Herr Haldimann, gratuliere! Sind Sie zufrieden mit dem Urteil aus Strassburg?
Ueli Haldimann: Ja, sehr natürlich. Besonders gefreut hat mich die Klarheit und die eloquente Begründung des Urteils. Die Richter stimmten mit sechs zu einer Stimme gegen die Schweiz und konstatierten, dass diese Verurteilung in einer demokratischen Gesellschaft nicht nötig war. Die Details zur Urteilsbegründung habe ich auch in meinem Blog veröffentlicht.
Haben Sie mit diesem Ergebnis gerechnet?
Ja. Die Medienfreiheit als Teil der Meinungsäusserungsfreiheit wird vom Strassburger Gericht von jeher sehr hoch gewichtet.
Warum haben das Zürcher Obergericht und das Bundesgericht gegen Sie entschieden?
Konkret ging es ja um die Frage, was höher zu bewerten ist: Das Recht des Versicherungsberaters, ohne sein Wissen gefilmt zu werden, oder das Recht der Öffentlichkeit, über die schlechte Qualität der Beratung informiert zu werden? Das Zürcher Obergericht und das Bundesgericht fanden, es gebe keinen Rechtfertigungsgrund für ein straffreies Filmen mit versteckter Kamera. Strassburg sah das anders.
Was bedeutet das Urteil für die Schweizer Medien?
Wenn Sie zum Beispiel deutsches Fernsehen schauen, sehen Sie täglich Fernsehbeiträge mit verdeckt gedrehten Sequenzen. Da geht es um Hygiene in Restaurantküchen, es werden Verkaufsgespräche von Waffenhändlern gefilmt und man sieht, wie beim Verkauf von Auto-Occasionen gelogen wird. In fast allen freiheitlichen Ländern gehört die verdeckte Recherche zum Repertoire des kritischen Fernsehjournalismus. Nur in der Schweiz war das seit dem Kassensturz-Urteil nicht mehr möglich. Jetzt sieht das wieder ganz anders aus.
Jetzt werden alle Journalisten sofort mit versteckten Kameras auffahren?
Es geht nicht darum, jedes Thema in Zukunft mit verdeckter Kamera drehen zu können, überhaupt nicht. Das Mittel soll extrem sparsam eingesetzt werden.
Wann ist es erlaubt?
Zwei Vorraussetzungen müssen erfüllt sein: Erstens muss ein erhebliches öffentliches Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts, der behandelt wird, bestehen. Und zweitens darf nur versteckt gedreht werden, wenn der zu beweisende Misstand nicht anders belegt werden kann. Unter dieser Voraussetzung hat der Schweizerische Presserat den ausnahmsweisen Einsatz von versteckter Kamera geschützt. Ich finde das eine gute Regelung. Ich denke, der Einsatz von versteckter Kamera wäre in einer tiefen einstelligen Zahl von Fällen pro Jahr sinnvoll.
Auch im Fall des Zürcher Schönheitschirurgen Peter Meyer-Fürst, dem inzwischen viel Pfusch nachgewiesen wurde, wurden Sie wegen Abhörens und Aufnehmens von Gesprächen verurteilt. Letzte Woche wurde die Klinik von «Busen-Meyer» geschlossen. War das für Sie eine persönliche Genugtuung?
Ich würde nicht von Genugtuung sprechen. Genugtuung zu suchen ist ein schlechtes Motiv, diesen Beruf auszuüben. Aber es stimmt, wir sind auch in einem zweiten Fall, bei dem es um Dr. Meyer-Fürst und andere Schönheitschirurgen ging, verurteilt worden. Die Schliessung von Meyer-Fürsts Praxis hat aber gezeigt, dass der Kassensturz mit seinen früheren Beiträgen über die zweifelhaften Methoden dieses Arztes richtig lag, und es ist mir ein Rätsel, wieso die Zürcher Gesundheitsdirektion da so lange zugeschaut hat.
War der jahrelange Kampf in diesem Fall auch eine persönliche Belastung für Sie?
Nein. Ich habe als Journalist immer versucht, unnötigen Ärger zu vermeiden. Beim Drehen mit versteckter Kamera wussten wir, dass es Ärger geben kann. Aber es war nötiger Ärger, weil es um eine grundsätzliche und wichtige Sache geht.