Es ist einer der wichtigsten Rechtsgrundsätze in einem Strafverfahren: Wer als Zeuge aussagt, muss die Wahrheit sagen. Im Artikel 307 des Strafgesetzbuchs steht dazu: «Wer falsch aussagt, einen falschen Befund oder ein falsches Gutachten abgibt oder falsch übersetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.» Darum ging es am Mittwochmorgen vor dem Bezirksgericht Lenzburg.
Als Beschuldigter stand ein 54-jähriger Schweizer aus der Region vor Gericht. An der Familienfeier zu Weihnachten 2015 – vier Tage nach dem Tötungsdelikt, das damals noch ungeklärt war – hatte der Mann ausgeplaudert, er wisse, dass den vier Opfern die Kehlen durchgeschnitten worden seien. Dies, weil er einen Kollegen schützen wollte: Der Beschuldigte kennt den Ex-Mann der getöteten Mutter Carla Schauer.
Weil der Ex-Mann als möglicher Täter in Betracht gezogen worden war, wollte der Beschuldigte ihn in Schutz nehmen. «Ich sagte in die Runde, ich könne mir das nicht vorstellen, denn auch als Ex-Mann schneide man seinen Angehörigen nicht die Kehle durch», erklärte der Beschuldigte heute vor Gerichtspräsident Daniel Aeschbach.
Die entscheidende Frage: Woher konnte der Familienvater diese damals noch nicht öffentliche Detailinformation haben? Hier kommt der Polizeioffizier ins Spiel. Es handelt sich um den Dienstchef Forensik der Kantonspolizei Aargau. Seine Lebenspartnerin ist die Schwiegermutter des Beschuldigten. Und der sagt: Er könne die Information nur von seiner Frau oder seiner Schwiegermutter gehabt haben – und logischerweise müssten diese sie vom Polizeioffizier gehabt haben. Eine andere Quelle komme für ihn nicht infrage, beteuerte er.
Schwester und Sohn des Beschuldigten waren heute in Lenzburg als Zeugen geladen. Sie belasteten den Dienstchef Forensik ebenfalls – obschon Gerichtspräsident Aeschbach die Zeugen mehrmals explizit darauf hingewiesen hatte, dass sie sich mit einer Falschaussage strafbar machen könnten. Die Zeugen erklärten, dies sei ihnen sehr wohl bewusst.
«Das ist dicke Post», bilanzierte Einzelrichter Aeschbach. Er sprach den Beschuldigten vom Vorwurf des falschen Zeugnisses frei. Weder der Beschuldigte noch die Zeugen hätten ein Interesse daran, den Polizeioffizier «böswillig in die Pfanne zu hauen», es gebe auch keine Anzeichen einer Verschwörung. Gleichzeitig betonte Aeschbach mehrfach, dass für sämtliche Beteiligten, insbesondere den Polizeioffizier, die Unschuldsvermutung gelte.
Fiona Strebel, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Kanton Aargau, bestätigt auf Anfrage der AZ, dass ein Verfahren gegen den Offizier wegen Amtsgeheimnisverletzung laufe.
Dieses wurde bis zum Ausgang des heutigen Verfahrens sistiert. Nach den Zeugenaussagen, die den Offizier belasten, dürfte es nun wieder in die Hand genommen werden.
Gemäss Roland Pfister, Medienchef der Kantonspolizei Aargau, ist für die Kommunikation in diesem Fall das für die Kapo verantwortliche Departement Volkswirtschaft und Inneres von Regierungsrat Urs Hofmann zuständig.
Dessen Sprecher Samuel Helbling erklärt auf Anfrage der AZ: «Ich kann bestätigen, dass im Zusammenhang mit den Ermittlungen im Mordfall Rupperswil ein Strafverfahren läuft gegen ein Kadermitglied der Kantonspolizei wegen des Verdachts auf eine mögliche Amtsgeheimnisverletzung.» Weiter äussere man sich nicht zum laufenden Verfahren.
Zum Prozess gegen den nun freigesprochenen Familienvater kam es, weil in der ersten Phase der Ermittlungen Ende 2015/Anfang 2016 sämtliche Personen aus dem Umfeld der Opfer einvernommen worden waren. Einige unter ihnen sagten aus, sie hätten gehört, den Opfern seien die Kehlen durchschnitten worden. Sie wurden entsprechend gefragt, woher sie das wüssten. Dabei erwähnten sie als Quelle den 54-Jährigen aus der Region.
Dieser verwies, als er selber dazu befragt wurde, auf seine Schwiegermutter, die Partnerin des Polizeioffiziers. Die Ehefrau und die Schwiegermutter beteuerten hingegen in ihren Einvernahmen, sie wüssten nichts von der Art der Tötung im Fall Rupperswil und hätten nichts Derartiges weitererzählt.