der aus Nordmazedonien stammende Schweizer hatte die Entlassung aus der Untersuchungshaft beantragt sowie Gratis-Rechtspflege. Beides lehnte das Gericht ab. Auf Gesuch der Bundesanwaltschaft, die die laufenden Ermittlungen gefährdet sah, verschob das Gericht die Publikation des Entscheids um Monate.
Der Geldkurier, um den es hier geht, wurde im September 2024 zusammen mit fünf weiteren mutmasslichen Angehörigen eines Drogenclans in der Schweiz festgenommen. Gegen die Bande, die eine Zentrale in einem Luzerner Reisebüro hatte, führt die Bundesanwaltschaft ein Verfahren wegen Verdachts auf Beteiligung oder Unterstützung einer kriminellen Organisation, Geldwäsche und Drogenhandels.
Der Mann holte nicht nur Geld bei verschiedenen Drogenzellen in der Deutschschweiz ab und brachte es ins Reisebüro. Er wirkte auch als Fahrer für A., der als Schweiz-Chef dieses Balkan-Clans gilt. Zudem war er «Annahmestelle» für kriminelle Gelder, wenn das Reisebüro geschlossen war.
Der Mann will eine kleine Nummer gewesen sein. Er habe nicht gewusst, dass es um Drogengelder ging. Sein Berner Anwalt schrieb ans Gericht: Als einziger Beschuldigter verweigere sein Mandant die Aussage nicht. Er habe detailliert Auskunft «über das konkrete Vorgehen» gegeben und massgeblich zur «Aufarbeitung der Untersuchung» beigetragen.
Dass der Mann als Einziger Aussagen macht, kann aber auch andersherum gedeutet werden: dass er eine besonders starke Stellung im Clan hat; dass er es sich leisten kann, gewisse Aussagen zu machen, während die anderen schweigen müssen.
Die Bundesanwaltschaft kommt laut Gerichtsentscheid zum Schluss: Aus den bisherigen Ermittlungsergebnissen gebe es Hinweise, dass dem Mann «in diesem Konstrukt möglicherweise eine weitaus bedeutendere Rolle als diejenige eines blossen Geldkuriers oder einer zum Reisebüro alternativen Geldabgabestelle zukam.» Was die Aussagen des Mannes betreffe, bestätige er im Prinzip jeweils nur, was nicht mehr abzustreiten sei.
Im Fall um das Luzerner Reisebüro geht es um albanische Banden, die schwergewichtig im Kokain- und Heroinhandel in der Deutschschweiz aktiv sind. Der Reisebürobesitzer und seine beiden Söhne sollen allein innerhalb knapp eines Jahres mehr als 7 Millionen Franken einkassiert und in den Kosovo sowie nach Albanien geschleust haben. Teilweise physisch per Strassentransport, teilweise nach dem beliebten, weil fast spurlosen Hawala-System.
Bei diesem System wird das Geld weder physisch noch elektronisch überwiesen. Will ein Kunde beispielsweise eine Million Drogengeld nach Tirana verschicken, bringt er sie in bar zum Hawala-Anbieter. Das kann ein Barbershop sein, ein China-Restaurant, ein Kiosk. Danach kann der Kunde beim Geschäftspartner oder der Filiale des Hawala-Anbieters in Tirana die gleiche Summe abholen oder abholen lassen. Gegen Vorweisung eines Codes und abzüglich einer Provision.
Das «Luzerner» System lief seit Jahren. Die Beschuldigten tauschten über Plattformen wie Surespot, Signal oder Sky ECC Namen und Codewörter aus, die für die Transaktionen nötig waren. Allein auf Surespot und Signal konnten die Ermittler Einzahlungen von durchschnittlich 60'000 Franken pro Tag nachweisen. Hochgerechnet auf die Arbeitstage des Reisebüros während einem Jahr entspreche dies einem Umsatz von knapp 19 Millionen Franken.
Ein eingespieltes Team war am Werk. In Filialen am Flughafen Basel sass ein Sohn des Luzerner Reisebürobesitzers, am Flughafen in Pristina ein Bruder, in Tirana ein Cousin des Schweiz-Bosses, um das Hawala-Banking zu betreiben. Der Cousin in Albanien erteilte auch Anweisungen zum Abholen von Drogenerlösen in der Schweiz.
Die kriminelle Szene ist multikriminell und auch in legalen Geschäften aktiv, was ihr Tarnung und Synergien gleichzeitig verschafft. So war der angeblich unwissende Geldkurier auch im Reinigungsgeschäft und im Export von Gebrauchtwagen nach Albanien tätig, bot Geldwäschedienste an und organisierte falsche Rechnungen. Auf seinen Konten landeten einmal allein innerhalb von zwei Monaten 400'000 Franken an Bargeld, für die der Mann keine plausible Erklärung hat.
Trotzdem forderte der Schweizer, vertreten durch seinen Berner Anwalt, seit letztem September schon zweimal Gratis-Rechtspflege und Gratis-Anwalt, einmal bis vor Bundesgericht. Er sei mittellos, da die Bundesanwaltschaft sein Vermögen beschlagnahmt habe. Die Gesuche waren chancenlos, anscheinend also allein für die Galerie: Denn der Mann reichte trotz mehrfacher Aufforderung keinerlei Belege zu seinen finanziellen Verhältnissen ein.
Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft laufen weiterhin, sie sucht weiter nach den Hinterleuten und Drahtziehern. Es gilt die Unschuldsvermutung. (aargauerzeitung.ch)
Das sehen aber such nur die Behörden und vielleicht die Medien so. Für die Zivilbevölkerung sind sowohl die Machenschaften als auch die Lokalitäten ziemlich offensichtlich