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Schweizer Mutter meldet Sohn der Polizei – dann bricht die Hölle los

Ein Basler Polizist bei einer Personenkontrolle.
Ein Basler Polizist bei einer Personenkontrolle.bild: keystone

Mutter meldet ihren Sohn der Polizei – darauf stürmt eine Sondereinheit seine Wohnung

Ein Islamist radikalisierte sich online und wollte von Basel in den Dschihad reisen. Er steht exemplarisch für einen gefährlichen Trend.
12.05.2025, 09:2712.05.2025, 10:37
Andreas Maurer / ch media
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Ein Dienstagmorgen im Juli 2024: In der Dämmerung verlässt der 20-jährige Alexander (Name geändert) seine Wohnung im Basler Quartier Gundeldingen. Er ist auf dem Weg zum Morgengebet in der Moschee. Fünfmal täglich sucht er sie auf. Das erste Gebet muss gemäss der Lehre vor Sonnenaufgang stattfinden.

Plötzlich stehen maskierte Polizisten einer Sondereinheit vor ihm. Sie verhaften ihn wegen Verdachts auf Unterstützung einer Terrororganisation. Er leistet keinen Widerstand und händigt seinen Schlüssel aus. Dennoch bricht die Polizei die Tür seiner Wohnung auf, um sie zu durchsuchen.

Alexander ist perplex. «Ich dachte, ich werde gekidnappt», sagt er heute. In der ersten Einvernahme streitet er die Vorwürfe ab. Doch nach Monaten in Untersuchungshaft, die meiste Zeit alleine in einer Zelle, gibt er alles zu. Die Ermittlungen beweisen, dass er sich der Terrororganisation IS anschliessen wollte. Dank seines Geständnisses kann er das Gefängnis nach neun Monaten verlassen. Am Donnerstag steht er vor dem Bundesstrafgericht.

Polizei warnt vor der Radikalisierung einsamer Wölfe

Sein Fall steht exemplarisch für einen gefährlichen Trend. Die Bundespolizei Fedpol schreibt in ihrem neuen Jahresbericht: «Es ist ein Schema, das die Polizei in vielen Fällen beobachtet: Junge Menschen geraten im Internet in eine Radikalisierungsspirale, die sich von Social-Media-Inhalten nährt und ihre ursprünglichen Überzeugungen verstärkt.»

Alexanders Geschichte beginnt unauffällig. Er kommt 2003 in Basel zur Welt. Seine Mutter ist bei der Geburt 22 Jahre alt. Sein Vater, ein Künstler, ist neun Jahre älter. Dieser beschrieb einst in einem Interview, wie er selber mit einer inneren Zerrissenheit aufgewachsen war, weil sein Vater aus Palästina und seine Mutter aus Deutschland stamme.

Auch Alexander befindet sich auf einer langen Sinnsuche. Er prüft alle Religionen und findet den Glauben mit 17 Jahren im Islam.

Was er nicht findet, sind echte Freunde. Heute sagt er: «Ich habe Freunde aus aller Welt und aller Glaubensrichtungen. Aber ich habe sie noch nie persönlich getroffen.» Es sind virtuelle Freundschaften, die er über Kommunikationsplattformen wie Discord pflegt. Dort vertreiben sie sich die Zeit mit den gleichen Onlinespielen.

Im realen Leben fehlt ihm der Anschluss. Er ist introvertiert und leidet an einer sozialen Phobie. Unter Menschen fühlt er sich unwohl. Nicht einmal in der Moschee knüpft er Beziehungen. Er huscht in den Gebetsraum und verschwindet dann wortlos wieder. In Basel besuchte er die obligatorischen Schulen und arbeitete zeitweise für eine Sicherheitsfirma.

Islamism Computer
Der Mann radikalisierte sich im Netz. (Symbolbild)Bild: Shutterstock

Er suchte den Tod als Märtyrer – aus Langeweile?

Warum wollte er sich dem IS anschliessen? «Aus Langeweile», sagt er zuerst. Doch dann korrigiert er sich und meint, er wisse es selber nicht genau. Er sei wohl einfach in die falschen Kreise geraten.

Die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft dokumentiert, wie schnell ein Möchtegern-Dschihadist wie Alexander in Onlinekanälen Unterstützer für seinen Plan findet.

Alexander nutzte die App Session. Sie ermöglicht eine verschlüsselte Kommunikation und verlangt weder Mailadresse noch Telefonnummer für die Registrierung. Der Chatdienst stammt aus Australien. Doch seit der Gründer dort Besuch von der Polizei erhalten hat, betreibt ihn nun eine Stiftung aus der Schweiz.

Am 30. Mai 2024 chattet Alexander mit einem Session-Benutzer namens Omar. Alexander schreibt ihm, dass er in einem Land leben wolle, wo die Lehre der Scharia herrsche, und das sei nur bei «ihnen». Er wünsche sich den Tod als Märtyrer – so bald wie möglich.

