Sie sind in fast allen Portemonnaies. Manche nehmen sie täglich in die Hand. Und denken wohl selten daran, welche Datenspuren sie damit hinterlassen. Die Kundenkarten von Coop oder Migros. Aus ihren Daten lässt sich viel herauslesen: Was jemand einkauft, wo er einkauft. Und vielleicht auch ganz persönliche Vorlieben.
Es sind Daten, die auch die Behörden interessieren. In Strafverfahren verlangen Staatsanwaltschaften immer wieder Kundendaten von den Detaillisten. Doch gross darüber reden möchte niemand. Wie oft Behörden in der Schweiz die Datenherausgabe einfordern, ist nicht bekannt. Ob im Aargau, in Luzern oder in St.Gallen: Bei allen angefragten Staatsanwaltschaften ist dieselbe Antwort zu hören. Man führe keine Statistiken dazu, heisst es. Alex Dutler, Mediensprecher der Aargauer Staatsanwaltschaft, sagt, es sei «rein technisch nicht möglich, für beliebige Fragestellungen quasi auf Knopfdruck Statistiken zu beliebigen Fragestellungen zu generieren». Man kümmere sich nur um die «wichtigen Kategorien».
Konkrete Zahlen sind auch bei den Detailhändlern nicht in Erfahrung zu bringen. Die Migros nennt keine. Coop schreibt, es handle sich pro Jahr um Anfragen «im mittleren bis tiefen zweistelligen Bereich». Beide Konzerne betonen: Die Daten werden grundsätzlich nicht weitergegeben. Behörden erhalten sie nur, wenn eine sogenannte Editionsverfügung vorliegt. Dann bleibt ihnen nichts anderes übrig. Oft geht es um Betrug oder Diebstahl.
Besonders beliebt ist die Abfrage laut Insidern, wenn in illegal deponierten Abfallsäcken Kassenzettel gefunden werden. Wurde die Kundenkarte benutzt, steht dort allenfalls die Kundennummer drauf. Heikler ist der Einsatz, wenn es etwa um die Invalidenversicherung geht. Dann können persönliche Daten mehr aussagen.
Anwalt Martin Steiger ist spezialisiert auf das Recht im digitalen Raum. Er hat erst vor ein paar Tagen ein Auskunftsbegehren bei der Migros gestellt. «Ich möchte wissen, welche Daten eine Staatsanwaltschaft über mich erhielte.» Der Zürcher Anwalt ist überzeugt:
Steiger mahnt: Viele meinten, dass es hohe Hürden brauche, damit Behörden solche Daten erhalten. «Tatsächlich ist aber kein Richter im Spiel. Ein Staatsanwalt alleine kann dies verfügen. Migros und Coop können sich kaum dagegen wehren.»
Doch nicht nur Kundenkarten werden für Ermittlungen beigezogen. Datenspuren hinterlässt auch, wer Bahn oder Bus fährt. Betroffen sind alle, die ihr Abonnement auf der mobilen Swisspass-App hinterlegt haben – und diese auch nutzen. Dann wird jeweils gespeichert, wer kontrolliert wird. Ob man das Abo auf der App zeigt oder die Karte zückt, spielt keine Rolle.
Man müsse verhindern, dass ein Abo doppelt genutzt werde, einmal auf der App und gleichzeitig per Karte, begründet Alliance Swisspass dies. 30 Tage bleiben die Daten aufbewahrt. Genaue Zahlen, wie oft Strafverfolgungsbehörden die Daten von SBB-Passagieren anfordern, will Alliance Swisspass nicht nennen. Es seien «nur wenige Fälle» im Jahr.
Was kann man dagegen tun? Eine Einzelperson könne wenig ausrichten, sagt Anwalt Steiger. Man könne ja nicht einfach auf ÖV-Fahrten verzichten. Er sagt:
Steiger hofft auf das neue Datenschutzgesetz, das den Grundsatz der Datenminimierung ausdrücklich vorsieht.
Allerdings können Kundenkarten ihren Nutzern vor Gericht durchaus auch helfen. Wer sich durch Gerichtsurteile klickt, findet Fälle, in denen jemand den Steuerbehörden nachweisen musste, dass er tatsächlich an einem Ort wohnt. Wer zeigen kann, wo er seine Einkäufe machte, hat da einen Vorteil. (aargauerzeitung.ch)
Wo bleibt denn da die Gewaltentrennung?
Wer entscheidet über schützenswerte Daten, resp. wo bleibt der Datenschutz?