«Carlos» hatte Ende März 2016 einen flüchtigen Bekannten beim Aussteigen aus dem Tram mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Dieser brach sich dabei den Kiefer und erlitt weitere Verletzungen.
Der Kampfsporterfahrene «Carlos» begründete den Schlag in seinen Aussagen mit Notwehr. Vor Gericht selber wollte er sich zum Vorfall nicht mehr äussern, ausser dass er sich angegriffen gefühlt habe und seinen Gegner abwehren wollte. Diesem Argument folgte das Gericht nicht. «Wir sehen keine Notwehr-Situation», sagte der Richter bei der Urteilseröffnung.
Aufgrund der verschiedenen Zeugenaussagen könne man zwar insgesamt von einer leichten aggressiven Stimmung beim Aussteigen sprechen, das Gericht gehe nicht von einem Tumult aus. Sein Schlag sei daher eine Reaktion auf eine Situation gewesen, die er falsch eingeschätzt habe.
Der Richter stufte das aggressive Verhalten des Beschuldigten als bedenklich und unehrenhaft ein – «gerade aus Sicht eines Kampfsportlers». Er habe seinem Gegner keine Chance gelassen und unvermittelt sowie heftig zugeschlagen. Wie heftig der Schlag gewesen sein muss, zeige auch, dass sich «Carlos» dabei selbst einen Finger gebrochen habe.
Die Verteidigung forderte vergeblich lediglich eine Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung. Für das Gericht war klar, dass «Carlos» aufgrund seines Kampfsporttrainings wusste, welche Verletzungen durch einen Schlag an den Kopf möglich sind. Diese habe er in Kauf genommen und sich damit der versuchten schweren Körperverletzung schuldig gemacht, urteilte das Gericht. Es folgte damit der Staatsanwaltschaft.
Das Bezirksgericht verurteilte den 21-Jährigen zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten. Die Zeit, die er wegen des Vorfalls bereits im Gefängnis sass – immerhin 342 Tage – wird ihm angerechnet. Ausserdem muss er seinem Opfer neben Schadenersatz eine Genugtuung von 3000 Franken plus Zinsen bezahlen.
Reduziert wurde die Strafe durch eine verminderte Schuldfähigkeit. Gemäss einem psychiatrischen Gutachten leidet «Carlos» an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung. Er nehme seine Umwelt als Bedrohung wahr und habe immer das Gefühl, sich wehren zu müssen.
«Er schätzt die Situationen falsch ein. Das zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben», sagte der Staatsanwalt, der eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten gefordert hatte, in seinem Plädoyer.
Für ihn ist «Carlos» zwar kein «Vollpsychopath, der sich wahllos Opfer herauspickt», er habe aber ein gröberes Problem. «Das grösste Problem dabei ist, dass er das nicht einsieht und sich nicht helfen lassen will.»
Der Staatsanwalt brachte daher auch das Thema «Verwahrung» auf den Tisch, denn mit einer simplen Freiheitsstrafe – «egal wie hoch» – sei es nicht getan. «Carlos» sei weder therapiewillig noch -fähig. Allerdings sei im vorliegenden Fall eine Verwahrung nicht verhältnismässig, denn der 21-Jährige habe seit fünf Jahren kein vorsätzliches Gewaltdelikt mehr verübt.
Auch könne er nichts dafür, dass er der bekannteste Straftäter der Schweiz sei. «Bei einer anderen Person wäre eine Verwahrung gar kein Thema», sagte der Staatsanwalt. Er sprach an die Adresse von «Carlos» dennoch eine Warnung aus: Wenn es erneut zu einem solchen Vorfall kommen sollte, dann müsse eine Verwahrung ernsthaft geprüft werden.
Dem schloss sich der Richter an. Jetzt sei eine Verwahrung zwar völlig unverhältnismässig, «sie könnte dann aber schon mal ein Thema sein», sagte er. Generell frage man sich, was man mit dem jungen Mann machen solle. Der Richter räumte denn auch ein: «Wir sind ratlos».
Zwar gäbe es Massnahmen, um die Defizite von «Carlos» aufzuarbeiten, beispielsweise im schulischen Bereich aber auch bei seiner Persönlichkeit. Allerdings torpediere er diese immer wieder, da er therapieunfähig sei. (sda)