Am 11. Juni erhält Alexander die Nachricht, dass er nach Somalia in die Berge gehen solle und die Organisation für ihn das Geld für das Visum und die Reise organisieren werde. Das Gebiet wird von der Terrororganisation Al-Schabab kontrolliert, die mit Al-Kaida verbandelt ist. Somalia ist ein gescheiterter Staat. Das Schweizer Aussendepartement rät von Reisen jeglicher Art ab.

Alexander trägt einen Islamisten-Bart und ein Tattoo auf dem Arm. Sein Kontakt weist ihn an, beides entfernen zu lassen, um bei der Ausreise nicht aufzufallen. Der Abflug sei für den 7. August 2024 vorgesehen. Aus Sicherheitsgründen werde er erst kurz vorher die letzten Informationen erhalten.

Die Mutter meldet sich bei der Anlaufstelle Radikalisierung

Im Juni 2024 teilt Alexander seiner Mutter mit, dass er Anfang August nach Somalia reisen würde. Er erzählt ihr, dass er in den Bergen Arabisch lernen wolle und sich der Organisation Al-Schabab anschliessen werde. Sie rät ihm davon ab, doch er hört nicht auf sie.

Sie ist verzweifelt und wendet sich im Juni 2024 an die Anlaufstelle Radikalisierung der Kantonspolizei. Diese richtet sich an Menschen, die in ihrem Umfeld besorgniserregende Veränderungen feststellen.

Dann geht es schnell. Am 4. Juli erstattet die Bundeskriminalpolizei Strafanzeige. Die Bundesanwaltschaft eröffnet sofort ein Strafverfahren. Sie ordnet die Verhaftung und die Hausdurchsuchung an.

Den Ermittlern gelingt es, Alexanders Geräte zu knacken. So stossen sie auf die Chatnachrichten und illegale IS-Propaganda und Pornografie. Über einen DNA-Abstrich können sie ihm zudem einen Einbruch in einen Quartierladen nachweisen, eine Jugendsünde.

Zurück im Alltag: Der Neustart ist schwierig

Alexander kommt dank eines Deals im April 2025 vorzeitig aus der Haft. Er akzeptiert eine bedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten und eine Deradikalisierungstherapie. Das Bundesstrafgericht wird den Fall deshalb in einem abgekürzten Verfahren nur noch überprüfen.

«Es wird aber sehr schwierig, mit meinem Strafregisterauszug eine Stelle zu finden.»

Gleichzeitig anerkennt er polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus, welche die Schweiz 2021 in einer Volksabstimmung angenommen hat. Er trifft sich regelmässig mit einem Präventionsspezialisten der Polizei und muss seinen Schweizer Pass für ein halbes Jahr abgeben.

Derzeit wohnt er wieder bei seinen Eltern. Er verzeiht seiner Mutter offenbar, dass sie das Strafverfahren gegen ihn ausgelöst hat.

Nun ist er auf Jobsuche. Er wäre bereit, auf einer Baustelle zu arbeiten oder in der Reinigung: «Es wird aber sehr schwierig, mit meinem Strafregisterauszug eine Stelle zu finden.» Er werde wohl leider Sozialhilfe beantragen müssen. Sein neuer Alltag sei noch immer ungewohnt für ihn: «Es ist ein komisches Gefühl, plötzlich wieder unter so vielen Leuten zu sein.»

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80 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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La bum
12.05.2025 13:09registriert April 2019
Häh? „schwierig mit diesem strafregister-auszug eine stelle zu finden“ und muss wohl „sozialhilfe beantragen“? Schräg. Für die genannten jobs ist mir nicht bekannt, dass der nachweis einer weste erforderlich ist. 🤷🏻‍♀️

Klar, die lücke kann natürlich schwierig werden zu erklären.

Ok, aber es ist ein detail. Die brisanz des artikel liegt woanders.

Und ich feiere den mut und die entschlossenheit dieser mutter, die 1. wusste wo sich melden und 2. es auch tat. War sicher nicht einfach.
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haraS
12.05.2025 12:56registriert Januar 2023
In den wenigsten Berufen muss ein Strafregisterauszug vorgelegt werden. Ich denke das Jobproblem liegt eher an der grossen Diskrepanz zwischen Seinem Können und dem Wunschberuf.
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Tschowanni
12.05.2025 11:41registriert Oktober 2015
Ich sehe kein Problem damit, wegen Strafregisteraustug keinen Job zu bekommen. Es gibt durchaus Arbeitsstellen bei denen ein Auszug nicht gefordert wird, Bau gehört dazu. Sich vorweg schon als Sozielhilfebezüger anzusehen, ist da wenig hilfreich. Einer mehr der nicht arbeiten möchte.
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